Fünf Jahre rotgrüne Koalition in Wien

Wie Menschen mit Behinderungen in Wien zu unsichtbaren Bürgern gemacht wurden. Desinteresse der Wiener Regierungsparteien hat zu einer Stagnation im Bereich der Behindertenpolitik geführt. Ein Kommentar.

Symbolfoto: Koalition Rot-Grün
BilderBox.com

Wer nach den letzten Landtagswahlen in Wien vor knapp fünf Jahren glaubte, jetzt bringen die Grünen endlich einen Schwung in das Rathaus, wurde bereits bei der Bekanntgabe des Regierungsübereinkommens eines Besseren belehrt.

Wenige Zeilen waren in dem Koalitionsabkommen Menschen mit Behinderungen gewidmet. Im Wesentlichen bestanden diese Zeilen jedoch aus Schlagwörtern und Eigenlob. Dann gab es noch einige weitere Stellen, in denen der Begriff Menschen mit Behinderungen erwähnt wurde. Zu mehr reichte es leider nicht.

Schon dieses seinerzeitige Übereinkommen hatte gewaltige Lücken aufzuweisen, aber trotzdem ließ die Umsetzung seiner dürftigen Inhalte auch noch zu wünschen übrig.

Die „ausreichenden Angebote in Sachen Arbeit“ führten zu einem dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderungen und die Pflegegeldergänzungsleistung für Persönliche Assistenz wurde weder auf andere Behindertengruppen ausgedehnt noch valorisiert.

UN-Behindertenrechtskonvention wurde missachtet

Die Behindertenrechtskonvention der UNO wurde trotz Ankündigung im Regierungsprogramm in den vergangenen Jahren in Wien nicht „in Angriff genommen“, vielmehr wurde sie am laufenden Band missachtet und negiert und die Stadt war bis heute nicht bereit, einen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Konvention zu erstellen.

Im Gegenteil: Die SPÖ und die Grünen (seit ihrem Regierungseintrit) haben gegen Anträge der Wiener ÖVP zwecks Schaffung so eines Aktionsplans gestimmt!

Kein Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Konvention

Anders in der Steiermark: dort geht der bereits 3 Jahre laufende Aktionsplan in seine zweite Phase und zahlreiche der darin genannten konkreten Maßnahmen wurden auch schon umgesetzt.

In Wien wurde in den vergangenen Jahren in der Politik und der Verwaltung kräftig daran gearbeitet, jeglichen Fortschritt in der Behindertenpolitik zu verhindern, ja sogar noch Verschlechterungen herbeizuführen.

Hier einige aktuelle Beispiele: Vor wenigen Tagen eröffnete der Wiener Stadtrat Christian Oxonitsch (SPÖ) in der Hyazinthengasse im 22. Bezirk zwei Wohngemeinschaften für Kinder mit Behinderung.

Dort werden sie „von speziell geschulten PädagogInnen betreut“, heißt es in einer Presseaussendung. Anscheinend hat die Verwaltung und die Politik in Wien noch nie etwas von der UN-Behindertenrechtskonvention gehört, die Sondereinrichtungen strikt ablehnt.

Rampen zu steil und nicht befahrbar

Am 6. Mai 2015 wurde der mit einem Kostenaufwand von knapp 4,8 Millionen Euro neu erbaute Judith-Deutsch-Steg am Wiener Donauufer eröffnet.

Aber gleich darauf musste festgestellt werden, dass er nicht der geltenden ÖNORM entspricht weil seine Rampen zu steil sind und von Rollstuhlfahrern gar nicht oder nur mit großer Mühe befahren werden können.

Vertreter der Stadt Wien aber bestritten dies heftig und behaupteten, die Rampen würden den technischen Vorschriften entsprechen. Das Ergebnis von Messungen ergab jedoch Steigungen bis zu 8,4 % (!).

Ein anderes aktuelles Beispiel ist die neu gestaltete Mariahilfer Straße. Anstatt die einmalige Gelegenheit zu nutzen und die Fahrbahn bei Geschäftslokalen, die eine Stufe am Eingang haben anzuheben (wie dies z.B. in der Fußgängerzone in der Favoritenstraße realisiert worden ist), wurde darauf verzichtet.

Bei den zahlreichen Hauseinfahrten hat sich die zuständige Stadträtin, Maria Vassilakou (Grüne), auf Rat ihrer Beamten geweigert, das völlig ungeeignete Kopfsteinpflaster zu entfernen oder wenigstens zu entschärfen und auch bei der Erreichbarkeit von Objekten in der Fußgängerzone war sie nicht bereit, Erleichterungen für gehbehinderte Personen zu schaffen.

Schanigärten mit Stufen

Auf Unverständnis stößt in der Behindertencommunity auch das Verhalten der Beamtenschaft und der politisch verantwortlichen Stadträtin, Maria Vassilakou (Grüne), im Bereich der Schanigärten. Eine Arbeitsgruppe hatte bereits einen Leitfaden für die Benutzbarkeit von Schanigärten („Schanigartenführer“) mit Empfehlungscharakter erarbeitet.

Die Stadt Wien war jedoch nicht bereit, eine gesetzliche Regelung herbeizuführen, was in der Praxis dazu führte, dass die neuen Schanigärten oft nur mehr über eine hohe Stufe erreichbar sind und die Gehsteige häufig von Tischen und Sesseln verstellt werden.

Neue Geschäftslokale nicht barrierefrei

Trotz konkreter Forderungen der Betroffenen war bis jetzt keine Bereitschaft vorhanden, eine Gesetzesänderung herbeizuführen, die vorsieht, dass neu errichtete bzw. umgebaute Geschäftslokale barrierefrei ausgestaltet werden müssen.

Daher werden in Wien immer noch neue Gastronomiebetriebe eröffnet, die nicht stufenlos erreichbar sind oder keine Behindertentoilette haben und ebenso verwehren auch unzählige Geschäftslokale, Beratungsstellen oder kommunale Angebote behinderten Menschen den Zutritt oder eine gleichberechtigte Benutzung.

Keinerlei Verbesserungen gibt es im Bereich des behindertengerechten Wohnens und der Etappenplan Barrierefreiheit, demzufolge die öffentlich zugänglichen Amtsgebäude erst bis zum Jahr 2042 (!) barrierefrei sein müssen, ist ein Beweis dafür, wie wenig ernst es den politisch Verantwortlichen in Wien mit der Barrierefreiheit ist.

Dieser extrem lange Zeitraum wurde auch von der Monitoringstelle der Stadt Wien heftig kritisiert. Zum Vergleich: rund 5 Millionen Euro pro Jahr wurden für den Umbau der Amtsgebäude veranschlagt während das Werbebudget der Stadt Wien weit über 50 Millionen Euro pro Jahr beträgt.

Schreiben nicht beantwortet

Das große Desinteresse der Politik am Thema Menschen mit Behinderungen zeigt sich nicht zuletzt auch an den Reaktionen der Abgeordneten bzw. von StadträtInnen auf Wünsche bzw. Forderungen, die von BürgerInnen dieser Stadt an sie herangetragen werden. Sie beantworten Schreiben oftmals gar nicht oder erst nach einer Urgenz oder in einer inkompetenten und fehlerhaften Weise.

Sieht so eine „Welttoleranzhauptstadt“ aus? Ich bin der Meinung, Wien kann sich erst dann eine Stadt der Menschenrechte nennen, wenn die Menschenrechte für alle Bevölkerungsgruppen gelten – also auch für Menschen mit Behinderungen.

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