Teilhabe oder Zuteilung – Auf dem Weg zu einem Tiroler Chancengleichheitsgesetz

Das im Jahr 1983 beschlossene REHA-Gesetz, welches die Behindertenhilfe in Tirol regelt, ist dringend reformbedürftig.

Selbstbestimmt Leben Innsbruck
SLI-Innsbruck

Am 28. Jänner 2009 nahmen auf Einladung des Landes Tirol und einer Plattform von Behinderteneinrichtungen über 40 Institutionen, zahlreiche Betroffene und deren Angehörige sowie VertreterInnen aller politischen Parteien an der ganztägigen Kick-Off-Veranstaltung „Teilhabe oder Zuteilung – Auf dem Weg zu einem Tiroler Chancengleichheitsgesetz für Menschen mit Behinderung“ teil.

Das im Jahr 1983 beschlossene REHA-Gesetz, welches die Behindertenhilfe in Tirol regelt, ist dringend reformbedürftig. Darüber waren sich alle im neuen Landtagssitzungssaal einig.

Paradigmenwechsel: Von der Rehabilitation zu Selbstbestimmung und Chancengleichheit

Eröffnet wurde die Fachtagung mit einem Vortrag von Prof. Volker Schönwiese von der Universität Innsbruck zum Thema Paradigmenwechsel in der Tiroler Behindertenhilfe.

Er stellte einen historischen Bezug her und stellte klar, dass der Übergang vom Förderungs- bzw. Rehabilitationsmodell hin zu Selbstbestimmung und Chancengleichheit das leitende Prinzip für eine moderne Gesetzgebung sein muss, er nahm v.a. auch Bezug auf die von Österreich im Jahr 2008 ratifizierte UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung.

Meine Lebenssituation ist eine einzige Kann-Bestimmung

In einem 15-minütigen Sketch stellten Ernst Schwanninger und Harald Morandell in eindrucksvoller Art und Weise den Spießrutenlauf dar, den behinderte Menschen beschreiten müssen, wenn sie zu ihrer bedarfsgerechten Unterstützung kommen wollen.

„Meine Lebenssituation ist eine einzige Kann-Bestimmung – ich bin ausgeliefert – früher konnten sie; heute können sie nicht mehr“. Mit dieser Aussage beschrieb Morandell die derzeitige fehlende Rechtssicherheit und die in den letzten zwei bis drei Jahren festgestellte restriktive Verwaltungspraxis aus Sicht von Menschen mit Behinderung.

Rechtsanspruch – Rechtssicherheit

Univ. Prof. Dr. Karl Weber (Universität Innsbruck, Institut für Öffentliches Recht) stellte in seinen Ausführungen das Spannungsfeld zwischen Hoheits- und Privatwirtschaftsverwaltung dar. Damit Menschen mit Behinderung zu ihrem Recht kommen, geht es nicht „entweder um hoheitliche oder privatwirtschaftliche Verwaltung“, vielmehr um eine funktionierende Kombination beider Prinzipien im Sinne der Rechtssicherheit.

Das oberösterreichische Chancengleichheitsgesetz

Mag. Renate Hackl (Abteilungsleiterin Soziales und Gesundheit vom Amt der Oö. Landesregierung) stellte das vor kurzem in Kraft getretene Chancengleichheitsgesetz vor. Im Mittelpunkt stand der Gesetzwerdungsprozess. Alle maßgebenden Interessengruppen wurden in Oberösterreich aktiv in den Gesetzwerdungsprozess eingebunden. Am Ende eines fast 8-jährigen, zum Teil sehr mühsamen Prozesses steht nun ein umfangreiches Chancengleichheitsgesetz.

Im Anschluss an den Vortrag von Frau Hackl wurden sowohl die Stärken als auch die Schwächen des oberösterreichischen Gesetzes diskutiert. Besonders kritisiert wurde die Neueinführung des Grundsatzes des vorrangigen Einsatzes eigener Mittel. Dies stellt einen krassen Widerspruch zur Chancengleichheit dar und bedeutet gegenüber früherer Regelungen massive Verschlechterungen für Menschen mit Behinderung.

Podiumsdiskussion

Leider musste sich der zuständige Landesrat Gerhard Reheis auf Grund einer Grippeerkrankung entschuldigen. Seine Vertretung übernahm die Vorsitzende des Sozialausschusses Gabi Schiessling.

Weiters am Podium: Hofrat Dr. Johann Wiedemair (Abteilungsleiter Soziales, Amt der Tiroler Landesregierung), Univ. Prof. Dr. Volker Schönwiese (Universität Innsbruck, Institut für Erziehungswissenschaften), Mag. Renate Hackl (Abteilungsleiterin, Direktion Soziales und Gesundheit vom Amt der Oö. Landesregierung) und Hubert Stockner (Geschäftsführer, Selbstbestimmt Leben Innsbruck).

„Wohin soll die Reise gehen?“, stellte der Moderator des ganzen Tages, Hannes Schlosser, die Frage an alle PodiumsteilnehmerInnen. Unbestritten war, dass das neue Gesetz einen Paradigmenwechsel hin zu mehr Chancengleichheit für Menschen mit Behinderung bringen soll. Unterschiedliche Standpunkte gab es bei der Frage, ob wir uns nun am Anfang oder bereits in der Mitte des Prozesses befinden.

Frau Hackl appellierte an die Tiroler Politik und Verwaltung, vor allem die Betroffenen maßgeblich in die Prozesse miteinzubinden.

Ein zentrales Thema der Diskussion waren die Verschlechterungen der letzten 2 bis 3 Jahre im Behindertenbereich. Der Unmut der Betroffenen im Publikum machte deutlich, dass eine Verbesserung in der Verwaltungspraxis so rasch als möglich erfolgen muss. Vor allem die enormen, zum Teil existenzgefährdenden Kostenbeiträge, die sich im letzten Jahr im Schnitt verdoppelt haben, die Dauer der Verfahren und zum Teil willkürliche Entscheidungen über Leistungsbewilligungen wurden vom Publikum thematisiert.

Fazit

Vor der Einleitung eines neuen Prozesses müssen die „Altlasten“ beseitigt werden. Dazu ist vor allem die Politik und die Verwaltung aufgerufen, eine Kurskorrektur der Verwaltungspraxis der letzten Jahre vorzunehmen.

Referate

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