Zum Tod von Stephen Hawking

"Die Hingabe, mit der er seine Krankheit bekämpfte, machte ihn zu einem Champion für alle behinderte Menschen auf der Welt." University of Cambridge

Steven Hawkings

Herr Groll hatte seinen Freund auf den Ottakringer Friedhof beordert. Vor der Büste des berühmten Philanthropen, Bierbrauers und Sternwartegründers Moritz Kuffner *) wollte er mit ihm nicht etwa über Stephen Hawkings Tod, sondern über dessen Leben und Werk und beider Rezeption in den Medien sprechen.

„Ich habe einige Zeitungsausschnitte mitgebracht“, sagte der Dozent und fischte ein paar Blätter aus seinem Rucksack. „Ich dachte, es müsse doch interessant sein zu sehen, mit welchen Worten die Journalisten das Phänomen Stephen Hawking beschreiben. Ich darf doch?“

Groll machte eine einladende Handbewegung, der Dozent setzte sich auf eine Grabeinfriedung.

„Die beste Darstellung in einer auflagenstarken Zeitung kommt meiner Einschätzung nach vom Kurier. Auf zwei Seiten werden in vier Texten Hawkings Leben, seine Arbeiten und seine Wirkung vorgestellt. Die Behinderung wird erwähnt, aber sie wird nicht übertrieben. Der Mensch Hawking verschwindet nicht hinter seiner Krankheit. Nirgendwo die idiotische Phrase vom „an den Rollstuhl gefesselten“ Menschen.

In der Kronenzeitung schreibt der Physiker und ehemalige Science Buster Werner Gruber einen sachkundigen und informativen Nachruf. Und im Bildtext, der von der Redaktion stammt, heißt es: „Stephen Hawking war fast völlig bewegungsunfähig und saß wegen einer Nervenkrankheit im Rollstuhl.“ „Sachlich, nicht übertreibend – so muß es sein“, sagte Groll befriedigt. „Es scheint, daß dreißig Jahre Kampf gegen die Killerphrase Erfolge zeitigen, daß Krone und Kurier voranmarschieren, stimmt mich zuversichtlich.“

„Auch die Standard-Redakteurin Tanja Traxler hält das Niveau, wie auch die Onlineplattform des ORF“, ergänzte der Dozent. „Die Berichterstattung in den Weltzeitungen unterscheidet sich in diesem Fall von der in den österreichischen Medien nicht.

Sei es der beeindruckende und berührende Nachruf von Hawkings Kollegen und Freund Roger Penrose im Guardian oder die Nachrufe in den deutschsprachigen Qualitätszeitungen, zumindest jener, derer ich habhaft werden konnte – die Berichterstattung ist informativ und respektvoll. Kein Druck auf die Tränendrüsen, keine Appelle an Sentimentalität und Mitleid, wohl aber Bewunderung und kosmisches Staunen und beides ist angesichts dieses Lebenswerks wohl berechtigt.“

„Gut so! Lassen Sie uns darauf anstoßen!“. Herr Groll hatte eine Flasche Retzer Zweigelt aus dem Rollstuhlnetz geholt und schenkte zwei Gläser ein.

Der Dozent versuchte zu lächeln: „Es gibt da aber einen Ausreißer, geschätzter Freund.“

„Ich höre, verehrter Dozent“, sagte Groll und nahm einen ordentlichen Schluck.

„In der Presse schreibt der Redakteur Thomas Kramar einen langen Text über Hawking, hält sich dabei zwei lange Absätze mit dessen körperlicher Verfassung auf und landet dann bei der sensationsheischenden Formulierung: ´Hawkings im Rollstuhl gekrümmter Körper`.“

„Das klingt nach Folter“, sagte Groll. „Ich finde nicht, daß Hawking zusammengekrümmt im Rollstuhl sitzt, auf mich macht es eher den Eindruck, als säße er recht gemütlich.“

„Anders wäre es wohl schwer auszuhalten, das wissen Sie als erfahrener Rollstuhlsitzer ja am besten.“ Der Dozent stieß mit Groll an, der nickte. „Und jetzt der journalistische Urknall! Der Titel des Nachrufs ´Der reglose Physiker suchte Gottes Plan!` Und die Killerphrase folgt auf dem Fuße: ´An den Rollstuhl gefesselt, griff er nach den Sternen.` Das hätte der tiefste Boulevard nicht besser hinbekommen.“

Der Redakteur sei ihm nicht unbekannt, erwiderte Groll. Er habe durch all die Jahre immer wieder über Hawking geschrieben und immer blitzten negative Gefühle gegenüber dem Physiker durch. Hawking sei gar kein großer Physiker, er verdanke seinen Ruhm mehr seiner Behinderung.

„Wir sehen hier die andere, böse und gefährliche Seite des Mitleids am Werk“, sagte der Dozent nachdenklich. „Sie geht einher mit der Übertreibung der Behinderung. Das scheint eine Art journalistisches Naturgesetz zu sein.“

Nachdem er den Text gelesen hatte, sagte Groll: „Bekanntlich war Hawking Atheist und er hielt damit nicht hinter dem Berg, auch den Päpsten gegenüber nicht. Er war zwar Mitglied der vatikanischen Akademie der Wissenschaften, das aber hinderte ihn nicht, seine Position klar zu vertreten. Er habe nichts dagegen, wenn Leute an fliegende Schmalzbrote glaubten, sagte er, zur Erklärung der Welt sei dies aber weder notwendig noch hilfreich. Ebenso sei für die naturwissenschaftliche Erklärung der Welt die Annahme eines steuernden Gottes weder notwendig noch hilfreich. Auch mit dem Jenseits konnte man ihm nicht drohen. Für ihn war das Gehirn ein Computer und es gibt nun einmal für kaputte Computer kein Leben nach dem Tod; das ist ein Märchen für Leute, die Angst im Dunkeln haben.“

„Der Satz ist von Ihnen?“ Der Dozent zückte sein Notizbuch.

„Von Hawking!“, sagte Groll und prostete dem Kosmos zu.

*) siehe das ausgezeichnete Buch von Evelyn Adunka und Gabriele Anderl: „Jüdisches Leben in der Wiener Vorstadt – Ottakring und Hernals“ ,in dem unter anderem Leben und Wirken der Kuffner-Familie und ihre Bedeutung für Wien umfassend gewürdigt wird. Mandelbaum Verlag, 2013

 

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Ein Kommentar

  • Ich glaube er war nicht nur für behinderte Menschen ein Champion!