Die Zugänglichkeit ist nicht ganz perfekt

2011 irgendwo in Österreich: Ein neu gebautes Geschäft, eine neu gepflasterte Straße.

Stufe vor Rampe
Flieger, Mag. Petra

Zum Geschäft führen Stufen und eine Rampe. Von der Straße zur Rampe führt eine Stufe. „Das gibt´s doch nicht“, denken spontan wohl viele und fragen sich, wo der Hausverstand der Verantwortlichen bei dieser Konstruktion geblieben ist. Verantwortlich müssen einerseits die Geschäftsführung, andererseits die für Baubewilligungen und den Straßenbau zuständige Gemeinde sein.

Wie ergeht es einem Rollstuhlfahrer, der auf diese absurde Barriere hinweisen möchte? Spontan wendet er sich zuerst direkt an das Geschäft. Da er selbst dort nicht hinkommt, ersucht er seine Begleiterin um Vermittlung. Die herbeigebetene Vertreterin des Geschäfts weist sofort jegliche Verantwortung von sich: Für die Stufe sei die Gemeinde zuständig, das Geschäft habe nichts mit der Rampe zu tun.

Der Rollstuhlfahrer setzt sich daheim also per E-Mail mit der besagten Gemeinde in Verbindung, ersucht freundlich um die Klärung der Zuständigkeit und um die Beseitigung der Barriere. Er weist außerdem darauf hin, dass das Kopfsteinpflaster für RollstuhlfahrerInnen denkbar ungünstig ist. Dies vor allem auch deshalb, weil die Straße zu einem als rollstuhlgerecht beworbenen Wanderweg führt. Die Gemeinde erklärt daraufhin, dass nicht sie für den Zugang zum Geschäft zuständig sei, sondern dessen Geschäftsführung.

Man habe sich mit dieser bereits in Verbindung gesetzt und sie über die Sachlage informiert. Die Geschäftsführung sehe ein, dass die Zugänglichkeit nicht perfekt sei, aber die meisten Rollstuhlfahrer könnten die Stufe überwinden. In Bezug auf das holprige Pflaster der neuen Straße erklärt die Gemeinde, dass dies so vom Gemeinderat beschlossen worden und doch wohl bewältigbar sei.

Für die Gemeinde und für die Geschäftsführung ist also alles paletti: Keiner von beiden sieht sich veranlasst, irgendetwas an der Zugänglichkeit zu verbessern. Ein Jahr später ist die Stufen-Rampe unverändert.

Das Bundesbehindertengleichstellungsgesetz sieht für mittelbare Diskriminierungen dieser Art bürgerliches Engagement in Form eines Schlichtungsverfahren vor: Fühlt sich eine behinderte Person diskriminiert, kann beim Bundessozialamt ein Schlichtungsverfahren eingeleitet werden. Das heißt, die betroffene Person muss ein Formular ausfüllen, auf dem sie erläutern soll, wann und wo ihrer Meinung nach eine Diskriminierung stattgefunden hat und wie es dazu kommt, dass sie sich diskriminiert fühlt. Sie muss außerdem erklären, was sie sich von einer Schlichtung erwartet.

Das Schlichtungsverfahren selbst kann unterschiedlich lange dauern, je nachdem, wie schnell eine Einigung erzielt wird oder auch nicht. Für manche Schlichtungen reicht eine Sitzung, andere ziehen sich über Monate und sind mit aufwändiger Korrespondenz und viel Kommunikation verbunden. Dieses zivilgesellschaftliche Engagement kann durchaus zeit- und ressourcenintensiv sein, doch es werden weder Spesen noch Verdienstentgang ersetzt.

Das wirklich Ärgerliche im Zusammenhang mit dem oben geschilderten Beispiel ist, dass es diese Stufen-Rampe eigentlich nicht mehr geben dürfte. Seit dem Inkrafttreten des Behindertengleichstellungsgesetzes im Jänner 2006 müssen alle neu errichteten Gebäude, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, barrierefrei zugänglich sein.

Das hat sich offensichtlich noch nicht ausreichend herumgesprochen, wie auch die vor einigen Monaten veröffentlichte Evaluation des Behindertengleichstellungsrechts deutlich macht. Zwar habe insgesamt eine Sensibilisierung für die Notwendigkeit von Barrierefreiheit stattgefunden, aber eine umfangreichere Umsetzung von baulicher Barrierefreiheit scheitere, unter anderem am fachlichen Know-How. Wobei das Beispiel der Stufen-Rampe deutlich zeigt, dass es beim Know-How schon an den einfachsten Basics scheitert. Den vielzitierten Hausverstand sucht man hier und bei unzähligen ähnlich gelagerten Beispielen vergeblich.

Was behinderten Personen in Österreich zugemutet wird, kann ordentlich wütend machen:

  • In Bezug auf Barrierefreiheit mangelt es über weite Strecke am Problembewusstein.
  • Völlig unbekümmert weisen Behörden jede Verantwortung für die Einhaltung von Barrierefreiheit von sich. Wo war die Bauaufsicht beim Neubau der Straße und bei der Gestaltung der Gehsteigkante?
  • Behörden finden es nicht weiter diskussionswürdig, dass eine Stufen-Rampe einem Rollstuhlfahrer gegenüber als nicht perfekte Zugänglichkeit bezeichnet wird.
  • Behörden geben sich mit der Auskunft zufrieden, dass die meisten Rollstuhlfahrer die Stufe bewältigen können.
  • Geschäftsführungen verstehen nicht, was eigentlich das Problem sein könnte.
  • Geschäftsführungen übergehen die Hinweise von Betroffenen und übernehmen keine Verantwortung.
  • Alle rechtfertigen sich.
  • Niemand entschuldigt sich.
  • Niemand beseitigt die Barriere.
  • Nichts ändert sich.

Aber Betroffene dürfen ein Schlichtungsverfahren einleiten, in dem sie aufklären, informieren, technische Vorschläge für die Überwindung von Barrieren machen und vor allem verständnisvoll sein sollen. Verständnisvoll den vielen Argumenten gegenüber, warum die Herstellung von Barrierefreiheit so schwierig oder gar nicht möglich oder möglicherweise gar nicht notwendig sei. Denn nicht perfekte Zugänglichkeit ist eigentlich eh ok.

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