Aktion Leben: Pränatalmedizin unter Druck schafft Druck

Die konkreten Auswirkungen von Urteilen des Obersten Gerichtshofes (OGH) zum Schadenersatz für behindert geborene Kinder sind umfangreich und vielfältig.

Diskussion Aktion Leben 090604
aktion leben österreich

Dies zeigte eine Diskussionsrunde, zu der aktion leben österreich anlässlich des jährlichen „Tag des Lebens“ eingeladen hatte. Mehr Information über Pränataldiagnostik (PND), psychosoziale Betreuung im Rahmen der PND und die Streichung der eugenischen Indikation wurden gefordert.

„Die Schadenersatz-Urteile haben die Begleitung schwangerer Frauen massiv verändert und eine regelrechte Druck-Spirale ausgelöst“, berichtete Mag. Martina Kronthaler, Generalsekretärin der aktion leben. Wesentlich mehr Frauen als vorher stünden unter Druck, Pränataldiagnostik in Anspruch zu nehmen. Aber auch Eltern, die sich für ein Kind mit einer Behinderung entscheiden, müssen sich seit den OGH-Urteilen noch mehr als bisher für die Geburt ihres Kindes rechtfertigen.

Klagsgrund: unerwünschte Geburt

Schon dreimal hat der OGH Eltern Schadenersatz zugesprochen, weil ihr Kind behindert geboren wurde. Jurist Dr. Heinz Trompisch betonte, dass es sich in keinem Fall um Schadenersatz für einen ärztlichen Kunstfehler handelte. Klagsgrund war immer, dass das Kind gar nicht geboren worden wäre, hätte die Pränataldiagnostik (PND) die Behinderung rechtzeitig erkannt. „Wenn wir solche Urteile in Zukunft verhindern wollen, müssen wir die eugenische Indikation – die Möglichkeit des Schwangerschaftsabbruchs wegen der Behinderung des Kindes – streichen.“

Psychosoziale Betreuung bei PND fehlt

Laut Gynäkologin Dr. Katharina Schuchter führten die OGH-Urteile die Pränatalmedizin in die falsche Richtung. „Sie soll doch eigentlich werdende Eltern beruhigen, dass mit ihrem Kind alles in bester Ordnung ist. Wir müssen sie aber schon bei der kleinsten Auffälligkeit verunsichern.“ Ärztinnen und Ärzte stünden unter enormem Druck, absolut nichts übersehen zu dürfen, weil sonst eine Schadenersatzklage drohe. „Wir müssen Unterschriften von Eltern einfordern, dass wir keine Garantie für ein Kind ohne Behinderung abgeben können.“

Mit Hebamme Renate Mitterhuber war sich Schuchter einig in der Kritik über fehlende psychosoziale Unterstützung im Rahmen der Pränataldiagnostik. Frauen und Paare müssten in einer sie völlig überfordernden Situation in kürzester Zeit eine Entscheidung treffen. Mitterhuber begleitet Frauen nach Spätabbrüchen: „Sie werden viel zu wenig informiert, wie ein später Schwangerschaftsabbruch abläuft. Auch in ihrer Trauer um das verlorene Kind sind sie völlig isoliert.“

Grundsatzfrage zum Stellenwert behinderter Menschen ungeklärt

Die Geburt eines Kindes verglich Martin Ladstätter vom Zentrum für Selbstbestimmtes Leben BIZEPS mit dem Kauf eines Autos: „Wenn etwas defekt ist, wird geklagt.“ Er forderte dazu auf, die Diskussion differenziert zu führen. „Ich habe Verständnis für Mütter und Eltern, die aufgrund bestimmter Informationen eine Entscheidung treffen. Ich habe kein Verständnis für ein Gesetz, das Menschen mit Behinderung zu Schadensfällen macht.“

„Wenn etwas nicht klappt, dann hat jemand versagt.“ Mit diesen Worten diagnostizierte der Kinderarzt Dr. Klaus Vavrik den „Kontrollwahn“ der Gesellschaft, der in eine „Absicherungsmedizin“ führe. Langfristige Folgen der Pränataldiagnostik würden dabei übersehen. „Für jedes gefundende Trisomie-Kind werden zwei bis drei Aborte in Kauf genommen. Da stellt sich die Frage des gesellschaftlichen Nutzens.“ Der enorme Stress für die werdenden Mütter habe gravierende Folgen für das ungeborene Kind. „Die Schäden, die dadurch ausgelöst werden, können aber nirgends eingeklagt werden“, so Vavrik.

Regierung gefordert, Koalitionsvereinbarung umzusetzen

Die ExpertInnen waren sich darin einig, dass von Seiten des Gesetzgebers akuter Handlungsbedarf gegeben sei. Im Koalitionsübereinkommen ist festgehalten, es sei sicherzustellen, dass ein Kind niemals ein Schaden sein darf.

aktion leben österreich erinnert die Politik durch die Karten-Kampagne „100.000 mal einzigartig“ an dieses Übereinkommen. Dabei fordert der Verein vielfältige Unterstützung für Eltern behinderter Kinder und die Betroffenen. Schadenersatz für die unerwünschte Geburt eines Kindes mit Behinderung soll es künftig nicht mehr geben. Denn „ein Staat, der solche Urteile ermöglicht, fördert die Entsolidarisierung der Gesellschaft“, warnt Kronthaler.

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