Ultraschall

Podiumsdiskussion: Schadenersatz für unerwünschtes Leben (Wrongful birth)

Zwei kontroversielle oberstgerichtliche Entscheidungen waren Thema der 2. Podiumsdiskussion der Reihe "Rechtspanorama am Juridicum" am 6. November 2006.

Dr. Irmgard Griss (OGH-Vizepräsidentin), Prof. Dr. Christian Dadak (AKH Wien), Prof.Dr.Dr. Christian Kopetzki (Medizinrecht Uni Wien), Prof. Dr. Robert Rebhahn (Arbeitsrecht Uni Wien), Prof. Dr. Gerhard Luf (Rechtsphilosophie Uni Wien) beleuchteten die Problematik jeweils aus ihrem Fachgebiet.

Ohne auf die einzelnen Sachverhalte und Haftungsgründe in diesem Rahmen im Detail eingehen zu können, diskutierten die Expertinnen und Expterten grundsätzlich zwei Fragen:

Kann die unerwünschte Geburt eines Menschen einen Schaden im Sinne des Schadenersatzrecht darstellen, und wie weit soll die Aufklärungspflicht durch eine/n MedizinerIn gehen.

In der österreichischen Rechtssprechung gibt es dazu drei richtungweisende oberstgerichtliche Entscheidungen.

Schlagwort „Wrongful birth“

Erstmals wurde die Frage, die unter dem englischen Schlagwort „Wrongful birth“ diskutiert wird, von Seiten des Obersten Gerichtshof in der Entscheidung (1Ob 91/99k) im Jahr 1999 behandelt. In diesem Urteil bejahte der OGH grundsätzlich eine Schadenersatzpflicht, und billigte den Mehrbedarf durch Behinderung zu. Der OGH sprach damit aus, dass die Geburt eines Menschen an sich keinen Schaden darstellen kann, sondern der Schaden nur in den Kosten gesehen werden kann, die durch die Behinderung selbst entstehen.

Anders entschied der OGH nun in der Entscheidung 5Ob165/05h, die Anlass für eine breite Diskussion in der Öffentlichkeit und Thema der Podiumsdiskussion war. In diesem Fall geht es darum, dass in der 22. Schwangerschaftswoche vom behandelnden Gynäkologen am Ultraschall eine Anomalie festgestellt wurde und es die Schwangere in eine Risikoambulanz überwies. Die Patientin befolgte seinen Rat jedoch vorerst nicht. Auch bei einem weiteren Besuchen in seiner Ordination, bei denen auch der Kindsvater anwesend war, wiederholte der behandelnde Arzt seine Aufforderung. Erst anlässlich der dritten Ordination entschloss sich die Patientin zu einer Untersuchung in einer Risikoambulanz, wo eine Behinderung (Trisonomie 21) des Kindes festgestellt wurde.

In diesem Fall wurde eine Haftung des behandelnden Arztes seitens des OGH festgestellt und – das macht die Entscheidung darüber hinaus bemerkenswert – dass der gesamte Unterhalt des Kindes zu ersetzen ist. Erstmals wurde somit in der Geburt eines Kindes an sich ein Schaden gesehen.

In der vorläufig letzten Entscheidung zur Frage ungewollter Geburt (6 Ob 101/06f) geht es um den Fall eines Vaters von drei Kindern, der sich zur Durchführung einer Vasektomie (Sterilisation) entschied. Diese war allerdings nicht erfolgreich, sodass er schließlich Vater eines weiteren gesunden Kindes wurde. Der behandelnde Arzt klärte nach Ansicht des Klägers nicht darüber auf, dass es in seltenen Fällen zu einer Wiederverbindung der abgetrennten Samenleiter kommen kann.

In seinem Urteil lehnte der OGH nun wiederum eine Schadenersatzpflicht ab, da in der Geburt eines Kindes kein Schaden erblickt werden kann.

Von wesentlicher Bedeutung ist in diesem Zusammenhang natürlich auch die Frage, ob in den konkreten Fällen der ärztlichen Informationspflicht im ausreichenden Maß entsprochen wurde. Diesbezüglich herrscht unter Medizinern derzeit eine große Verunsicherung. Es wird daher Aufgabe der Rechtssprechung sein, klare und einheitliche Richtlinien aufzustellen.

