Haltung zur eugenischen Indikation ist zu verändern

Ich rege an, einen Arbeitskreis mit Betroffenen einzurichten. Ein Kommentar.

Franz-Joseph Huainigg
Christian Müller

Laut dem 1975 in Kraft getretenen § 97 des Strafgesetzes ist es als Ausnahmebestimmung zur Fristenregelung möglich, bei Verdacht auf eine geistige oder körperliche schwere Behinderung, bis zur Geburt abzutreiben.

Diese unterschiedliche Wertung von behindertem und nichtbehindertem Leben ist eine Diskriminierung und ein Verstoß gegen die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen.

Dass es sich bei der eugenischen (embryopathischen) Indikation um eine Diskriminierung handelt, wird vom Justizministerium noch immer nicht anerkannt. Das zeigt eine aktuelle Anfragebeantwortung auf die Bürgerinitiative #fairändern. Dazu beinhaltet die Stellungnahme derart diskriminierende Formulierungen, die das Unwissen über die Lebenssituation von Menschen mit Behinderung offensichtlich machen!

§ 97 spricht von einer „ernsten Gefahr, dass das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt sein wird“. Anstatt den Begriff „Gefahr“ im Sinne der UN-Konvention zu hinterfragen, definiert das Justizministerium diese „je nach Lehrmeinung schon bei einem gegenüber dem gegebenen Grundrisiko um etwa fünf bis zehn Prozent erhöhten Schädigungsrisiko“.

Das ist dringend zu hinterfragen! Nimmt man die Einstufung des Behinderungsgrades im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, gilt jemand erst ab einer Behinderung von 50 % als „begünstigt behindert“. Natürlich kann auch jemand mit einer Einstufung von 100 % Behinderung, so wie ich, der weder Arme noch Beine bewegen kann und auf künstliche Beatmung angewiesen ist, nicht nur arbeiten, sondern auch ein selbstbestimmtes und zufriedenes Leben führen.

In der Stellungnahme definiert das Justizministerium als Tötungsgrund auch die ,,Gefahr von Down-Syndrom, Gehörlosigkeit, Blindheit, seelischem und geistigem Leiden‘‘. Dabei bezieht es sich auf Erkenntnisse eines Arbeitskreises von vor 18 Jahren. An der Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen hat sich seither vieles geändert. Menschen mit Down-Syndrom und jenen, die gehörlos oder blind sind, ein Lebensrecht abzusprechen, ist nicht gerechtfertigt. Auch, wie ein seelisches Leiden bei einem Embryo festgestellt werden soll, ist fragwürdig!

Das Unwissen der Justizbeamten wird noch offenkundiger bei der medizinischen Einordnung von Gehörlosigkeit und Blindheit unter dem Überbegriff „irreparable Demenz“ und es werden diskriminierende Begriffe wie „taubstumm“ und „Schwachsinn“ verwendet. Seit 2005 ist die Österreichische Gebärdensprache (ÖGS) in der Verfassung als Minderheitensprache anerkannt. Spätestens seit damals sollte es auch der Justiz klar sein, dass gehörlose Menschen nicht stumm sind.

Es geht darum, die gesetzliche Diskriminierung und Ungleichwertung von Leben im § 97 des Strafgesetzbuches zu diskutieren und zu beseitigen sowie werdende Eltern eines behinderten Kindes besser zu unterstützen.

Bundesministerin Alma Zadić könnte im Justizministerium einen Arbeitskreis unter Einbeziehung von Behindertenvertreter*innen, Eltern behinderter Kinder, Vertreter*innen aus dem Bereich Familienberatung und Justiz einsetzen und einen längst fälligen Diskurs starten. Dabei könnte die Expertise des vorbildlichen partizipativen Prozesses beim Erwachsenenschutzgesetz genutzt werden.

aktion leben hat schon 2009 mit ihrer Bürgerinitiative „Mit Kindern in die Zukunft“ konstruktive Vorschläge in das Parlament eingebracht und die Verankerung der Menschenwürde in der Verfassung gefordert.

