"Menschen bewegen - Welten verbinden" nennt sich eine Broschüre, die derzeit in den ICE-Zügen der Deutschen Bahn (DB) aufliegt. Der Name ist wirklich Programm. Ein Kommentar.

„Die Märkte für Mobilität sowie Transport und Logistik befinden sich national und international in einem rasanten Umbruch“, heißt es im Vorwort der Broschüre, die daraus schließt: „Wer dort auf Dauer ganz vorn mitspielen will, der muss sich bewegen. Aber genau das ist ja das Geschäft der DB AG – im Interesse unserer Kunden … „.
Das ehrgeizige Vorwort wird mit einem Foto eines hochmodernen ICE ergänzt. Und in genau so einem Fahrzeug sitze ich gerade auf der Fahrt zwischen Wien und Gelsenkirchen. Und trotzdem berühren mich die Zeilen und ich denke an das eben Erlebte in München.
Die Münchner Zeitreise
Die Fahrt von Wien nach München verlief angenehm und der ICE bietet für Rollstuhlfahrer wie mich einiges an Kompfort. Ein Rollstuhlplatz mit Tisch und Steckdose gehört ebenso zum Standard wie ein barrierefreies WC.
In München musste ich von einem ICE in den anderen umsteigen. Dazwischen fand etwas statt, was ich zuletzt vor 20 Jahren erlebt hatte.
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Ein freundlicher DB-Mitarbeiter fuhr mit einem Stapler vor, an dem ein ziemlich verrosteter Hebelift montiert war. Dann begann er das schrottreif wirkende Teil zu entfalten und an den Zug anzulegen.
Ich drücke nach dem „Verladevorgang“ meine Verwunderung aus und fragte nach, warum dies in dieser Art geschieht. Der Servicemann murmelte etwas in der Art „ja, wir haben da zwei Bahnsteige außen, wo man einen Hebelift nicht hinschieben kann …“ und verabschiedete sich schnell.
Nun sah ich mir die Sache – sprich die am Bahnsteig vorhandenen Hebelifte – genauer an. Da ich in Österreich bei der kürzlich stattgefundenen Ausschreibung der ÖBB für moderne Hebelifte Mitglied der Jury war, wusste ich, auf welche Details ich zu achten hatte.
Systemmängel führen zum Serviceabbau
Zwei Ursachen führen direkt dazu, dass ich in Sekunden vom Kunden zum Paket wurde. Einerseits ist die DB noch immer nicht bereit, fahrzeuggebundene Einstiegshilfen in modernen Fahrzeugen wie dem ICE einzubauen. Die Folge ist, dass auf den Bahnhöfen die stationären Hebelifte zum Einsatz kommen müssen.
Diese sind häufig in einem derart erbärmlichen Zustand (hygienisch, technisch) und weit verstreut am Bahnhof, dass der Einsatz – wenn möglich – vermieden wird. Ich selbst habe schon mehrfach erlebt, dass solche veralteten Ungetüme nur mit erheblichem Kraftaufwand geschoben bzw. hochgekurbelt werden konnten.
Als ich in München in den nächsten ICE einstieg, kam der selbe Mitarbeiter mit dem Stapler und „lud“ mich – pikanterweise wenige Meter von dem am Bahnsteig befindlichen Hebelift – in den Zug.
Erwähnt sei noch, dass es auf dem zentral gelegenen Bahnsteig 15 war, und nicht auf einem von ihm erwähnten Bahnsteig am Rande. Trotzdem hatte ich für ihn Verständnis, denn er kann nichts dafür, dass die Deutsche Bahn keine zeitgemäßen Hebelifte hat.
Durchgehender Service
Ich lese im Vorwort der im ICE aufliegenden Broschüre weiter und stoße auf den Satz: „Die Kunden verlangen durchgehend Service entlang der Reise- und Mobilitätskette“. Gut erkannt. Die Kunden verlangen diesen Service. Doch von der Deutschen Bahn erhalten sie ihn (derzeit) nicht.
