Volksinitiative

In weiterer Folge entwickelte sich in der Schweizer Behindertenbewegung eine Diskussion darüber, ob es nicht besser wäre, zur Erhöhung der Chancen zusätzlich eine sogenannte Volksinitiative ins Leben zu rufen:

Von diesem Volksbegehren könnte nach Ansicht vieler eine weit stärkere und anhaltendere Signalwirkung auf alle Teile der Bevölkerung ausgehen als von der Initiative Suters. Immer mehr setzte sich die Meinung durch, die parlamentarische Initiative Suters sei kein Hindernis, sich zur Erreichung des Zieles gleichzeitig auch des Instrumentes Volksinitiative zu bedienen.

Denn es ist ziemlich ungewiß, welche Textversion letztlich vom National- und Ständerat tatsächlich beschlossen wird und es besteht die berechtigte Befürchtung, daß eine schwächere und unvollständige Version (insbesondere ohne den Satz zur Drittwirkung = die Gewährleistung der Zugänglichkeit) beschlossen werden könnte.

Im März 1998 fand in Bern am Bundesplatz eine Großdemonstration statt, an der 8.000 großteils behinderte Personen teilnahmen. Am 18. August 1998 wurde in Bern die Volksinitiative "Gleiche Rechte für Behinderte" vorgestellt, in deren Rahmen mehr als 40 Vereine aus dem Behindertenbereich Unterschriften sammelten, um eine Änderung der Bundesverfassung durchzusetzen.

Die Initiative wurde u. a. von sechs Parlamentariern aus allen vier im Bundesrat vertretenen Parteien unterstützt.

Ziel ist die Schaffung eines Gleichstellungsartikels in Form eines Verfassungszusatzes in Artikel 4 Absatz 3. Der Text geht über den der Initiative Suter hinaus und lautet: "Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen ... einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung (Diskriminierungsverbot).

Das Gesetz sorgt für die Gleichstellung behinderter Menschen. Es sieht Maßnahmen zur Beseitigung und zum Ausgleich bestehender Benachteiligungen vor (Gleichstellungsgebot).

Der Zugang zu Bauten und Anlagen oder die Inanspruchnahme von Einrichtungen und Leistungen, die für die Öffentlichkeit bestimmt sind, ist soweit wirtschaftlich zumutbar gewährleistet (Drittwirkung)."

Dabei geht es um den freien Zugang zu allem, was nichtbehinderten Menschen offen steht (Schule, Arbeit, Baulichkeiten, Kommunikation, usw.) und es wäre damit erstmals die Möglichkeit vorhanden, einen nicht gewährten Zugang einzuklagen. Damit würde auch die Schweiz neue Standards in unseren Bürgerrechten setzen.

Die Volksinitiative benötigt 100.000 Unterschriften, damit ihr Text für eine Volksabstimmung in Frage kommt. Am 18. April 1999 erhielt die Schweiz eine neue Bundesverfassung.

Dies war für die Schweizer Behindertenbewegung ein großer Glücksfall gewesen, denn mit Mehrheit stimmte die Bevölkerung einem Diskriminierungsverbot und dem Auftrag an den Staat zu, ein Gleichstellungsgesetz zu erlassen.

In Artikel 8 Absatz 2 heißt es: "Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen ... einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung". Absatz 4 lautet: "Das Gesetz sieht Massnahmen zur Beseitigung von Benachteiligungen der Behinderten vor." Inkrafttreten werden die neuen Bestimmungen voraussichtlich am 1. Jänner 2000.

Dies wird von der Schweizer Behindertenbewegung als ein wichtiger Teilerfolg angesehen, denn zwei Drittel ihrer Forderungen wurden dadurch bereits erfüllt. Es fehlt aber auch weiterhin noch die Erfüllung der wichtigen Forderung nach einer Gewährleistung der Zugänglichkeit für Gebäude, Einrichtungen und Anlagen, die für die Öffentlichkeit bestimmt sind.

Daher wurde die Volksinitiative am 14. Juni 1999 - nach nur neun Monaten Sammelzeit (!) - mit mehr als 120.000 gültigen Unterschriften bei der Bundeskanzlei in Bern eingereicht.


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