Verfassung: Was kann das neue Benachteiligungsverbot?

Bekanntlich wurde im Sommer vorigen Jahres die Aufnahme der Behinderten in den Gleichbehandlungsartikel des Bundesverfassungsgesetzes in einer Form beschlossen, die dieser Bestimmung eine besondere Bedeutung verleiht.

Heinz Barazon
BIZEPS

Es wurde nämlich nicht nur normiert, daß niemandem aus seiner Behinderung ein Nachteil erwachsen dürfe, sondern es wurde auch festgelegt, daß die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) die Gleichbehandlung „in allen Bereichen des täglichen Lebens“ gewährleisten wird.

Verfassungsgesetze wirken in verschiedener Weise auf verschiedene Rechtsbereiche. Soweit es die Gesetzgebung betrifft, riskieren verfassungswidrige Gesetze oder die verfassungswidrige Bestimmungen innerhalb von Gesetzen sowie gesetz- oder gar verfassungswidrige Verordnungen die Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof.

Im Bereich der Vollziehung riskieren Entscheidungen und sonstige Verwaltungsakte, die einem verfassungskonformen Gesetz nicht entsprechen, die Aufhebung durch den Verwaltungsgerichtshof (VwGH), allenfalls, sollten die Akte selbst die Verfassung verletzen, die Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof (VfGH).

Es ist nicht einfach
Der Weg zu den Gerichtshöfen ist insofern nicht einfach, als prinzipiell ein eventuell vorgesehener Instanzenzug innerhalb der Verwaltung durchschritten sein muß bis man den VwGH oder den VfGH anrufen kann. Dieser Weg ist mit Aufwand von Zeit, Mühe und Geld verbunden, zumal die Vertretung vor den Gerichtshöfen durch Rechtsanwälte erforderlich ist, was ebenfalls Kosten verursacht. Es werden zwar die Anwaltskosten in der Bevölkerung üblicherweise weit überschätzt, doch sind sie auch nicht zu vernachlässigen.

Es gibt auch noch einen zweiten Weg, zum VfGH zu gelangen. Der Art. 140 Abs. 1, letzter Satz der Bundesverfassung bestimmt, daß der VfGH direkt angerufen werden kann, wenn ein Gesetz ohne behördliche Aktion direkt auf den Staatsbürger wirkt. Eine analoge Bestimmung betreffend Verordnungen findet sich im Art. 139 B-VG. Dieser Weg ist zwar einfacher als der erstgenannte, doch gibt es sehr wenige Fälle, wo die Voraussetzungen zutreffen. Daher ist diese Anrufungsmöglichkeit des VfGH nicht wirklich praktisch geworden. In den letzten Jahren kamen nur einige wenige derartige Fälle vor.

Eine direkte Wirkung auf den Bereich des Privatrechts besteht für ein Verfassungsgesetz nicht. Die Wirkung auf das tägliche Leben kann nur dadurch erzielt werden, daß in einfachen Gesetzen Regelungen normiert werden, die die Benachteiligung der Behinderten verbieten oder in gewissen privatrechtlichen Bereichen die besondere Behandlung von Behinderten vorschreiben.

Eine solche Regelung stellt z. B. das Behinderteneinstellungsgesetz dar, das nicht nur dem Staat und seinen Behörden, sondern allen Wirtschaftstreibenden, die mehr als 25 Dienstnehmer beschäftigen, die Einstellung eines Behinderten aufträgt. Ein leider noch nicht realisiertes Beispiel wären die Bauordnungen, die auf Grund der jetzigen Verfassungsrechtslage festlegen müßten, daß alle Gebäude behindertengerecht zu gestalten sind. Da auch die Gemeinden im neu gefaßten Art. 7 B-VG angesprochen werden, hätten sie die von ihnen betriebenen öffentlichen Transportmittel behindertengerecht zu gestalten.

Derzeit könnte die Nichtentsprechung dieses Verfassungsgebots eventuell durch Beschwerden beim VfGH auf Grund der Art. 139 und 140 angefochten werden, wobei dieser Weg aber nicht einwandfrei zu sein scheint. Um wirksam in dieser Richtung vorzugehen, bedarf es der Schaffung eines Gleichstellungsgesetzes, welches dem einzelnen Behinderten oder auch Behindertenverbänden sowohl das Beschwerderecht bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts wie auch das Klagerecht bei den ordentlichen Gerichten einräumt. Ein solches Gesetz zu erwirken, ist eine politische Aufgabe, die unmittelbar in Angriff genommen werden sollte.

Durchforstung der Gesetze
Außerdem durchforsten derzeit Arbeitsgruppen in den diversen Ministerien die verschiedenen Gesetze auf behindertendiskriminierende Bestimmungen. Diese Bestimmungen müßten entweder im Wege von Novellierungen der Gesetze beseitigt oder beim VfGH angefochten werden. Die Übereinstimmung eines Gesetzes mit der Verfassung bezieht sich nämlich nicht nur auf neu geschaffene Gesetze. Auch alte Gesetze müssen dahingehend jeweils überprüft werden, ob sie der Verfassungsrechtslage entsprechen oder nicht.

Zusammenfassend muß festgelegt werden, daß viel Arbeit und Energie nötig sein wird, um die Aufnahme der Behinderten in den Art. 7 der Bundesverfassung in der Realität wirksam werden zu lassen.

Anmerkung der Redaktion: Der Verfasser, Prof. Dr. Heinz Barazon, hat einen Entwurf eines solchen Gesetzes bereits vor längerer Zeit verfaßt. Dieser Entwurf wurde nicht nur Behindertenverbänden, sondern auch dem Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes übermittelt und stellt eine zweifellos brauchbare Diskussionsgrundlage dar.

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