Klaus Candussi

Bitte mehr Skandal!

Vorab: Was in der Admonter Lebenshilfe wirklich passierte, wird hier nicht geklärt. Die mediale Aufdeckung möglichen Fehlverhaltens ist wichtig, die öffentliche Aufregung darüber verständlich. Sie wird kurz anhalten.

Eine Klärung bei Gericht wird folgen und damit noch zwei Tage Medieninteresse. Schade, dass damit Skandal und Aufmerksamkeit schon wieder vorbei sein werden! Nutzen wir doch Aufregung und Aktualität für einen Blick auf die Lebenswelt jener Menschen, um die es geht.

Die wenigsten von ihnen sind krank. Aber die Internet-Postings sind voll Mitleid mit den „Patienten“. Die wenigsten sind bettlägrig. Warum lese ich überall von ihrer „Pflege“? Die wenigsten von ihnen sind stumm.

Und doch haben sie keine Stimme.

Vergeblich sucht man in den Medien den üblichen „O-Ton“ der Betroffenen. Nach Jahrzehnten der Absonderung in Spezial-Einrichtungen sind wir daran gewöhnt, dass andere „für sie“ sprechen. Keiner kommt auf die Idee, sie selbst zu fragen. Welche Bilder werden denn da vermittelt?

Nutzen wir doch die aktuelle Aufmerksamkeit und schauen hin statt weg! Wir sehen Menschen, die langsamer lernen als andere, schlechter sehen oder hören, Menschen, die zur Bewältigung des Alltags Hilfe brauchen. Wer Hilfe braucht, wird abhängig, und das birgt latent die Gefahr, zum Opfer von Misshandlung zu werden.

Schutz ist also nötig.

Was es nicht braucht ist ein Glassturz für die „Ärmsten der Armen“, mit seinen entmündigenden Folgen. Im Gegenteil: Was es braucht, sind klar definierte Rechte. Dazu Information, die man auch als Laie versteht und Mittel, sein Recht einzufordern. Und was es vor allem braucht: Politisch Verantwortliche, die die nur allzu berechtigte Forderung der Menschen: „Nichts über uns – ohne uns!“ ernst nehmen und mutig umsetzen.

Da sieht man, wie schlimm die alten Bilder wirken. Das für uns Selbstverständliche erscheint darin wie Utopie! Dabei setzen diese „behinderten“ Menschen in der Steiermark viele mutige Zeichen. Sie bilden Selbstvertretungsgruppen und kämpfen für ihre Rechte. Sie erstellten eine leicht verständliche Fassung des Behindertengesetzes, mit der die Steiermark europaweit Vorreiter ist. Sie beraten gemeinsam mit dem steirischen Behindertenanwalt. Seit Jahren evaluieren sie die Qualität von Wohnbetreuung und zeigen mit ihren Fragen den BewohnerInnen, wie sie als mündige KundInnen agieren können.

Solche Präventionsarbeit kann einzelne Misshandlungsfälle nicht in jedem Fall verhindern. Dennoch ist sie der nachhaltigste Weg, wie passive „Hilfebedürftige“ zu aktiven und gleichberechtigten Mitgliedern unserer Gesellschaft werden. Schade, dass dies so wenig „skandalös“ ist; es hätte mehr Aufmerksamkeit bitter nötig.

Mit diesem Kommentar schreibe ich wieder „über“ die, um die es geht. Mein Traum: Neugier geweckt zu haben, mehr von ihnen selbst zu erfahren und neue Bilder zu entwickeln.

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