Was kann ein Inklusionsfonds?

Im Finanzausgleich 2016 der Bundesregierung findet sich keine Regelung, wie Gleichstellung und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben für Menschen mit Behinderung unterstützt werden soll. Die Regierung Österreichs verzichtet wissentlich auf die Steuerung von Maßnahmen, die Menschenrechte betreffen.

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Menschenrechtliche Erfordernisse, die Österreich mit der Unterzeichnung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen anerkannt hat. Der Finanzausgleich wurde im November 2016 beschlossen und soll bis 2021 die Vergabe von staatlichen Mitteln zwischen Bund und Ländern regeln.

Es wurde auf jede Verpflichtung verzichtet, für Menschen mit Behinderung Mittel aufzubringen, welche die Unterstützung gleichberechtigter Teilhabe am wirtschaftlichen, kulturellen und auch politischen Leben weiterbringen.

Hier ginge es nicht vorrangig um Fragen der Verwaltung des Bundesbudgets. Hier ginge es um einen politischen Weg. Die Bundesregierung will keinen Einfluss nehmen. Wenn Menschen mit Behinderung heute um Unterstützung ansuchen, werden sie weiterhin nach ihren Defiziten beurteilt, nicht nach ihren Fähigkeiten und Lebensvorstellungen.

In der Schule werden sie weiterhin diskriminiert. Als Erwachsene werden sie in Abhängigkeit und in Armut gedrängt. Sie werden genötigt, in Institutionen zu leben, auch wenn sie das nicht wollen. Es findet eine systematische Ausgrenzung von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben statt. Das ist insbesondere für Menschen mit schweren Behinderungen der Fall.

Nationaler Aktionsplan und Inklusionsfonds

Der Nationale Aktionsplan hat nur spärlichen Aktionismus gebracht. Er bringt vor allem neue Worthülsen in Zwischenberichten hervor. Menschen mit Behinderungen dürfen an Arbeitsgruppen bei Landesregierungen und Kostenträgern teilnehmen.

Die Ergebnisse versanden unter Höflichkeitsfloskeln und zerbröseln an Kuchenbuffets. Persönliche Assistenz sei zu schwierig und Persönliches Budget ist in den Ohren politischer EntscheidungsträgerInnen ein Unwort. Ignoranz und Zynismus sind an der Tagesordnung wenn es darum geht, dass Menschen mit Behinderung mit den in Österreich geltenden BürgerInnenrechten leben wollen.

Was den SoziallandesrätInnen zum Thema UN-Konvention eingefallen ist, ist eine Budget-Idee – der Inklusionsfonds. Das klingt gut und ist bequem, denn solange es diesen Fonds nicht gibt, könne man ja nichts tun. Der Finanzausgleich greift diese Idee nicht einmal auf. Es bleibt dabei: Der Bund will keine Verantwortung für die vom Staat Österreich unterzeichnete Konvention übernehmen, die dadurch immerhin den Status eines einfachen Gesetzes bekommen hat. Sie verweist auf Länderkompetenzen und die Länder verweisen auf die komplizierte sogenannte Querschnittsmaterie.

Die Soziallandesräte der Bundesländer haben im März 2016 einen Vorschlag an das Bundesministerium für Finanzen übermittelt. Sie haben folgende Notwendigkeiten ausgemacht: Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, die steigende Anzahl von Menschen mit Behinderungen durch demografische und medizinische Entwicklungen, die nachteiligen Wirkungen des nicht-valorisierten Pflegegeldes, steigende Personal- und Sachkosten im Bereich der Behindertenhilfe, Kosten aus Bundesgesetzgebung (z.B. Barrierefreiheit, Heimaufenthaltsgesetz u.a.).

Die Leistungen die sie sich dabei vorstellen, bringen keine inklusive Bewusstseinsveränderung. An erster Stelle im Papier steht die Schaffung voll- und teilbetreuter Wohnplätze, ganz konkret steht das da. „Neue Wohnformen“ – das steht auch da, allerdings unter „beziehungsweise“ und ohne Idee, in welche Richtung das gehen soll. Mobile Betreuung in eigener Wohnung und Persönliche Assistenz. Das ist gut. Von Notwendigkeit eines Rechtsanspruchs auf diese Leistungen steht da nichts.

Und alles was danach steht, kann man getrost vergessen, denn natürlich wollen die Länder das Geld, aber auf keinen Fall irgendeine Einmischung durch ein Bundesgesetz, wie Inklusion umzusetzen wäre. Das wollen sie selber machen und dreinreden soll da niemand.

Was interessiert uns als DienstleisterInnen an der Umsetzung der UN-Konvention? Warum sind wir so beharrlich?

Wir wollen und können nicht für die Menschen mit Behinderung sprechen. Wir sehen in unserer Arbeit, wie Menschen mit Behinderung leben. Wir sind auf engste Weise mit ihren Wünschen und Nöten verbunden. Und ehrlich, niemand möchte so leben, wenn er oder sie Lebensvorstellungen hat, die sich an durchschnittlichen Möglichkeiten einer ÖsterreicherIn orientieren.

