Rieder zu Gross: SPÖ hat Mut über die Vergangenheit zu reden

Rieder bei Diskussion "Was passierte in den Jahren? Der Fall Gross und die SPÖ"

Sepp Rieder
Rigaud, Peter

Der Wiener BSA-Vorsitzende, Stadtrat Sepp Rieder nahm Mittwoch abend mit Wolfgang Neugebauer, Leiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes (DÖW) und dem Mediziner Ernst Berger an der von der SPÖ Leopoldstadt veranstalteten Diskussion „Was passierte in den Jahren? Der Fall Gross und die SPÖ“ teil.

Rieder bekannte, wenn die Sozialdemokratie aus ihrem Umgang mit der Person des ehemaligen NS-Arztes Gross „lernen“ wolle, so müsse zur Kenntnis genommen werden, dass es dabei zu „Fehlern“ gekommen sei. Die Sozialdemokratie sei sich ihrer Verantwortung bewusst und „wenn man den Mut habe über die Vergangenheit zu diskutieren, so kann man vielleicht etwas für die Zukunft mitnehmen“, sagte Rieder.

Neugebauer betonte, dass sich die SPÖ von braunen Flecken in den eigenen Reihen distanzieren müsse, um in der Auseinandersetzung mit der FPÖ nicht an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Berger erklärte, dass die SPÖ nach 1945 Teil eines „gesellschaftlichen und politischen Systems war, das auf das Zukleistern von Altlasten und der Vergangenheit“ ausgerichtet gewesen sei.

Rieder erörterte weiters, dass Gross damals „kein sensationeller Einzelfall“ gewesen sei. Angesichts der bevorstehenden Unterzeichnung des Staatsvertrages, wollten die „großen Parteien, die sich in der ersten Republik noch bekämpft hatten, eine Schlussstrich unter Austrofaschismus und die Zeit des Nationalsozialismus ziehen, mit dem Preis des absoluten Verdrängens“. Mit der Bedeutung des Faschismus habe man sich in dieser Zeit nicht auseinandergesetzt. Man wollte „ja kein Argument aufkommen lassen“, das Österreichs Unabhängigkeit gefährden könnte, so Rieder.

Zur Frage der behaupteten „SPÖ-Karriere“ von Gross, meinte Rieder, dass Gross „erst unter einem Wiener ÖVP-Stadtrat etwas geworden“ sei. Das Gesundheitsressort sei in Wien bis 1983 im Bereich der ÖVP gelegen, und Gross habe seine „Karriere“ in der psychiatrischen Medizin „einem ÖVP-Stadtrat zu verdanken“.

Die Frage, warum die Justiz Gross in der Vergangenheit nicht verfolgt habe, sei unter anderem auch darin begründet, dass dieser Fall damals „nicht den gleichen Diskussionsstellenwert wie heute hatte“, so Rieder weiter. Es habe damals zwar eine öffentliche Diskussion gegeben, jedoch sei diese von keiner der damals im Parlament vertretenen Parteien aufgegriffen worden. Dem ehemaligen Justizminister Christian Broda könne man den Vorwurf machen, dass er „keine Weisung zur Aufnahme eines Verfahrens“ gegen Gross gegeben habe, konstatierte Rieder.

Die heute gerichtlich festgestellte Verfahrensuntauglichkeit von Gross aus gesundheitlichen Gründen, will Rieder aber nicht hinnehmen. Wenn ein Briefbombenattentäter bei Abwesenheit aus dem Gerichtssaal von seinem Anwalt vertreten werde, warum solle dies dann nicht auch bei einem Kranken in gleicher Weise möglich sein, fragte Rieder. Auf seine Vorschlag habe Rieder zwar schon juristische Gegenargumentationen erhalten, „ich bin aber noch immer nicht überzeugt, dass das nicht möglich wäre“.

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