Von eminenter Bedeutung in juristischer wie aber auch in ethischer Hinsicht bleibt aber die Frage, ob die Geburt eines Menschen jemals ein Schaden sein kann.

Eine Frage, die auch die hochkarätige Runde des Podiumsdiskutanten nicht einheitlich lösen konnte. Sowohl von den Experten wie auch aus dem aus unterschiedlichsten Berufsrichtungen zusammengesetzten Publikum kam die Forderung an den Gesetzgeber eine klare einheitliche Regelung zu schaffen.

Aussagen der Expertinnen und Experten

Hier ein paar der wesentlichsten Aussagen der einzelnen Experten:

Prof.Dr.Dr. Christian Kopetzki: Geborenes Leben kann keinen Schaden darstellen. Allenfalls kann nur ein Unterhaltsanspruch Schaden sein. Eine Diskriminierung von behinderten Leben kann nur dann vorliegen, wenn man davon ausgeht, dass als Schadenersatz der Mehraufwand zusteht. Billigt man den gesamten Unterhaltsanspruch zu, dann liegt keine Diskriminierung vor. Grundsätzlich kann aber die Lösung ethischer Fragen nicht Aufgabe der Höchstgerichte sein. Diese sollten sich immer nur am positiven Recht orientieren.

Prof. Dr. Robert Rebhahn: Der Anspruch auf Ersatz des vollen Unterhalts bei behinderten Kindern könne wohl nur dann bejaht werden, wenn man auch bei der (ungewollten) Geburt eines nicht behinderten Kindes den Unterhaltsanspruch als ausgleichsfähig ansehe. Grundsätzlich sollte der Gesetzgeber eine Regelung treffen. Als Beispiel gelte Frankreich, wo der Gesetzgeber sowohl den Eltern wie dem betroffenen Kind selber – ob behindert geboren oder nicht – jeglichen Schadenersatzanspruch aus dem bloßen Grund der Geburt, abspricht.

Pro. Dr. Gerhard Luf: Auch die Obergerichte sollen sich Gedanken machen, was mit der Lösung einer Frage im Rahmen einer Entscheidung ethisch ausgelöst wird. Hier sind dem Recht eindeutig Schranken gesetzt und es fließen Billigkeitselemente ein.

Dr. Irmgard Griss: Es ist auch einem Höchstgericht nicht möglich, eine derartige Frage nur rechtsdogmatisch zu lösen. Auch Richter lassen ihr ethisches Weltbild in die Entscheidungsfindung einfließen. Das Bemühen der Gerichte um eine Lösung kann immer nur eine unbefriedigende Annäherung sein.

Prof. Dr. Christian Dadak: Ein in der Schwangerschaft festgestellte Trisonomie 21 sagt noch nicht wirklich aus, dass das geborene Kind jedenfalls schwer behindert ist. Wo fängt Behinderung an? Wir tragen alle einen genetischen Schaden in uns.

„Behinderung immer ein Schaden?“

Ein interessanter Beitrag stammte auch aus dem Publikum: Ist eine Behinderung immer ein Schaden, der eines finanziellen Ausgleichs bedarf? Als positives Beispiel gelte Stephen Hawkins, der trotz oder vielleicht gerade wegen seiner Behinderung in der Lage ist, sehr viel Geld zu verdienen. Wann kann daher überhaupt festgestellt werden, ob und in welchem Ausmaß ein Schaden vorliegt.

Auch nach dem offiziellen Teil wurde in kleinen Gruppen heftig weiterdiskutiert. Insgesamt hat die Diskussion aufgezeigt, dass es sich um einen sehr komplexen Fragenkatalog handelt, dessen Beantwortung hohe Anforderungen sowohl in juristischer wie vor allem in ethischer Hinsicht an die Verantwortlichen stellt.

Sämtliche zitierten Entscheidungen findet man auf der Rechtsdatenbank des BMJ

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