Wien: Barbie und Becky im Kunsthaus.

Barbie hat eine neue Freundin. Und weil sie gerade ihr neues zweigeschossiges Haus - ein Traum in pastell - bezogen hat, brennt sie natürlich darauf, ihre neue Freundin Becky zu sich einzuladen.

Puppe Becky im Rollstuhl
Mattel

Aber jetzt gibt es ein Problem:
Becky, die ihrer Freundin Barbie ähnelt, als wären die beiden aus einem Plastik-Guß, paßt mit dem coolen Rollstuhl in pink, in den sie die politisch korrekten Designer von Mattel, Amerikas größtem Spielzeughersteller, gesetzt haben, nicht durch die Türen von Barbies 100$-Traumhaus. Welch bitterer Realitätsbezug wider Willen.

ORTSWECHSEL: „Der gerade Boden ist eine Erfindung der Architekten. Er ist maschinengerecht und nicht menschengerecht.“ (Friedensreich Hundertwasser). Diese goldenen Worte begrüßen die BesucherInnen im Wiener Kunsthaus. Und dann steht da noch: „Der unebene Wandelgang … bringt den ganzen Menschen in Schwung.“ Und wie er das tut!

Gleich drei nichtbehinderte Menschen konnten sich an einem der vergangenen Samstag Vormittage aus der Maulwurfsperspektive von der „Menschengerechtigkeit“ des Hundertwasserschen Bodens überzeugen.

Direkt vor der Tafel „Über den unebenen Boden“ waren sie alle drei an der Bewältigung einer Bodenwelle gescheitert und taten sich sichtlich schwer, den wunderbaren Humor der Worte „Architektur soll den Menschen erheben und nicht erniedrigen“ zu erfassen – ganz zu schweigen von dem schönen Gedanken über die „seit Menschengedenken natürliche Erdbeziehung und Erdberührung“. Um der Süffisanz die Krone aufzusetzen, gefällt es mir nun ausgesprochen gut, Barbie und Becky gemeinsam ins Kunsthaus zu schicken, auf daß sie sich eine Ausstellung ansehen.

Doch mein Gedankenexperiment scheitert schnell: Leider können sie die Klingel nicht gleich finden, mit deren Hilfe sie im Inneren des Kunsthauses anzeigen könnten „Wir wollen auch hinein“ und geben entmutigt auf. (Und das liegt keineswegs an Barbies Haarfarbe, sondern daran, daß die beiden aus einem Land kommen, in dem RollstuhlfahrerInnen der Zugang zu öffentlichen Gebäuden ohne weiteres Bitten und Betteln gewährt wird.) Dieses schnelle Aufgeben ist vielleicht auch ganz gut so.

Es hat ihnen möglicherweise die Erfahrung erspart, die ich letztes Jahr beim Besuch der Ausstellung über Herb Ritts machen mußte: Einmal mit dem Lift ins oberste Geschoß des Kunsthauses gelangt, blieb mir ein Abtransport per Aufzug verwehrt – „Er spinnt mal wieder.“

Seither komme ich recht selten ins Kunsthaus: Ich wage mich nämlich nur mehr in Begleitung von mindestens zwei transporterfahrenen FreundInnen dorthin. Zum Abtransport über den „belebten, unebenen“ Fußboden, der „eine Wiedergewinnung der Menschenwürde, die dem Menschen im nivellierenden Städtebau entzogen wurde, bedeutet“.

Angesichts der Tafel im Foyer des Kunsthauses, die Wissenswertes „Über den unebenen Boden“ vermitteln will, frage ich mich dann immer, warum es so viele Menschen gibt, die es nötig haben, „menschengerecht“ und „behindertengerecht“ derart auseinanderzudividieren.

Und ob es wohl tatsächlich den Verlust der Menschenwürde zur Folge hat, wenn sich Rollstuhlfahrer, Krückengeher, … und nichtbehinderte Menschen auf ein und demselben Boden (Niveau) bewegen können.

Und vor allem: Wer hat da jetzt seine Würde verloren, indem er sein Niveau gezeigt hat, Herr Hundertwasser??

Und zuletzt: Ich kann mich nur auf nicht menschengerechtem Boden (siehe oben) fortbewegen – bin ich jetzt eine Maschine? Welch bittere Realität.

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