Zur aktuellen „Sterbehilfe“diskussion. Was in der Zeitung steht …

Alle Jahre wieder: Anfang November erinnern sich die Menschen an die lieben Verstorbenen und müssen sich auch selbst (mehr oder weniger) mit der "unerfreulichen" Tatsache auseinandersetzen, dass auch sie sterblich sind.

Monitor zeigt Herzschlag
BIZEPS

Gute Gelegenheit für Medien, damit Geld zu verdienen, gut für Meinungsmacher, die ihre Überzeugung anderen Menschen auf reißerische Art und Weise aufdrücken wollen. Eine Auswahl:

Auf dem Titelblatt einer österreichischen Wochenzeitschrift hieß es: „Das Recht auf Selbstmord. Was ist das eigene Leben wert? Wer bestimmt darüber? Und darf man sich beim Sterben helfen lassen?“

Eine Tageszeitung brachte eine ganze Seite unter dem Titel: „Sterbehilfe: Aus Nächstenliebe töten. Aktive Sterbehilfe ist in Österreich tabu. Laut Umfrage sprechen sich aber zwei Drittel dafür aus.“

Im Forum der Online-Ausgabe einer Tageszeitschrift wurde das Thema Sterbehilfe für psychisch Erkrankte anlässlich eines konkreten Beispiels in den Niederlanden rauf und runter diskutiert.

Auch deutsche Fernsehsender nahmen das Thema wieder auf und diskutierten in Talkshows darüber (z.B. „Gibt es ein glückliches Sterben?“).

Die österreichische Diskussion wurde nun neu entfacht und verlängert: Laut der Wiener Zeitung „haben sich die Verhandler von SPÖ und ÖVP in der Gruppe ‚Direkte Demokratie und Staatsreform‘ geeinigt, das Verbot von Sterbehilfe in der Verfassung zu verankern. Gleichzeitig soll ein Anspruch auf palliativmedizinischer Begleitung Sterbender gesetzlich verankert werden.“

Meine Diskussionsbeiträge:

Persönliche Betroffenheit.

In der Debatte um medizinethische Themen werden Aussagen von behinderten Menschen oftmals abgetan. Ihre Argumente werden geringgeschätzt, weil sie angeblich durch ihre Behinderung und/oder Erkrankung als „befangen“ anzusehen wären.

Doch in der Abwehr steckt bei den „Fachleuten“ die Angst, zukünftig eventuell einmal selbst behindert und/oder schwer krank sein zu können. Und unser aller Erbe schwingt bei dieser Thematik stets mit: die menschenverachtende Ideologie und Politik des Nationalsozialismus sowie die abscheulichen Verbrechen des Euthanasieprogrammes. Bei einem Thema wie der „Sterbehilfe“ sind alle persönlich betroffen. Davor schützen auch kein Professorentitel, keine Augenbinde und kein weißer Mantel.

Wir alle haben, durch Erziehung und Umfeld beeinflusst, unsere Werte und Einstellungen entwickelt. Unter anderem zum Beispiel auch das „langsame, leidvolle Dahinsiechen“ einer nahestehenden Person. Das gilt auch für Menschen ohne Bekenntnis, ohne Religion, Menschen mit atheistischer oder agnostischer Weltanschauung.

Meine Brille. Deine Brille.

Wir alle sind einzigartige Individuen. Sehen und interpretieren die Welt durch unsere ganz persönliche Brille, blenden uns unangenehme Aspekte aus, treffen eine subjektive Auswahl und Entscheidung, betonen unsere Präferenzen.

Wir können uns aber auch mit Gleichgesinnten zusammentun, um unsere Überzeugungen stärker zur Geltung zu bringen. Unsere Gesellschaft besteht aus Individuen. Man kann sich auf etwas einigen, auf Gesetze, Regeln, Verbote. Das heißt aber nicht, dass diese Entscheidungen oder Kompromisse dann auch für einzelne Personen unbedingt gut sind. Faktoren wie z.B. Kriege oder Wirtschaftssysteme beeinflussen eine Gesellschaft.

Wie viel Platz lässt der Neoliberalismus dem nicht mehr leistungsfähigen, alten und kranken Menschen?

