Erste Zitrone der Armutskonferenz an Ktn und OÖ: weniger Mindestsicherung für Menschen mit Behinderung / Verletzung der Bund-Länder-Vereinbarung
„Die erste Zitrone geht an Kärnten und Oberösterreich“, startet die Armutskonferenz ihre Serie, in der sie auf Missstände in der Gesetzeslage und Vollzugspraxis der Mindestsicherung hinweist.
Die Bund-Länder-Vereinbarung zur Bedarfsorientierten Mindestsicherung regelt klipp und klar, dass Familienbeihilfe bei der Berechnung von Mindestsicherungsansprüchen nicht berücksichtigt werden darf. OÖ und Kärnten ignorieren diese Bestimmungen allerdings.
Sie schreiben in Gesetz bzw. Verordnung vor, dass ausgerechnet bei Menschen mit erheblicher Behinderung, die aufgrund der Schwere ihrer Beeinträchtigung auch als Volljährige Familienbeihilfe und zusätzlich einen Erhöhungsbeitrag erhalten, diese Leistungen de facto auf die Mindestsicherungsleistung angerechnet werden müssen.
„De facto“ deshalb, weil Kärnten und OÖ für volljährige Personen mit Anspruch auf Familienbeihilfe einen niedrigeren Mindeststandard vorsehen. Damit kürzen sie eine Leistung, die den Betroffenen hilft, beeinträchtigungsbedingte Mehrkosten zumindest ein Stück weit auszugleichen. Alle zwei Bundesländer brechen damit die Vereinbarung zur Mindestsicherung, die sie mit dem Bund geschlossen haben, so die Armutskonferenz.
Rigide Regelungen in anderen Gesetzen: Burgenland, Kärnten, Steiermark
Jene Länder, die die Bund-Länder-Vereinbarung zu Ungunsten von Menschen mit Beeinträchtigung brechen, stehen in der öffentlichen Kritik – zu Recht. Doch die finanzielle Existenzsicherung von Menschen mit Beeinträchtigung, die in Privathaushalten leben, ist nicht in allen Bundesländern (ausschließlich) in der Bedarfsorientierten Mindestsicherung geregelt. Werden soziale Dienste in Anspruch genommen, kommen Chancengleichheits-, sogenannte Behinderten- bzw. Sozialhilfegesetze zur Anwendung.
Für diese gelten die Vereinbarungen der Bund-Länder-Vereinbarung zur Mindestsicherung nicht. Die Analyse zeigt: die finanzielle Absicherung von Menschen mit erheblicher Behinderung und Bezug von erhöhter Familienbeihilfe, die aufgrund ihrer Beeinträchtigung soziale Dienste in Anspruch nehmen (müssen), ist prekär – aufgrund rigider Unterhaltsbestimmungen wohl oft auch im Haushaltskontext.
Bessere Bestimmungen: Wien
Wien gewährt Menschen mit erheblicher Behinderung im Rahmen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung bessere Leistungen als es die Bund-Länder-Vereinbarung vorschreibt.
Erhöhte Familienbeihilfe – für viele lebenswichtig
„Menschen mit Behinderung haben in aller Regel höhere Ausgaben für den Lebensunterhalt, für den Einkauf und die Zubereitung von Lebensmitteln“, erläutert Sozialexperte Martin Schenk. Sie müssen soziale Dienste in Anspruch nehmen und bezahlen. Sie können aufgrund ihrer Behinderung auch kleine Reparaturen oder Instandsetzungsarbeiten nicht selbst verrichten, sondern müssen für die Erledigungen im Haushalt Dritte beauftragen. Höhere Ausgaben entstehen für die Neuanschaffung bzw. Reparatur von Haushaltsgeräten und Möbel, aber auch von Bekleidung, Schuhen und Hilfsmittel.
„Die Kürzung der Mindestsicherungsleistung trifft ausschließlich Personen, bei denen es sich jetzt schon hinten und vorne nicht ausgeht: Menschen mit schweren Beeinträchtigungen, die deshalb kein Erwerbseinkommen erzielen können. Personen die chronisch krank sind und deren Gesundheitszustand sich in der Regel nicht verbessert, sondern maximal stabil gehalten werden kann. Menschen, deren Situation – ohne die entsprechende Unterstützung in gesundheitlichen Belangen – sich rasch weiter verschlechtert“, so Schenk.
Für viele ist sie lebenswichtig: Die erhöhte Familienbeihilfe hilft Kosten für zusätzliche Gesundheits- und Hilfeleistungen abzudecken.