Kein Recht auf Datenschutz für behinderte Menschen?

Die ARGE DATEN - Österreichische Gesellschaft für Datenschutz hat Vorfälle im Zusammenhang mit der Gratis-Autobahnvignette analysiert und kommt zu bemerkswerten Schlüssen.

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Skurrile Vorfälle im Zusammenhang mit der Gratis-Autobahnvignette zeigen wenig sensiblen Umgang der verantwortlichen Behörden – Daten, die auf eine Behinderung schließen lassen sind sensible Daten – Staat wendet vermehrt Almosenprinzip an: Vergünstigungen nur gegen Menschenrechtsverzicht – Musterbeispiel Autobahnvignette – Gesetzesbestimmungen nicht EU-konform. (Bericht der ARGE Daten vom 19. Februar 2008).

Personenbezogene Daten, welche auf die Behinderung eines Menschen schließen lassen, sind besonders sensibel und damit einem erhöhten Schutzniveau unterworfen. Dass die Republik Österreich Menschen mit Behinderung in manchen Bereichen finanzielle Begünstigungen gewährt, ist löblich und zu befürworten. Abzulehnen ist es aber, wenn auch in diesem Bereich das viel strapazierte Prinzip „Vergünstigung nur gegen Grundrechtsverzicht“ geübt wird. Der wenig sensible Umgang der Behörden bei der Ausstellung der „Gratisvignette“ der Autobahnmaut für Menschen mit Behinderung lässt allerdings darauf schließen, dass der Staat vermehrt nach diesem Prinzip agiert.

Anlassfälle

Anlassfall sind die Erfahrungen eines Behinderten, welcher, als er beim Bundessozialamt einen Antrag auf Erteilung einer Gratis-Jahresvignette abgeben wollte, durch die zuständige Beamtin aufgefordert wurde, eine Erklärung zu unterzeichnen, dass seine „Passnummer“ an die ASFINAG übermittelt werden dürfe. Eine Nachfrage, nach dem Sinn dieser Maßnahme, verlief einsilbig: Das ist eben nötig, wenn Sie das nicht ankreuzen, kriegen Sie die Vignette nicht. Der Betroffene blieb trotzdem dabei, seine „Passnummer“ nicht ohne Grund an eine Privatfirma übermitteln zu wollen. Schließlich endete die Geschichte glimpflich: Nach einem kurzen Telefonat bekam der Betroffene die Vignette trotzdem.

Sinn und Rechtsgrundlage?

Die kleine Einleitungsgeschichte dient natürlich nicht dazu, einzelne Beamte zu verunglimpfen. Fraglich ist aber jedenfalls, welchen Sinn derartige Vorgehensweisen haben sollen und auf welcher Rechtsgrundlage diese passieren. Eine Recherche des Betroffenen ergab, dass mit der „Passnummer“ nicht – wie anfangs angenommen- die Nummer des Reisepasses gemeint war, sondern vielmehr jene des „Behindertenpasses“ und die Maßnahme dazu dienen soll, eine Doppelausstellung der Gratisvignette durch die ASFINAG zu vermeiden.

Eine Überprüfung der gesetzlichen Grundlagen ergibt allerdings, dass der Gesetzgeber offenbar darauf „vergessen“ hat, für ein derartiges Vorgehen auch eine gesetzliche Regelung zu schaffen.

Gemäß § 13 Abs 2 des Bundsstraßen-Mautgesetzes 2002 hat das Bundsamt für Soziales und Behindertenwesen auf Antrag behinderten Menschen, auf die zumindest ein mehrspuriges Kraftfahrzeug mit einem höchsten zulässigen Gesamtgewicht von nicht mehr als 3,5 Tonnen zugelassen wurde, soweit sie im Besitz eines Behindertenpasses gemäß § 40 Bundesbehindertengesetz sind, in dem eine dauernde starke Gehbehinderung, die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung oder die Blindheit eingetragen sind, eine Jahresvignette für ein Kraftfahrzeug der genannten Kategorie kostenlos zur Verfügung zu stellen.

Die Autobahnen- und Schnellstraßen-Aktiengesellschaft hat dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen die erforderliche Anzahl an Jahresvignetten für das jeweils folgende Kalenderjahr zu überlassen.

Auch Pkt. 6 der Mautordnung der ASFINAG enthält eine entsprechende Regelung. Eine Datenübermittlung ist auch hier nicht vorgesehen, allerdings muss der Betroffene, sofern er die Jahresvignette nicht rechtzeitig erhält bzw. diese verloren geht oder er ein neues Fahrzeug bekommt, die Jahresvignette bei der ASFINAG selbst beantragen und seine Behinderteneigenschaft nachweisen.

Datenübermittlung ohne Grundlage

Für eine Übermittlung von Daten im Zuge eines Erstantrages über das Bundessozialamt besteht jedoch schlicht keine gesetzliche Grundlage. Der Betroffene ist in keinem Fall verpflichtet, einer Datenübermittlung an die ASFINAG zuzustimmen, das Bundessozialamt muss die Vignette ausstellen.

Im Formular mit der Zustimmung zur Datenweitergabe an die ASFINAG wird zwar auf die Freiwilligkeit der Zustimmung hingewiesen. Es ist jedoch fraglich, ob die vom Bundessozialamt verwendete Erklärung überhaupt als gültige Zustimmungserklärung im Sinne des Datenschutzgesetzes angesehen werden kann.

Datenübermittlungen, die keinem berechtigten Zweck folgen, sind immer unzulässig und können auch nicht durch die Zustimmung des Betroffenen saniert werden. Laut Erklärung soll die datenweitergabe der „effektiveren“ Abwicklung dienlich sein. Tatsache ist jedoch, dass die Vignetten nicht personenbezogen ausgestellt werden, sondern die ASFINAG die vom Bundessozialamt angegebene Zahl auszufolgen hat. Der Austausch von Namen oder Passdaten wäre bloß ein zusätzlicher Verwaltungsaufwand und würde die Abwicklung nicht effektiver machen.

Offenbar wird hier versucht Betroffene in die Rolle von „Bittstellern“ zu drängen, die derartigen Übermittlungen jedenfalls zuzustimmen hätten.

Husch-Pfusch-Gesetzgebung zu Lasten Behinderter

Politisch ist darüber hinaus zu kritisieren, dass im Falle eines Fahrzeugwechsels, unverschuldeten Nichterhalts oder Verlust Betroffene dazu gezwungen sind, ihre Behinderung gegenüber einem privaten Unternehmen mitteilen zu müssen und nicht auch in diesem Fall die Antragstellung über das BSA ermöglicht wird.

Die Verarbeitung von Daten ohne gesetzliche Grundlage ist in jedem Fall abzulehnen. Wenn ein derartiges Vorgehen aber Daten über Behinderungen betrifft, die einem besonderen Schutz unterliegen, ist doppelte Vorsicht geboten. Eine sinnvolle Lösung wäre es jedenfalls, wenn die Antragstellung generell über das BSA laufen würde, dann würde man sich auch die Problematik von „Doppelanträgen“ ersparen.

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