Österreich ist hier anders. Gott-sei-Dank. Noch.

Ich begrüße das Vorhaben der beiden genannten Parteien, das Verbot der Sterbehilfe in der österreichischen Verfassung fest schreiben zu wollen. Ein wichtiges und mutiges Signal an die vielen anderen Ländern, wo es teilweise schon erschreckende Entwicklungen gibt (Sterbehilfeorganisationen, Sterbehilfe an nicht einwillungsfähigen Personen, Sterbehilfe für psychisch erkrankte Menschen, Diskussion über Sterbehilfe an minderjährigen Personen). Ein mutiges Signal auch an die eigene Bevölkerung. Meiner Meinung nach wird dieser Plan zu vorschnell mit der katholischen Kirche verknüpft.

Die eigentliche Begründung der Ablehnung der Sterbehilfe ist für mich neben meinen persönlichen Erfahrungen vor allem die sog. „slippery slope“. Bewegen wir uns einmal auf der „schiefen Ebene“, dann kommt der Stein ins Rollen und kann sehr schwer oder nicht mehr aufgehalten werden. Auch lassen sich heutzutage in den meisten Fällen Schmerzen, Atemnot und Angstzustände palliativmedizinisch gut behandeln.

Das Leben ist nichts für Feiglinge.

„Ich kann mir ein Leben im Rollstuhl nicht vorstellen.“ Oder „Ein künstlicher Darmausgang? Nein, das werde ich mir nicht mehr geben.“ Sätze, die man immer wieder mal hört. Doppelt problematisch.

Denn erstens traut man sich selbst nicht zu, auf eine Änderung, eine neue Herausforderung zu reagieren und sich auf einen Prozess einzulassen (der sehr wohl in einer Akzeptanz münden kann). Und zweitens projizieren wir unsere oft überzogenen Ängste und Unsicherheiten auf Mitmenschen.

Wir lehnen diese Menschen automatisch ab, unsere falschen Vorurteile verfestigen sich, wir wollen im Alltag nicht mit ihnen konfrontiert werden. Wir kommen gar nicht auf den Gedanken, dass der Rollstuhlfahrer in der Nachbarwohnung sein Schicksal akzeptiert bzw. einen Umgang damit gefunden hat und im Großen und Ganzen ganz zufrieden ist mit seinem Leben. Und weil wir uns „so ein Leben“ – theoretisch – nicht vorstellen können, möchten wir eine Absicherung, für den Fall der Fälle. Eine Ausweitung und das Recht auf Sterbehilfe.

Doch das ist der falsche Ansatz. Wir haben vielmehr die persönliche Aufgabe, unsere eigenen Ängste zu bewältigen. Denn unsere Emotionen, unser Bedürfnis nach Sicherheit darf nicht zu einer Abwertung und Diskriminierung von scheinbar oder wirklich Betroffenen führen.

Leben heißt Veränderung.

An alle Sicherheitsfanatiker eine allgemeine Lebensweisheit vorab: „Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.“ Wer sich wirklich ernsthaft mit der Thematik und mit seinen damit zusammenhängenden Emotionen auseinandergesetzt hat, soll möglichst frühzeitig eine Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht für sich abschließen.

Der wirklich lebenssatte, resümierende und reflektierende Mensch, der eine Selbsttötung in Betracht zieht, wird spätestens nach einem Blick ins www eine Möglichkeit für sich finden. Oder aber er öffnet sich für einen ganz neuen Aspekt des Lebens. Es gibt natürlich Umstände, wo Menschen aufgrund ihrer Behinderung und/oder Erkrankung die Selbsttötung nicht (mehr) selbst vollziehen können.

Es gibt natürlich auch Umstände, wo Schmerzen auf Therapien nicht (mehr) ansprechen und für den Betroffenen unerträglich werden. Solche Situationen müssen m.E. individuell in Ethikkommissionen entschieden werden und auch dort bleiben. Daraus darf kein juristischer Präzedenzfall werden. Die Angst vor den Grenzen des Lebens darf nicht zur kollektiven Psychose werden. Wir müssen uns (wieder) unseren Ängsten und Fragen stellen. Schon möglichst früh, am besten in einem verpflichtenden Ethikunterricht in Schulen.

