Entgegnung zum Beitrag der Sendung „Moment Leben Heute“, Beitrag über Günter Ertl vom 20.8.2002

Offener Brief an die Redaktion zum Thema Selbstverteidigungskurse

Hände im Schoss
Chlebecek, Mag. Elisabeth

Sehr geehrte Redakteurinnen!

Im Rahmen unserer Arbeit sind wir auf Ihren Radiobeitrag aufmerksam gemacht worden, und möchten, auch wenn die Übertragung schon einige Monate her ist, eine Stellungnahme dazu abgeben. Vorab möchten wir Ihnen rückmelden, dass wir die Initiative zu dieser Sendung außerordentlich schätzen. Unsere Kritik wollen wir nicht als Entmutigung, sondern als Anregung verstanden wissen.

Unser Verein hat langjährige Erfahrung mit Selbstverteidigungskursen für Frauen, die als geistig oder mehrfachbehindert klassifiziert werden. Wir bieten unsere Kurse in Kooperation mit dem Verein Drehungen an. Die Trainerinnen, die mit uns zusammenarbeiten sind ausgebildet, Kurse für Frauen mit unterschiedlichsten Behinderungen zu leiten und haben jahrelange Erfahrung darin. Vor diesem Hintergrund möchten wir einige Punkte zur Sendung kritisch anmerken.

Wir halten es für sehr wichtig, zwischen Gewalt gegen Frauen und Gewalt gegen Männer zu unterscheiden. Die Gewaltsituationen gegen Frauen und Männer sind verschieden, und auch die Erfolg versprechenden Abwehrstrategien. Daher halten wir nur getrennt-geschlechtliche Kurse für wirklich sinnvoll. Dazu gehört auch, dass Frauen Frauenkurse und Männer Kurse für Männer abhalten. Zu unserem Bedauern hat Günther Ertl hier keine Unterscheidungen getroffen, und im Beitragstext wurde dies leider auch nicht kommentiert. Wie Herr Ertl in dem Interview ja bereits erwähnt hat, ist gerade die Rate der sexuellen Gewalt und Ausbeutung gegen Frauen mit Behinderungen enorm hoch. Wie wir aus der Arbeit mit diesen Frauen wissen, kann es zu Retraumatisierungen kommen, wenn eine Gewaltsituation zu Übungszwecken unreflektiert nachgespielt wird.

Der Aussage von Herrn Ertl, wonach besonders „hübsche Rollstuhlfahrerinnen Freiwild sind“, möchten wir ganz entschieden entgegnen, dass dies ein verbreitetes Klischee bedient . Es lenkt davon ab, dass sexuelle Gewalt ein Ausdruck von Machtausübung ist, und nicht eine („verständliche“) sexuelle Triebreaktion.

Unser Ansatz in Kursen ist es auf die besonderen Stärken jeder einzelnen Frau einzugehen. Wir halten Globalaussagen von Hrn. Ertl wie „Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen behindern sich in Kursen gegenseitig“ oder „Man kann Menschen mit geistigen Behinderungen keine effektiven Selbstverteidigungstechniken beibringen, weil man ihnen nicht zutrauen kann sie gezielt einzusetzen“ für diskriminierend. Sie betätigen gesellschaftliche Vorurteile und sind gerade in einem Selbstverteidigungskurs für Menschen mit Behinderungen unangebracht und bevormundend.

Wir wissen, dass Sie keinen Einfluss auf die von Hrn. Ertl vorgebrachten Inhalte hatten. Trotzdem hätten wir es gut gefunden, wenn auch andere Fachfrauen zu Wort gekommen wären und andere Standpunkte und Haltungen dadurch sichtbar worden wären. So ist der Eindruck entstanden, Hr. Ertls Kurse sind die einzigen und innovativsten, die es in Wien gibt.

Mit freundlichen Grüssen,

Mag.a Susanne Bali (Vorstand, Selbstverteidigungstrainerin)

Mag.a Klaudia Gruber (Koordination, Fortbildung)

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