Wir sehen täglich die Begrenzungen, Diskriminierungen, Barrieren. Wir wollen in unserer Arbeit nicht immer wieder nur zusehen, dass Menschen- und BürgerInnenrechte gewohnheitsmäßig beschnitten werden. Es ist unerträglich zu sehen, dass paternalistisch entschieden wird und den Menschen mit Behinderung vermittelt wird: Redet mit – ja, aber wartet was wir euch zuteilen. Zugeteilt wird so, dass sich nichts verändert. Menschen mit Behinderung haben keinen Rechtsanspruch auf Mittel, die es ihnen erlauben würden, gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.

Auch Menschen mit Behinderung suchen nach einem Platz im Leben, an dem ihre Grundbedürfnisse anerkannt werden. Grundlegend ist das soziale Bedürfnis, mit anderen Menschen in Beziehung sein zu können. Mit dabei sein zu können, wenn Menschen zusammen kommen. Mit ihnen gemeinsam tätig werden zu können und ja, auch eigene Beiträge zu leisten.

Wir alle haben dieses Grundbedürfnis. Und was das Schöne ist: Dort, wo es mit Personen mit Behinderung gelingt, verändern Menschen ihre Sichtweise über Behinderung. Das gemeinschaftliche Leben verändert sich. Über gegenseitigen Respekt findet eine Einbeziehung statt, weil es gut tut, miteinander das Leben zu bereichern.

Persönliches Budget

Was ließe sich für die Zukunft denken mit einem Inklusionsfonds, der sich an Zukunft orientiert? Der Inklusionsfonds sollte auf Basis eines Bundesgesetzes die finanzielle Grundlage für ein persönliches Budget aus Bundesmitteln sein. Was den Umfang des Fonds betrifft, gibt es aus Deutschland Erfahrungen, an denen man sich orientieren kann.

Nach 5 Jahren Rechtsanspruch auf ein Persönliches Budget nehmen 1,2 % der Anspruchsberechtigten das Persönliche Budget in Anspruch. Das klingt nicht viel und ist vielleicht auch enttäuschend. Aber es sind immerhin mehr als 8000 Personen, die beschlossen haben, ihr Leben in die Hand zu nehmen und Freiheit und Selbstbestimmung zu lernen und dafür auch die Mühsal der Verhandlung und den Kampf gegen bürokratische Vorstellungen aufzunehmen.

Vielleicht gibt es auch alternative Möglichkeiten. Ganz sicher aber nicht, solange BudgetverwalterInnen, die keine Ahnung vom Leben der Menschen mit Behinderung haben, Zuteilungen von Sach- oder Geldleistungen vornehmen. Da wird sich nichts ändern. Egal wie Menschen mit Behinderung die Mittel für ihre persönliche Unterstützung in die Hand bekommen, sie müssen gefragt werden. Nur sie wissen, wie es sich mit Behinderung lebt.

Die Mittel für die Persönliche Unterstützung in die Hand der betroffenen Personen zu geben mit notwendiger Budgetassistenz- , das wäre ein erster Schritt, der viel Bewegung auslösen würde. Menschen mit Behinderung könnten selbst entscheiden, wer sie unterstützt.

Die VerwalterInnen der öffentlichen Mittel lernen mit, wie Unterstützung passend für die Person wird für die wichtigsten Lebensbedürfnisse. Dazu gehören natürlich auch Erwerbstätigkeit, Kultur, und Bildung. Für 2 Prozent der Anspruchsberechtigten einen solchen Fonds einzurichten, das ließe sich mit ein bisschen Budgetmathematik bewerkstelligen. Und ein Bundesgesetz unter Einbeziehung von InteressensvertreterInnen von Menschen mit Behinderung zu schaffen, das die Länder zu einer Verwendung verpflichtet, die der UN-Konvention entspricht.

Dadurch entstünde eine neue Realität, die das willenlose Kopfzerbrechen der ExpertInnen beenden würde. Weil sich Menschen mit Behinderung entscheiden können. Und mit den ersten Erfahrungen mit der persönlichen Unterstützung, wie immer sie heißt, ein Budget planbar wird.

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Ein Kommentar

  • Sehr lesens- und beachtenswert!
    Einer von wenigen Beiträgen aus dem Bereich der Dienstleister-Vertreter (hier IVS-Wien), den ich (fast) vorbehaltlos teile und unterstütze.

    Die Systemkritik betreffend der nun seit neun Jahren faktisch erwiesenen Menschenrechtsignoranz seitens Bund und Gliedstaaten ist 1:1 zutreffend. Die vorsätzlich organisierte Verfehlung fast sämtlicher Konventionsziele ist wohl formuliert.

    Kritisch finde ich nur – wie im vorletzten Absatz vorgeschlagen und offensichtlich als pragmatisches budgetäres Zugeständnis an die hoheitlichen Menscherechtsdelinquenten gedacht ist – sich mit nur 2 Prozent Umsetzung dessen begnügen zu wollen, was zu 100 % Leistungspflicht der öffentlichen Hand wäre.

    Ergänzend muss ich auch (wie so oft) anfügen, dass hier auch wieder keine Idee vorliegt, wie schwerstbehinderte Menschen, die aufgrund ihrer komplexen Mehrfachbehinderungen in ihrer Selbstbestimmung und Selbstkompetenz 100% Unterstützung (sprich: Vertretung oder advokatorische Assistenz) benötigen, in den gleichberechtigten Genuss ihrer unantastbaren und unteilbaren Inklusions- und Teilhaberechte kommen könnten.