Leben heißt, den Weg zu Ende gehen.

Niemand möchte „im Pflegeheim enden“. Verständlich. Das möchte ich auch nicht. Aber zumindest ich habe auch die Erfahrungen gemacht, dass sich Prioritäten und Werte verschieben bzw. Einstellungen ändern können. Scheinbar wichtige Themen verlieren ihre Bedeutung. Man schätzt jeden Tag, sieht die Welt mit anderen Augen, hört die Zwischentöne im Trubel des Alltages, entdeckt neue Aspekte, schätzt einfache Dinge.

Das Leben ist einzigartig und kostbar. Das Leben ist nie unwürdig. Unwürdig sind nur die Umstände, und die können wir sehr wohl verändern. Und damit meine ich nicht die Antworten der Wirtschaft auf das Thema „Tod und Sterben“.

Vor kurzem hatte ich ein Gespräch mit einer Freundin. Ihr über 90jähriger Großvater lebt im Pflegeheim. Es gibt wenig lichte Momente. Seine Gedanken und Emotionen werden durch Erinnerungen an die Kriegsgefangenschaft dominiert. Zweimal ist er im Pflegeheim im Rahmen einer zusätzlichen Erkrankung dem Tod nur knapp entronnen. Er ist stark, sein Körper wehrt sich gegen das Sterben, er kämpft ungemein, bestätigt sein Arzt. Manchmal sagt der Großvater auch, dass er nicht mehr leben möchte. Das Mitansehen-Müssen ist für die Angehörigen schlimm. Was ist das Beste für den Großvater?

Wer bin ich, dass ich mir anmaße, zu entscheiden, was das Beste für so einen Menschen sei? Aber etwas weiß ich: Sicherlich nicht die tödliche Injektion als Akt einer pervertierten Nächstenliebe. Ich denke mir, es gibt noch etwas, was ihn am Leben hält. Vielleicht muss er in seinen Träumen und Gedanken noch eine Aufgabe bewältigen, zu einem Abschluss kommen. Ich glaube, der Großvater meiner Freundin macht einen Prozess durch. Lassen wir ihn, seinen Lebensweg zu Ende gehen. Unter menschenwürdigen Umständen. Ohne Druck von der Gesellschaft. Das Aushalten ist für die Angehörigen trotzdem schwer, aber m.E. notwendig.

Selbstbestimmtes Sterben?

Die menschliche Seele ist ambivalent und komplex. Einerseits wollen wir einen kurzen und schmerzlosen Tod. Doch andererseits ist der Überlebenstrieb des Menschen stark, sehr stark.

Kann man selbstbestimmt geboren werden?
Sich Familie und Umstände auswählen?
Geburt ist ein Prozess.
Geburt ist ein Hinausgestoßen-Werden in eine unsichere Welt.

Was heißt Sterben?
Sterben: langsam qualvoll dahin vegetieren.
Sterben: am festgesetzten Tag zur festgesetzten Stunde durch die tödliche Injektion ohne Garantie bezüglich Auftreten eventueller Komplikationen.
Sterben: unerwartet, überraschend, aus dem Leben gerissen werden.
Sterben: der Sekundentod.
Sterben: ein Prozess, Resümieren, Loslassen.

Beim Sterben kann mir im Grunde niemand wirklich helfen.

Sterben: entzieht sich letztendlich unseren lächerlichen Versuchen der Einflussnahme und menschlichem, gesellschaftlichen und/oder ärztlichem Größenwahn, Herr über Leben und Tod sein zu können. Der Traum vom unsterblichen Leben und dem For-ever-young wird trotz wissenschaftlichen Fortschritts ein solcher bleiben.

Sterben: wie auch immer als Bestandteil des Lebens akzeptieren.

Nachbemerkung: Ich habe selbst Multiple Sklerose, bin auf den Rollstuhl angewiesen und chronischer Schmerzpatient. Diese Herausforderungen gehören zu meinem Leben und stellen keine Minderung meines LebensWERTS dar. Ich bin ein vehementer Sterbehilfe-Gegner.

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