Der Sozialausschuß des Nationalrates beschloß heute eine umfangreiche Novellierung des Behinderteneinstellungsgesetzes.
Kernpunkte der Novelle, die auf eine verstärkte Eingliederung behinderter Menschen in das Erwerbsleben abzielt, sind der Entfall von Ausnahmebestimmungen für die Gebietskörperschaften und für einige Wirtschaftszweige, die Modifizierung des Kündigungsschutzes, der Entfall der Prämien für die Übererfüllung der Beschäftigungspflicht sowie die gesetzliche Verankerung der in den vergangenen Jahren erfolgreich erprobten Arbeitsassistenz.
Die Grünen konnten sich mit ihrer Forderung, die Ausgleichstaxe auf ein im jeweiligen Betrieb übliches Durchschnitts-Bruttogehalt inklusive aller Lohnnebenkosten anzuheben, nicht durchsetzen, auch ein Antrag der Liberalen zum Behinderteneinstellungsgesetz blieb in der Minderheit.
Derzeit ist jeder Dienstgeber verpflichtet, auf je 25 Dienstnehmer mindestens einen begünstigten Behinderten zu beschäftigen. Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, muß er eine Ausgleichstaxe bezahlen, die pro offener Pflichtstelle und Monat 2.010 S beträgt und in den Ausgleichstaxfonds fließt.
Für die Gebietskörperschaften und einige – per Verordnung festgelegte – Wirtschaftszweige wie die Elektro- oder die Fleischwarenindustrie gibt es allerdings Ausnahmeregelungen, für sie gilt die Einstellungspflicht für begünstigte Behinderte zum Teil erst ab dem 45. Dienstnehmer.
Der vorliegende Gesetzentwurf sieht nunmehr ab 1. Jänner 1999 hinsichtlich der Einstellungspflicht eine Gleichbehandlung von Bund, Ländern und Gemeinden mit privaten Dienstgebern vor, für jene Wirtschaftszweige, die von den Ausnahmeregelungen betroffen sind, wird die Pflichtzahl bis zum Jahr 2004 sukzessive gesenkt, die Sozialministerin kann aber – auf viel restriktiverer Basis – neue Ausnahmen verordnen.
Zur Förderung der Lehrlingsausbildung werden Lehrlinge in Zukunft nicht mehr in die Gesamtzahl der Dienstnehmer einberechnet.
Abgeschafft werden die Prämien, die bisher bei Überfüllung der Beschäftigungspflicht gezahlt wurden, im Gegenzug will man aber die Einstellung behinderter Menschen vermehrt gezielt fördern.
So wird die in den vergangenen Jahren erfolgreich erprobte Arbeitsassistenz, ein Instrumentarium zur besonders intensiven Betreuung und Beratung schwerbehinderter Menschen mit dem Ziel einer dauerhaften Eingliederung in das Erwerbsleben, gesetzlich verankert.
Die Bestimmungen über den verstärkten Kündigungsschutz behinderter Arbeitnehmer bleiben im Kern erhalten, werden aber genauer determiniert und kommen in Zukunft nicht zur Anwendung, wenn das Dienstverhältnis zum Zeitpunkt der Kündigung noch nicht länger als drei Monate bestanden hat.
Die Einschätzung des Grades der Behinderung soll in Hinkunft aufgrund einer neuen, den heutigen Erfordernissen besser angepaßten Verordnung des Sozialministeriums und nicht mehr nach der auf dem Kriegsopferversorgungsgesetz basierenden Richtsatzverordnung erfolgen. Schließlich wird der Begriff „Geschützte Werkstätte“ durch den Ausdruck „Integrativer Betrieb“ ersetzt.
Als Grund für die Novellierung des Behinderteneinstellungsgesetzes nennt das Sozialminsterium, daß trotz aller Bemühungen die Integration behinderter Menschen ins Erwerbsleben nach wie vor äußerst schwierig ist. So ist die Arbeitslosigkeit behinderter Menschen in den letzten Jahren beträchtlich angestiegen, 1997 waren bereits 37.470 Betroffene als arbeitslos vorgemerkt. Von insgesamt 68.836 Pflichtstellen waren 1996 in Österreich 41.928, also nur rund 61 % besetzt.
Mit dem Gesetzentwurf des Sozialministeriums mitverhandelt wurden ein Entschliessungsantrag der Grünen, der auf eine Anhebung der Ausgleichstaxe auf ein im jeweiligen Betrieb übliches Durchschnitts-Bruttogehalt inklusive aller Lohnnebenkosten abzielt, und ein Antrag von LIF-Abgeordnetem Kier.
Die Liberalen schlagen u.a. vor, den besonderen Kündigungsschutz für Behinderte dann zu beseitigen, wenn die betroffenen Unternehmen aufgrund ihrer geringen Beschäftigtenzahl nicht der Verpflichtung unterliegen, Behinderte einzustellen. Außerdem wollen sie festlegen, daß sich Bund, Länder und andere öffentliche Körperschaften nur dann durch Zahlung einer Ausgleichstaxe von ihrer Beschäftigungspflicht befreien können, wenn zu wenig geeignete behinderte Dienstnehmer zur Verfügung stehen.
