Verschiedene Blickwinkel erweitern den Horizont

Persönliche Assistenz in Wissenschaft und praktischer Anwendung

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BIZEPS

Die NZZ FOLIO, die Zeitschrift der Neuen Zürcher Zeitung bringt in ihrer Novemberausgabe einen lesenswerten Artikel zum Thema Persönliche Assistenz. Ein Kommentar.

Aus Anlass der landesweiten Einführung des Assistenzbeitrages in der Schweiz (ab Jänner 2012) berichtet der britische Sozialwissenschaftler Tom Shakespeare von seinen Erfahrungen mit Persönlicher Assistenz aus verschiedenen Blickwinkeln. Und zwar von seiner wissenschaftlichen Beschäftigung mit diesem Thema, die er im persönlichen Kontakt mit behinderten Kolleginnen und Kollegen, Bekannten und Freunden vertiefte – also der „Außensicht“, bis zu seiner persönlichen Sicht als Assistenznehmer.

Der Wissenschaftler hatte zwar eine angeborene Behinderung (eine Wachstumsstörung), war aber bis zu einer 2008 plötzlich aufgetretenen Lähmung der Beine immer unabhängig gewesen. Er hatte eine Eliteschule besucht, ein Universitätsstudium absolviert und eine erfolgreiche Universitätslaufbahn eingeschlagen.

Zu seinem Beweggrund, sich für das Assistenzmodell zu entscheiden, schreibt er: „Das Besondere an meinem Fall war, dass ich nichts dagegen hatte, behindert zu sein – schließlich hatte ich mein ganzes Leben lang mit einer Behinderung gelebt. Was mich zutiefst bekümmerte und beinahe zum Selbstmord getrieben hätte, war die Tatsache, dass ich nun von anderen abhängig geworden war.“

Dass die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Persönlicher Assistenz die Abhängigkeit der Betroffenen verringert, ist auch die Überzeugung von Katharina Kanka von der Fachstelle Assistenz Schweiz (FAssiS), die den Assistenzbeitrag erkämpft hat. Sie unterstreicht: „Die einzelnen Personen mit Behinderung und ihre Familien werden endlich frei wählen können, wo sie leben wollen und mit wem – und von wem sie die Unterstützung erhalten, die sie brauchen.“

Überraschende Vergleiche

Was Tom Shakespeares ausführlichen Artikel so besonders lesenswert macht, sind die ungewöhnlichen Vergleiche. So stellt er zum Beispiel den oft (ab-)gesonderten Unterricht und das abgeschiedene Leben der Königlichen Familie neben jenes vieler Menschen mit Behinderung.

Auch diese Gruppe werde angestarrt und man müsse ihr bei allen möglichen Dingen zur Hand gehen. So veranschaulicht Shakespeare den Unterschied zwischen körperlicher und sozialer Abhängigkeit.

Herausforderungen des Arbeitgebers

Er geht vor allem auf die Herausforderungen der Arbeitgeberrolle und auf die Konfliktpotenziale der Assistenzbeziehung ein. Einen Schwerpunkt bildet dabei der unterschiedliche Umgang der Assistenznehmerinnen und Assistenznehmer mit dem Spannungsfeld zwischen Nähe und Distanz.

Die Rolle der Assistenz erinnere dabei manchmal an jene von Dienern und Hausangestellten aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. Sie würden sich diskret im Hintergrund halten. Bei anderen Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern habe man hingegen den Eindruck, die Assistenz werde freundschaftlich, ja sogar fast als eine Art Lebensgefährte gesehen.

Lesenswert trotz festgefahrener Redewendungen

Abschließend kann ich nur wiederholen, dass sich die Lektüre dieses Beitrags lohnt, obwohl sicher manchmal die Ausdrucksweise befremdend ist. So wird „Behinderte“ als Hauptwort verwendet und Persönliche Assistenz fälschlicherweise als Betreuungsform bezeichnet.

Ausdrücklich möchte ich auch festhalten, dass ich die Redewendung „an einer Behinderung leiden“ natürlich nicht schätze.

Dass man weder an Betten noch an Rollstühle gefesselt ist, versteht sich von selbst. Diese Wortwahl hat der ansonsten gute Text nicht nötig. Es mag sich aber vielleicht um Übersetzungsprobleme handeln.

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