Dr. Franz-Joseph Huainigg ist Vorstandsmitglied der aktion leben österreich. Dieser Kommentar ist zuerst in der Presse erschienen.

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6 Kommentare

  • Ich unterstütze Ihr Anliegen einen Arbeitskreis mit Betroffenen einzurichten.Möge es Ihnen gelingen.irmgard jiresch

  • Menschen entscheiden über das Lebensrecht anderer Menschen. Wer von uns möchte dem ausgesetzt sein, daß andere Menschen sich das Recht herausnehmen ,über lebenswertes- und unwertes Leben zu entscheiden?
    „Die Sorge um mein Kind bringt mich um den Verstand“. Wie soll da ein klares Denken möglich sein? Angst ist kein geeigneter Ratgeber.
    Und was ist ein normales Leben? Leben ist in jedem Fall einzigartig, auch weitgehend Gesunde unterliegen Einschränkungen, die sie behindern können.
    “ Nachdenken müsste man beim Sterben nur bei Einsichts- und Einwilligungsunfähigen“,…so so, wer also keine Einsicht zeigt, daß sein Leben beendet gehört, der könnte gegen seine Einsicht getötet werden?
    Es bleibt jedem selbst überlassen, seinem Leben ein Ende zu setzen, aber niemand hat das Recht zu töten, aus welchem Grund auch immer.

    • Sie können/wollen es nicht verstehen. Auch gut.

      Menschen, die nicht mindestens einsichts- und einwilligungsfähig sind, sind der ethisch und juristisch problematische Fall, der regelungsbedürftig ist und in dem man im Zweifel davon ausgehen muss, dass diese Menschen leben wollen. Der Normalfall ist die uneingeschränkte Geschäftsfähigkeit, wo jeder Eingriff in die freie Lebensgestaltung gerechtfertigt sein muss.

  • Ich bin eine Mutter einer 19jährigen mehrfach schwerbehinderten Tochter. Die Behinderung meiner Tochter ist eine Herausforderung im Alltag, aber niemals Leid – Leid entsteht bei mir durch die Stolpersteine, die Bürokratie und Gesellschaft teilweise legen (ich habe nicht nur schlechte Erfahrungen – aber halt auch ;-)). Und Leid erzeugt bei mir vor allem der Gedanke, dass es Menschen gibt, die meiner Tochter das Recht auf Leben absprechen. Die Möglichkeit, ein Kind mit Behinderung straffrei auch spät noch abzutreiben, erzeugt eine Bewertung im Hinblick auf lebenswert und nicht lebenswert – und das erzeugt bei mir nicht nur Leid, sondern Angst. Das Problem stellt aus meiner Sicht nicht die Behinderung eines Menschen dar, sondern das Problem ist oft, WIE mit Menschen mit Behinderung umgegangen wird – da vermisse ich oft die Werte „Würde, Menschlichkeit, Wertschätzung“.

  • Was ist passiert, dass sie (eine Mutter) so verzweifelt sind, um solch einen Text schreiben zu können.

  • Ein großer Teil der Behinderten hat kein normales Leben. Ich hätte auch nur beim geringsten Anzeichen für die Behinderung meines Kindes abgetrieben. Alles Andere ist hartnäckiges Verschließen der Augen vor der Wirklichkeit. Kein Wunder, dass derlei Zurufe ungehört verhallen, kann man nicht wirklich ernst nehmen.
    Die Sorge um mein Kind bringt mich um den Verstand. Die Hilfsangebote sind mir bekannt, danke. Die Nazis haben auch die Zahnmedizin für ihren Terror missbraucht, kein Grund, deswegen über menschenwürdiges Leben und Sterben nachzudenken. Nachdenken müsste man beim Sterben nur bei Einsichts- und Einwilligungsunfähigen, alle Anderen sollen bitte ihr Leben wenigstens beenden dürfen, wann und durch wen auch immer.