SPÖ-Behindertensprecherin fordert "Taten statt schöner Worte"
„Säumigkeit“ wirft SPÖ-Behindertensprecherin Christine Lapp der Bundesregierung bei der Erarbeitung eines Behindertengleichstellungsgesetzes vor. Seit Jänner dieses Jahres liege der Vorentwurf für dieses Gesetz vor, knapp sechs Monate später sei noch immer nichts davon zu sehen und zu hören, so Lapp am Donnerstag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit SPÖ-EU-Abgeordneten Harald Ettl und der Behindertenvertrauensperson und Buchautorin Helga Stadler-Richter.
„Die Bundesregierung muss den schönen Worten endlich Taten folgen lassen, denn es ist sehr wesentlich und wichtig, dass behinderte Menschen die gleichen Rechte haben wie alle anderen“, unterstrich die SPÖ-Behindertensprecherin.
Heftige Kritik übte die SPÖ-Behindertensprecherin an Soziaminister Haupt. Dieser habe die Erarbeitung des Gesetzes viel zu wenig vorangetrieben und seine „Hausaufgaben nicht erledigt“. Ein Beleg dafür sei, dass die Stellungnahmen von den meisten Ministerien und vom Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes zum Begutachtungsentwurf durchwegs negativ gewesen sei. In den Zusammenhang ortet Lapp auch „mangelnde Transparenz“ seitens des Sozialministeriums.
Denn auf der Homepage des Ministeriums könne man zwar den Vorentwurf zum Behindertengleichstellungsgesetzes einsehen, nicht jedoch die Stellungnahmen der einzelnen Bundesländer, Organisationen und Vereine. Die Betroffenen könnten sich daher viel zu wenig informieren und seien nicht eingebunden, bemängelte die SPÖ-Behindertensprecherin.
Die SPÖ fordert für Menschen mit Behinderung die gleichen Rechte wie für alle anderen Menschen, betonte Lapp. Zu diesem Thema habe die SPÖ im März 2004 ein umfassende Enquete veranstaltet, die zum Ziel hatte, die Standpunkte aller Verantwortlichen darzulegen und einen Konsens zu erreichen. Ziel eines Behindertengleichstellungsgesetzes sollte sein, den behinderten Mensch ein wirklich gleichberechtigtes Leben zu ermöglichen. Nur die entsprechenden EU-Richtlinien umzusetzen, sei zu wenig.
„Wir werden uns darum bemühen, dass dieses Gesetz Wirklichkeit wird und dass das Gleichstellungsgesetz in die Begutachtung geht. Und wir richten auch dazu an den Sozialminister, egal welchen Namen er trägt, Anfragen und bringen Entschließungen dazu ein, weil es wesentlich und wichtig ist, dass das Gleichstellungsgesetz kommt“, bekräftigte Lapp.
Man könne behinderte Menschen nicht hinhalten. „Die Regierungsparteien müssen jetzt zeigen, dass diesen Worten auch Taten folgen.“
Lapp präsentierte einen Forderungskatalog: Ein zentraler Punkt ist die Integration behinderte Kinder und Jugendlicher in der Schule. Bildungsministerin Gehrer habe die Wichtigkeit dieses Themas leider nicht erkannt und Wünsche der Betroffenen mit dem Verweis auf finanzielle Aspekte abgeschmettert. Ein weiterer wichtiger Punkt sei die Integration behinderter Menschen am Arbeitsmarkt. Trotz der sogenannten Beschäftigungsoffensive der Bundesregierung habe sich die Situation behinderter Menschen am Arbeitsmarkt nicht verbessert. Darüber hinausgehend habe die Regierung auf diesem Gebiet nichts unternommen.
Ettl: Sollten Behinderung als Normalität empfinden
„Behinderte, die selbst mit ihrer Behinderung leben und gut rehabilitiert sind oder ihr Leben lang mit einer Behinderung leben müssen, empfinden das als Normalität. Deswegen sollten wir als Sozialpolitiker ebenfalls Behinderung als Normalität empfinden“, so SPÖ-EU-Abgeordneter Harald Ettl. „Das ist der Zugang, den der Sozialausschuss im Europäischen Parlament zu dieser Frage hat, und genau dieser Zugang hat in Wirklichkeit das Jahr der behinderten Menschen 2003 geprägt.“
Auf EU-Ebene würde man sich schon lange für behinderte BürgerInnen engagieren, so Ettl. Eine ausschlaggebende Rolle bei der sozialen Integration komme der Beschäftigung zu, hier habe die EU einiges unternommen. So ermögliche die Verordnung über staatliche Beschäftigungsbeihilfen behinderungsspezifische Maßnahmen.
Mitgliedsstaaten können dadurch Beihilfen für die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen und für die Einstellung behinderter ArbeitnehmerInnen gewähren. Bis zu 60 Prozent der jährlichen Lohnkosten und Sozialversicherungsbeiträge können von Mitgliedsstaaten übernommen werden, wenn Unternehmen eine behinderten Arbeitnehmer einstellen. Vor allem der Aktionsplan „Chancengleichheit für Menschen mit Behinderungen“ solle helfen, weiter Maßnahmen zu setzen und vor allem durchzusetzen, erklärte Ettl.
Im Rahmen des europäischen Aktionsplan würden drei operative Ziele formuliert, die bis 2020 umgesetzt werden sollen: Die Anwendung der Richtlinie zur Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, die Einbeziehung der Behindertenthematik in alle einschlägigen Gemeinschaftsmaßnahmen und die Förderung des Zugangs für alle. Erreicht werden sollen diese Ziele durch die Entwicklung konkreter Aktionen in Kernbereichen, durch die Erstellung eines 2-Jahres-Berichtes der Kommission über die globale Situation von Menschen mit Behinderungen in der EU und eine verstärkte Einbeziehung der Stakeholder und Akteure in den politischen Dialog, so Ettl.
Stadler-Richter: Behindertenpolitik ist Gesellschaftspolitik
Helga Stadler-Richter, Behindertenvertrauensperson und Buchautorin, betonte, dass Behindertenpolitik nicht per se, sondern in einer „globalen Gesellschaftspolitik“ zu begreifen sei. Jede Gesellschaft definiere sich durch ein Kommunikationsnetzwerk. Gesellschaftspolitik müsse positiv gestaltend sein, um positiv zu wirken, so die zweite These der Buchautorin, die selbst zu 80 Prozent behindert ist. Weiters werde der Wert einer Behindertenpolitik vielfach durch die Budgetpolitik überlappt. „Inklusion“ statt „Integration“ ist eine weitere Forderung von Rabl-Richter.
Behindertenpolitik könne nur im Rahmen eines effektiven „Vorsorge-Managements“ wirken. Rabl-Richter unterstrich zudem die Notwendigkeit von vernetzten Managementkreisen des Vorsorge-Managements im öffentlichen und privaten Bereich. Behindertenpolitik als „Lebensbegleitendes Förderungs- und Wohlfahrtsprogramm“ erweise sich als „effektivstes“ Sparprogramm, so die 7. These.
Europa arbeite an der Verwirklichung eines „gemeinsamen Europas der Menschen“, so die Buchautorin. Die Gemeinsamkeit fange jedoch bei der Hereinnahme und Annahme aller Menschen als „Gleiche“ an. „Wir müssen also bei ‚Behinderten‘ in jeder Form anfangen, um diese große Gemeinsamkeit verwirklichen zu können“, betonte Stadler-Richter abschließend.