Thema des europäischen Behindertentages am 3.12.99
Der heurige „Europäische Tag der Behinderten“ am Freitag, den 3. Dezember, ist dem Thema Gewalt gewidmet. Nicht nur die körperliche und psychische, sondern auch die institutionelle Gewalt ist damit gemeint. Heinz Fischer, Präsident der Lebenshilfe Österreich: „Der Staat sollte Menschen mit geistiger Behinderung vor Gewaltakten schützen. Dieser Pflicht kommt er aber in manchen Bereichen nicht nach und wird damit selbst zum ‚Täter‘.“
„Fehlende oder mangelhafte gesetzliche Regelungen lassen sogar körperliche Gewaltakte zu“, so Fischer. „Die Sterilisation von behinderten Frauen und Männern ist nach wie vor nicht geregelt, immer noch sind Sterilisationen ohne Einwilligung oder gar Wissen der betroffenen Person möglich.“ Ein fertiger Gesetzesentwurf zur Regelung der Sterilisation im Kindschaftsrecht wurde in der vergangenen Legislaturperiode nicht mehr ins Parlament eingebracht und bisher auch nicht in der Bundesregierung behandelt.
Von drohender Gewalt an einwilligungsunfähigen Personen hat sich der österreichische Staat bisher nicht klar distanziert. Seit etlichen Jahren kämpft die Lebenshilfe Österreich dafür, daß sich der Nationalrat gegen eine Ratifizierung der „Biomedizin-Konvention“ des Europarates ausspricht. Darin ist unter anderem enthalten, daß riskante fremdnützige medizinische Forschung an einwilligungsunfähigen Personen zulässig ist – also an geistig behinderten, altersdementen, alzheimerkranken und vielen anderen Menschen.
Eine Form der psychischen Gewalt ist die Art, wie immer öfter mit alten geistig behinderten Menschen umgegangen wird. „Kaum ein Landesgesetz nimmt die Bedürfnisse dieser Gruppe wahr. Die Folge ist,“ so Fischer, „daß sie aus ihrer gewohnten Umgebung herausgerissen und in Altersheime zwangsverlegt werden.“ Gefordert wird von der Lebenshilfe Österreich daher ein bundesweit einheitlicher Rechtsanspruch auf adäquate, den individuellen Unterstützungsanforderungen angepaßte Wohnform für alle Menschen.
Präsident Fischer abschließend: „Gesetzliche Bestimmungen sollten das Zusammenleben regeln, damit alle Menschen gleiche, möglichst optimale Lebensbedingungen vorfinden. Das Menschenrecht der Selbstbestimmung muß vom Gesetzgeber grundsätzlich auch Menschen mit geistiger Behinderung zugestanden werden. Anderfalls bekommt der Begriff der ‚Staatsgewalt‘ einen sehr negativen Beigeschmack.“