Einige Bemerkungen zu "unseren" Jahren
Am 15. Jänner 1981 versperrten rund 20 behinderte Menschen im Rollstuhl für eine halbe Stunde die Eingänge zur Hofburg in Wien. Sie protestierten damit gegen den in Kürze beginnenden Festakt der österreichischen Bundesregierung anläßlich des von der UNO proklamierten „Internationalen Jahres der Behinderten“.
Wir wollten mit dieser Aktion auf unsere Lage aufmerksam machen. Wir fanden, es gäbe keinerlei Anlaß für einen Festakt, fühlten uns durch diesen provoziert und verlangten konkrete Maßnahmen anstatt feierlicher Reden.
Auch ich war damals unter den 20, und meine Freunde und ich dachten, wir hätten damit ein deutliches Signal gesetzt und wären von den AkteurInnen verstanden worden. Doch da hatten wir uns kräftig geirrt: Denn dieser Festakt war erst der Auftakt, und das, was danach kam war, für uns noch weit schlimmer.
Alle wollten „Gutes“ tun
Eine wahre Lawine brach über uns herein, denn auf einmal wollten alle „Gutes“ tun, wollten helfen, entdeckten ihr „Herz für Behinderte“:
- Die Post gab eine Sonderpostmarke heraus, „gewährte“ Fahrpreisermäßigungen bei ihren Bussen und kündigte an, in jeder Landeshauptstadt zumindest eine (!) zugängliche Telefonzelle errichten zu wollen.
- Die Bundesregierung gründete einen Nationalfonds und rief die Bevölkerung auf, dafür zu spenden.
- Die Länder und die politischen Parteien präsentierten Forderungskataloge und stellten Programme vor.
- Der Unterrichtsminister rief zur Kampagne „Schüler sind Partner“ auf, die in den Medien als „Großoffensive der Menschlichkeit“ gefeiert wurde.
- Der Lions-Club und andere „Wohltäter“ überreichten Schecks, und allerorts gab es Gratis-Eintritte und Gratis-Einladungen zu Kaffee und Kuchen.
- Die Stadt Wien veranstaltete eine Ausstellung unter dem Titel „Kennenlernen – Verstehenlernen“, bei der es jeden Tag einen Schwerpunkt zum Thema „Wie helfe ich richtig“ gab.
- Die Medien waren voll mit Ankündigungen und Berichten über gute Taten, wodurch der nichtbehinderte Teil der Bevölkerung jeden Tag vermehrt den Eindruck gewann, Österreich sei ein wahres Schlaraffenland für behinderte Menschen.
Die zahlreichen Aktivitäten entwickelten sich immer mehr zu einer Orgie des schlechten Geschmacks, des Mitleids und des unerträglichen Eigenlobs der zahlreichen „HelferInnen“, der Ämter und Behörden, sowie der PolitikerInnen und Firmen, die spendeten – ähnlich der Aktion „Licht ins Dunkel“.
Freilich gab es in der laufenden Debatte auch so manchen Beitrag, der sich mit der Lage behinderter Menschen detailliert und kritisch auseinandersetzte und zumindest zum Nachdenken anregte, aber die anderen Berichte und Aktivitäten überwogen leider bei weitem.
Nach einigen Monaten waren sich viele der nichtbehinderten und behinderten Menschen in diesem Lande in einem sehr nahe gekommen: in ihrer Meinung, das UNO-Jahr sei unerträglich geworden, und sie könnten schon allein diesen Namen nicht mehr hören. …
1981 völlig unpolitisch
Die Kampagnen und die Mehrzahl der Aktivitäten im Jahre 1981 waren völlig unpolitisch. Sie wurden von nichtbehinderten Menschen ohne Einbindung der Betroffenen konzipiert und durchgeführt – das sah man ihnen auch an – und es fehlte ihnen vor allem an Nachhaltigkeit.
Die Rechte behinderter Menschen wurden dabei völlig ausgeblendet, wir wurden nicht einmal als aktive BürgerInnen dargestellt, sondern zumeist als passive EmpfängerInnen von Almosen. Die einmalige Gelegenheit, unser Image positiv zu verändern und unsere Rechte einzufordern, ist damals zu wenig genutzt worden.
Und 2003?
Im „Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderungen 2003“, das uns jetzt ins Haus steht, darf es nicht wieder zu einer „Aktion Mitmensch“ oder zu einer Aktion „Menschen sind wir alle“ kommen.
2003 müssen behinderte Menschen ihre Situation in der Gesellschaft selbstbewußt und kritisch präsentieren, so, wie sie von ihnen tagtäglich wahrgenommen und erlebt wird. Sie müssen verlangen, daß die für dieses Jahr vorgesehenen Gelder der öffentlichen Hand nicht gegen ihre Interessen eingesetzt werden.
Die Aussagen der Menschen mit Behinderungen müssen politisch sein, wenn dieses EU-Jahr Sinn haben soll: Sie müssen darauf hinweisen, welche Rechte ihnen vorenthalten werden, wo es Benachteiligungen gibt, und sie müssen energisch verlangen und zielgerichtet darauf hinarbeiten, daß diese Situation nachhaltig verändert wird.
Etwa durch ein umfassendes Behindertengleichstellungsgesetz, in dem auch geregelt ist, daß Verstöße gegen das Gesetz mit Sanktionen geahndet werden können.
Umsetzungshorizont: am besten noch im „Europäischen Jahr 2003“: Denn dann hätte dieses Jahr doch noch einen Sinn gehabt.