Das Münchner Internationale Disability Film Festival ist mittlerweile eine Institution im positivsten Sinne.
Verlässlich werden alle zwei Jahre an drei Tagen ausgezeichnete Filme aus aller Welt zum Thema „Behinderung und chronisches Kranksein“ gezeigt, anschließend stehen Filmemacherinnen und Schauspielerinnen dem Publikum Rede und Antwort.
Wie vor zwei Jahren war das Festival 2007 vor allem bedingt durch die gute Filmauswahl, die breitgefächert verschiedene Themenbereiche des Behindert-seins darstellte, spannend, anregend und aufregend. Das „6. Internationale Kurzfilmfestival wie wir leben! von: mit: über: menschen mit behinderung“, mit 27 Filme aus 16 Ländern, ging am 9. November 2007 mit einer Preisvergabe zu Ende.
Den Publikumspreis erhielt der Film „Die Gedanken sind frei“ von Saara Aila Wasner. Der Titel mutet zwar durch das Mittel der Darstellung durchs Gegenteil etwas zynisch an, der Film aber ist eine einfühlsame Studie über eine Familie und ein großes „Pflegekind“ mit Zwangserkrankung. Schön an diesem Film ist, dass eine gewisse Aggression im Umgang mit der „von Ambivalenz oder gegensätzlichen Gedanken“ geplagten Protagonistin zur Sprache kommt.
Den dritten Preis gewann „Controcuerpo“ von Eduardo Chapero-Jackson, ein schicker Film über Anorexie, der international zahlreiche Auszeichnungen erhielt und etwas verspielt mit einer Schaufensterpuppe als Symbolträger für ideale Schönheit operiert. Irritierend bleibt der Tod der Protagonistin und die Beförderung der Puppe auf die Müllkippe, wo diese in einer riesigen Maschine zermalmt wird.
Der zweite Preis des Festivals ging an den iranischen Film „Jaei denj baraye Mahiha / Ein hübscher Ort für die Fische“ von Naser Zamiri. Die im Film von Bruder und Schwester gespielten Protagonisten sind kleingewachsen und erwarten ein Kind. Sie machen sich Sorgen, ob es auch so klein werden wird und beklagen das Angestarrt werden in der Gesellschaft. Die Schwangerschaft wird von einer Ärztin im Krankenhaus als Risikoschwangerschaft eingestuft.
Der Film erreicht einen ersten emotionalen Höhepunkt, als der Mann, der im Krankenhaus, wo die Frau entbinden wird, arbeitet, ein Stethoskop mit nach Hause bringt und beide die Herztöne des ungeborenen Kindes hören und lächeln. Dann bricht der Film. Albtraum des Ehemannes, Geburt des Kindes. Die Geburt im Film erfolgt in ein Präparateglas, im ersten Moment ist eine Wassergeburt denkbar, aber nein, das Kind ist tot.
Kein Dialog mehr zwischen den beiden, keine Elaboration der Trauer. Der Film endet, als der Mann das Kind im Glas aus dem Krankenhaus entwendet und in den Fluss wirft. Starke Bilder, die aber auch starke Interpretationen heraufbeschworen. Eine mögliche Aussage des Filmes „Kinder behinderter Personen“ werden besser gar nicht geboren und wenn dann eliminiert, wurde nicht öffentlich aber unter den Teilnehmern diskutiert.
Den ersten Preis gewann schließlich der thailändische Film „Moen-Koey / Immer“ von Sivaroj Kongsakul. Ein altes Ehepaar, die Frau hat eine Demenz, der Mann kümmert sich liebevoll. „Paradise is pink“ ertönt es zu Beginn des Filmes aus dem Radio und Michael Mervin Festivalteilnehmer und Behindertenaktivist aus den USA dazu: „most of the films on this topic show how hard it is, only how hard it is, and this film is a good exception„.
Die Jury hat dieses Jahr mit ihrer Auswahl für Überraschung gesorgt, wirken die Filme doch eher konservativ, lieblich, nicht gerade dem letzten Schrei der Behindertenbewegung entsprechend. Alle von der Jury ausgewählten Filme haben zwar Figuren mit Behinderung als Protagonisten, zeigen aber wenig von einer disability culture, zeigen wenig an Empowerment, stolz auf eine Behinderung zu sein.
Die Filme neigen eher zu einer individualisierten Sicht auf Behinderung, die Familie in den Vordergrund stellt nicht ein Selbst-Bestimmt-Leben Modell. Die eben genannten Punkte wurden aber von zahlreichen, eben nicht prämierten Filmen, zum Beispiel: „13 Lat i 10 miesiecy, Seule, Kan man dø i himlen, Rendez-vous, The Kids are all right, Schwarzfahrer, Over mijn lippen, Taikayö“ aufs Beste erfüllt.
Das geniale Konzept der Münchner, alle FilmemacherInnen und deren ProtagonistInnen persönlich einzuladen, um nach der Vorführung Frage und Antwort zu stehen, zeigte im Vergleich zum vorigen Festival Schwachpunkte in der Umsetzung: Die Moderation sowie die Übersetzung erschienen teilweise flapsig, zu lässig, manchmal unvorbereitet. Dies mochte auch mit dem sehr dichten Programm zusammenhängen, gab es doch zwischen den Filmblöcken, die jeweils um 18:00 und 21:00 Uhr begannen, während der drei Tage kaum die Möglichkeit einer richtigen Pause.
Unmut erregte auch der BUS, ein Shuttlebus, der die Gäste des Festivals zu ihrem Hotel brachte. Jeden Abend wurden so vor allem Gäste mit Mobilitätseinschränkung dem restlichen Publikum entrissen. So lag der Gedanke an eine Institution, die bestimmt, wann Zeit für Bettruhe ist, nahe. Solche unmodernen Zustände sind aber leicht zu ändern. Das nächste Kurzfilmfestival wie wir leben! in München gibt es gegen Ende 2009.
Hast du Interesse an Mitarbeit beim Vienna International Freak Film Festival? Melde dich bei hans.hirnsperger@meduniwien.ac.at oder +43 699 101 102 19.