Diskriminierungen behinderter Menschen beenden!

Im Folgenden Auszüge meines Referates beim Hearing für ein Gleichstellungsgesetz am 17. Oktober 1996 im Parlament.

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BIZEPS

Behinderte Menschen sind die letzte gesellschaftliche Gruppe in Österreich, deren Bürgerrechte noch nicht anerkannt sind. Behinderung muß als ein politisches Phänomen und als ein Phänomen betrachtet werden, wie die Gefühle gegenüber behinderten Menschen in politischen Systemen entstanden sind und entstehen.

Um hier Erklärungen zu finden, also den Regelkreis zwischen abwertenden und diskriminierenden Gefühlen gegenüber behinderten Menschen zu erklären, die den Alltag von behinderten Menschen dominieren, müssen wir von der Bedeutsamkeit von Angst vor Behinderungen und von Projektionen reden. Projektion meint, daß wir in andere Menschen das hineinlegen, vor dem wir die größte Angst haben, z. B. das, was wir selbst an uns ablehnen, nicht wollen oder etwas, das uns bedroht.

Niemand will unschön/ekelerregend aussehen, niemand will unglücklich sein, niemand will krank werden, alle haben Angst vor dem Tod. Alle diese angstbesetzten Themen, mit denen wir so schwer in unserer Welt der perfekten Ansprüche an den arbeits- und konsumfähigen Menschen umgehen können, verdrängen wir alltäglich, wollen sie von uns ferne haben.

Ganz verdrängen können wir sie nicht und es ist aus allen unseren Erfahrungen festzustellen, daß behinderten Menschen gefühlsmäßig mit diesen Themen identifiziert werden.

Sie werden es kaum glauben, wie oft ich in alltäglichen Gesprächen mit mir unbekannten Personen – z. B. im Park in der Sonne sitzend – angesprochen werde, und es geht sofort, ohne daß ich es will, um Krankheit, Elend und Tod. Behindert sein wird mit allem Elend der Welt, das einem selbst betreffen kann, identifiziert.

Dieses historisch entstandene Gefühl ist die Basis der täglichen Aussonderung und Diskriminierung von behinderten Menschen. Dieses Abladen von Problemen bei behinderten Personen kann nur funktionieren, wenn deren Probleme nicht im akzeptablen Ausmaß gelöst werden.

Es gibt ein meist unbewußtes Interesse, daß die gesellschaftlichen Probleme behinderter Menschen nicht gelöst werden, das sich im Vergessen der Berücksichtigung der Bedürfnisse von behinderten Menschen auf Zugang zu allen gesellschaftlichen Einrichtungen zeigt.

Wir stoßen in unseren politischen Aktivitäten immer wieder auf dieses Phänomen, daß wir „vergessen“ werden, es Abwehr gibt, sich mit von uns Behinderten gestellten Fragen auseinanderzusetzen. Es wurde „vergessen“ hier einen Gehsteig abzuschrägen, es wurde „vergessen“ hier einen Lift einzubauen, …

Und das alles trotz vorhandener Erlässe, die „vergessen“ werden und die nicht einklagbar sind. Dieses Vergessen und Verdrängen ist eine aktive Strategie des Weg-Haben-Wollens, ist die Basis für alle Formen von Aussonderungen, Mißachtungen und Diskriminierungen von behinderten Menschen in allen Lebensbereichen, es ist aber auch die Basis für eugenisches Denken – die Vorstellung, behinderte Menschen stören oder vernichten einen gesunden Volkskörper – es ist die Basis für „Euthanasie“, die ja schon wieder diskutiert wird.

Es ist im gesellschaftlichen und politischen Alltag klar, daß es bei uns Rassismus und Antisemitismus gibt, es ist klar, daß es Sexismus gibt und daß es hier politischen Handlungsbedarf gibt, so wie manche PolitikerInnen mit diesen Gefühlen politisch arbeiten und Menschen gegeneinander aufbringen (siehe Ausländerhetze).

Es ist im politischen Alltag nicht klar, daß es eine ähnliche Haltung gegenüber behinderten Menschen gibt, für die es auch kein übliches Wort gibt, die man aber am besten in Anlehnung an amerikanische Formulierungen „Handicapismus“ nennen könnte.

Handicap kommt von Kappe in der Hand, kommt vom Betteln. Handicapismus ist die unbewußte Haltung vergleichbar mit Rassismus und Sexismus, die behinderten Menschen gleiche Rechte verweigert, die Behinderte im Status von abhängigen, auf Gnade und Mildtätigkeit (Spenden) angewiesene Personen hält – Handicapismus ist die Haltung, die Behinderung erzeugt.

Wir in der Selbstbestimmt-Leben Bewegung sprechen davon, daß wir nicht behindert sind, sondern behindert werden. Behinderte Menschen werden unter dem Einfluß von Diskriminierungen vielfach zu dem, was man ihnen von vornherein unterstellt, daß sie es sein könnten.

Entscheidend ist, daß die Abwertung von behinderten Menschen, die Verminderung von Lebenschancen bis zu neuen „Euthanasie“-Tendenzen strukturelle, politische Hintergründe haben.

Beide Tendenzen sind nämlich heute erkennbar: Es gibt sichtbare Fortschritte in der Integration und in der Beachtung der Menschenwürde von behinderten Menschen und es gibt gleichzeitig eine Zunahme an direkter persönlicher Gewalt gegen behinderte Menschen bis zur direkten Formulierung von Tötungswünschen.

Integration und Achtung gleicher Rechte müssen politisch durchgesetzt werden.

Wenn wir das nicht betreiben, arbeiten wir der indirekten oder direkten Vernichtung von Lebensmöglichkeiten für behinderten Menschen bis zur „Euthanasie“ zu.

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