Nachsatz: Die ÖBB haben die 100 hochmodernen, gut zu bedienenden und verbesserten Hebelifte von einem deutschen Hersteller gekauft.
Alexandra,
13.06.2008, 19:57
Ja, stimmt. Ich kann keinen Grund finden um auf die ÖBB zu schimpfen. Ich bin auch sehr oft nach Deutschland und wieder retour gefahren und die Ösi-Fraktion war immer höflich und zuvorkommend und haben immer ihr Bestes gegeben. Die Deutschen Kollegen hingegen sind einfach nicht kundenorientiert. Ich kann gut damit leben, dass ich kein Behinderten-WC im Zug hab, aber dafür nette Zugbegleiter, die einem die Reise dennoch angenehm gestalten.
Vera Rebl,
13.06.2008, 19:45
Nun hatte auch ich Gelegenheit, am Bahnhof München umzusteigen. Wir waren 6 Personen, davon zwei Rollstuhlfahrerinnen. Da wir spät gebucht haben, wurde uns gesagt, dass der Hebelift bereits vergeben ist und wir irgendwie selber reinmüssen.
Wir sind dann zu unserem Waggon gehechelt, der ziemlich weit hinten war. Statt uns ev. mit Gepäck zu helfen, wurden wir in extrem unfreundlichen Bayrisch noch angekeppelt, dass wir schneller machen sollen oder vorher schauen, wo unser Waggon ist. Dann hat der Mitarbeiter der DB 6 Rügen von 6 Personen (teils recht laut) erhalten. Ich hoffe, er hat sich unsere Merk-Sätze hinter die Ohren geschrieben! Sein Kollege war dann sehr nett und hilfsbereit.
Das ist mir bei der ÖBB noch nie passiert: alle Mitarbeiter waren immer bemüht, mir die Reise angenehm zu machen und zu helfen, wo es geht – auch wenn die Einrichtungen nicht funktioniert haben – die Menschen waren immer ok. Bin ich froh, dass ich in Deutschland nicht mit dem Zug pendeln muss!
Bahnfreund,
16.05.2008, 16:20
Die DB hat einige der modernsten Züge der Welt. Da tut das Beschriebene doppelt weh!
Klaudia Karoliny,
10.05.2008, 09:09
In München wundert mich gar nichts mehr seit meiner Reise im Herbst letzten Jahres zum Kurzfilmfestival der ABM. Ich würde durchdrehen, wenn ich jeden Tag mit der DB fahren müsste! Es ging dann auch noch weiter mit Katastrophen in Bus und Tram. Auch wenn das Angebot in Österreich bei weitem noch nicht ausreichend ist, glaube ich, dass wir in Österreich gegenüber Deutschland was die Mobilität u.das Service angeht auf der Überholspur sind.
Wolfgang Bastian,
09.05.2008, 08:05
Sehr geehrter, lieber Herr Martin Ladstätter! Zunächst einmal vielen Dank für diesen Hinweis. Anderseits: Was kann man eigentlich von der DB erwarten? Außer Selbstlob ohne Taten. Wer sich z.B. die Strecke Gießen Fulda – Fulda Gießen bzw. die Bahnhöfe und die Züge genauer anschaut, kommt zum Ergebnis: Total verkommen! Behinderte Mitmenschen haben überhaupt keine Chance, mit den Zügen zu fahren bzw. ein – und auszusteigen. Habe das einmal probiert mit meiner Frau, die Rollstuhlfahrerin ist, keine Chance. Wahrscheinlich auch Absicht, um die Strecke irgendwann stillzulegen, obwohl sie von vielen Mitmenschen genutzt wird.
Vera Rebl,
09.05.2008, 07:41
Interessant auch Budapest: ich hab mich als Rollstuhlfahrerin für die Fahrt nach Wien angemeldet. Als ich zum Info-Stand kam, hieß es dort: es gibt keine Einstiegshilfe – Rollo runter. Erst als ich laut wurde, wurden 2 Arbeiter geschickt, die mich in den Zug hoben. Was sie wohl mit einem E-Rolli getan hätten?