Die Sauerei mit der Mindestsicherung

Es ist schon verblüffend und manchmal auch schockierend, mit welcher Dringlichkeit und Hartnäckigkeit Regierung (Bund und Länder), bestimmte Parteien und Verwaltung finanzielle Ressourcen und Arbeitsenergie für angeblich "wichtige Themen" einsetzen.

Karl Öllinger 2013
Caritas Wien/Stefanie Steindl

Für ein neues Lehrerdienstrecht etwa. Oder für bedingungslose Bankenrettungen, man denke nur an die Hypo-Alpe-Adria!

Aber wenn es darum geht, denen zu helfen, die – im Gegensatz zu den Banken – wirklich keine oder unzureichende finanzielle Mittel haben, dann sind weder Arbeitsenergie noch Geld vorhanden. Da wird dann jeder Cent mehrmals umgedreht und ganz laut gefragt, ob wir uns das alles noch leisten können, ob es nicht zu einfach ist, an die Sozialleistungen heranzukommen und ob es sich nicht allzu viele in der sozialen Hängematte bequem machen würden.

Ich erinnere da nur an die Kampagne der ÖVP gegen die Mindestsicherung in Wien. Oder an die ebenso ungustiöse Kampagne der FPÖ gegen die „Ausländer“, die angeblich unser Sozialsystem ausnutzen würden.

Die Prioritätensetzung zeigt auch, wie gleichgültig und verantwortungslos mit armen und mittellosen Menschen umgegangen wird. Wenn ich mir etwa im Detail anschaue, wie die Bedarfsorientierte Mindestsicherung (BMS) in den Bundesländern umgesetzt wird, packt mich die Wut.

Wie funktioniert das?

Da werden Menschen mit Behinderung, die die BMS beziehen, schikaniert und um ihre Rechte geprellt. Wie funktioniert das?

Um die BMS umzusetzen, hat der Bund im Jahr 2010 mit den Ländern einen Staatsvertrag geschlossen: eine sogenannte 15a-Vereinbarung. Die Vertragsparteien verpflichteten sich, die vereinbarten Bestimmungen einzuhalten. Klingt unproblematisch – ist es aber nicht. Denn wenn sich einer der Vertragspartner nicht an die 15a-Vereinbarung hält, passiert – nichts!

Konkret ist in der 15a- Vereinbarung eine Bestimmung enthalten, wonach alle Leistungen der Familienbeihilfe nicht auf die Mindestsicherung angerechnet werden dürfen. Alle Länder haben das akzeptiert und unterschrieben.

Einige Länder halten sich aber nicht an diese Vereinbarung! Sie tun so, als sei die „Familienbeihilfe“ erwachsener Menschen mit Behinderung nicht von dieser Bestimmung erfasst.

Menschen, bei denen schon vor ihrem 21. Lebensjahr eine körperliche oder geistige Behinderung eingetreten ist, bekommen eine erhöhte Familienbeihilfe. Auch nach dem 24. Lebensjahr wird die Familienbeihilfe und der Erhöhungsbetrag ausbezahlt. Hier geht es um Menschen die nie arbeiten konnten und womöglich nie arbeiten werden können. Bei vielen liegt eine intellektuelle Beeinträchtigung vor – die meisten Betroffenen werden von SachwalterInnen vertreten. Zuzüglich zur Familienbeihilfe haben sie einen Anspruch auf die BMS. So steht es in der 15a-Verordnung zur BMS.

„Gespart“ wird nun folgendermaßen

Einige Bundesländer betrachten die Familienbeihilfe als „Einkommen“, das mit der BMS gegenverrechnet werden dürfe. Das widerspricht zwar ganz klar und eindeutig der 15a-Vereinbarung, aber das macht den Ländern nichts aus, weil es kein Rechtsmittel zur Durchsetzung der 15a-Vereinbarung gibt!

In den Bundesländern Niederösterreich, Kärnten und Oberösterreich wird entgegen dem Staatsvertrag die Familienbeihilfe als Einkommen betrachtet und die Mindestsicherung deshalb heruntergesetzt!

Auf Kosten einer besonders wehrlosen Gruppe von Menschen wird da nicht nur „gespart“, sondern auch ein Vertrag gebrochen. Kaltschnäuzig, weil ohne Rechtsfolgen für das betreffende Bundesland! Ein niederösterreichischer Landesjurist schreibt etwa, die 15a-Vereinbarung über die BMS sei irrelevant, „da aus dieser keine Rechte für den Einzelnen abgeleitet werden können“. Es handelt sich bei der 15a-Vereinbarung demnach um ein wertloses Stück Papier. Hält man sich dran, ist es gut. Hält man sich nicht dran, dann ist es eben so. Aus!

Die betroffene Gruppe von Menschen mit Behinderung und dem Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe ist nicht groß. Es geht auch nicht um große Beträge, die da insgesamt eingespart werden können. Für die Betroffenen sind es aber rund 200 Euro Einkommen pro Monat weniger: also statt knapp 1.000 Euro im Monat eben nur die 773 Euro der Mindestsicherung. Und das bei einer Personengruppe, die wegen ihrer Behinderung erheblichen Aufwand etwa bei Gesundheitskosten hat!

Natürlich ist das eine Sauerei auf Kosten wehrloser Menschen

Es ist auch ein Vertragsbruch, aber eben ohne wirksame rechtliche Konsequenzen. Ginge es um Banken oder Wirtschaftsförderungen – die Verantwortlichen würden sich das nie trauen!

Dieser Kommentar ist zuerst in Öllingers Sozialblog erschienen.

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