Abgeordneter Mag. Guggenberger (SPÖ) machte im Rahmen der Debatte geltend, daß die derzeit bestehende Arbeitsmarktlage behinderte Menschen in besonderer Weise treffe. Erfreut zeigte er sich daher über die künftige Gleichstellung von privaten und öffentlichen Dienstgebern hinsichtlich der Einstellungspflicht, es sei notwendig, so der Abgeordnete, daß die Gebietskörperschaften mit gutem Beispiel vorangehen.
Außerdem erachtet er es für eine wichtige Errungenschaft, daß die Übererfüllungsprämie nunmehr gestrichen wird und die freiwerdenden Mittel für effizientere Maßnahmen zur Eingliederung Behinderter in das Erwerbsleben verwendet werden könnten. Was den Antrag der Grünen betrifft, meinte Guggenberger, die SPÖ hätte nichts gegen eine geringfügige Erhöhung der Ausgleichstaxe, dies sei politisch aber nicht durchsetzbar. Die von den Grünen geforderte Höhe widerspreche jedoch klar der Philosophie der Ausgleichstaxe.
Abgeordneter Dr. Feurstein (ÖVP) wertete die Gleichstellung von öffentlichem Dienst und Privatwirtschaft ebenfalls als positiv. Begrüßt wurde von ihm darüber hinaus die Nichteinberechnung von Lehrlingen in die Dienstnehmerzahl und die geplante Ausweitung der Arbeitsassistenz. Damit würde die Betreuung von Behinderten auf eine neue Basis gestellt.
Die Freiheitlichen sprachen sich grundsätzlich für den Gesetzentwurf aus, kritisierten jedoch den Wegfall der Übererfüllungsprämien, da damit, wie Abgeordneter Dolinschek betonte, ein zusätzlicher Anreiz für die Einstellung Behinderter wegfalle. Er und seine Fraktionskollegin Abgeordnete Haller traten darüber hinaus dafür ein, den Kündigungsschutz für Behinderte weiter zu lockern, weil dieser ihrer Ansicht nach ein Einstellungshemmnis darstellt.
FPÖ-Abgeordneter Mag. Haupt hielt fest, die Umbenennung von „Geschützten Werkstätten“ in „Integrative Betriebe“ habe einen großen Stellenwert für das Eigenbewusstsein der Behinderten. Abgeordneter Meisinger (FPÖ) regte an, die Ministerien sollten die Ausgleichstaxe aus ihrem eigenen Budget – und nicht aus dem Gesamtbudget – zahlen müssen.
Abgeordnete Dr. Petrovic (GRÜNE) unterstrich, sie sehe durchaus positive Punkte im Entwurf, insbesondere was den Ausbau der Arbeitsassistenz und die Einschränkung der Ausnahmeregelungen bei der Pflichtzahl betreffe. Insgesamt könne sie aber kein positives Statement abgeben, weil, so die Abgeordnete, „die lächerlich geringe Ausgleichstaxe“ nicht erhöht wird.
Abgeordneter Dr. Kier (LIF) signalisierte Zustimmung zur Regierungsvorlage, urgierte seinem Antrag folgend aber weitergehende Schritte. Seine Fraktion wolle die öffentliche Hand in eine noch weit strengere Pflicht nehmen, sagte er und regte an, Dienstposten für Behinderte entsprechend der Pflichtzahl zu binden. Er fragt sich zudem, warum auch für jene 85 Prozent der Betriebe, die aufgrund ihrer Größe nicht verpflichtet seien, Behinderte einzustellen, der verstärkte Kündigungsschutz gelte. Den Antrag der Grünen lehnte Kier mit dem Argument ab, er habe eine „überschießende Tendenz“.
Sozialministerin Hostasch erwartet sich vom Ausbau der Arbeitsassistenz eine größere Chance, behinderte Menschen in den Arbeitsprozeß zu integrieren. Das Modell habe sich, betonte die Ministerin, in der Praxis sehr bewährt. Erfreut äußerte sie sich über die Beseitigung der Ausnahmeregelung für Gebietskörperschaften.
Ein Experte des Sozialministeriums erläuterte, man habe sich sehr lange überlegt, ob man die Übererfüllungsprämie abschaffen solle. Letztlich glaube man aber, daß die dadurch freiwerdenden Mittel anders effizienter eingesetzt werden können. Die von den Liberalen angeregte Lockerung des Kündigungsschutzes bewertete der Sektionschef sowohl aus administrativen als auch aus Gleichbehandlungsgründen als problematisch.
Die Novellierung des Behinderteneinstellungsgesetzes wurde unter Berücksichtigung zweier von Abgeordnetem Guggenberger eingebrachter Abänderungsanträge, die im wesentlichen nur Detailänderungen und Klarstellungen beinhalten, teils mit SPÖ-ÖVP-LIF-Mehrheit, teils auch mit Zustimmung der Freiheitlichen beschlossen. Sowohl der Entschliessungsantrag der Grünen als auch der Antrag der Liberalen erhielten über die eigene Fraktion hinaus keine Unterstützung.