Weber fordert rasche Einbeziehung in die Sozialversicherung
„Das Einkommen muss für Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung durch einen regulären Erwerbslohn und darüber hinaus durch die Einbeziehung in die Sozialversicherung abgesichert sein. Hier müssen Bund und Länder rasch gesetzliche Schritte setzen“, äußert sich Lebenshilfe-Generalsekretär Albert Brandstätter zur Arbeitssituation in Werkstätten oder Tagesstrukturen in denen Menschen mit Behinderungen arbeiten.
Derzeit erbringen rund 20.000 Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung in Tagesstrukturen von Behindertenorganisationen ihre Leistung, ohne dafür entsprechend entlohnt zu werden. Auf Grundlage der UN-Behindertenrechtskonvention spricht sich die Lebenshilfe Österreich für die Schaffung neuer arbeitsrechtlicher Regelungen aus, die Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung einen Zugang zu Lohn samt Sozialversicherung eröffnen.
„Österreich ist eines der wenigen Länder in der EU, in dem Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung keine eigene Sozialversicherung und in Folge keine Pension erhalten“, kritisiert Brandstätter.
Personen in Werkstätten oder Tagesstrukturen bekommen für ihre Arbeit ein geringes Taschengeld ausbezahlt, das Bundesland spezifisch ist, und hier zwischen 50 und 150 Euro schwankt. Gesetzlicher Hintergrund ist, dass die behinderten Menschen sehr häufig unter die starre 50% Grenze der Erwerbsunfähigkeit fallen und somit die Tätigkeiten in Werkstätten oder Tagesstrukturen nicht als Erwerbsarbeit gelten. Die Finanzierung erfolgt durch die Länder mit Geldern aus der Behindertenhilfe, deren Regelungen unterschiedlich gestaltet sind.
Ebenfalls kritisch sieht die Lebenshilfe die Mitversicherung von erwachsenen Menschen mit Beeinträchtigungen bei ihren Eltern. Lebenshilfe-Präsident Univ.-Prof. Dr. Germain Weber hält dieses Modell der familienbezogenen Leistungen für erwachsene Menschen mit Behinderungen für veraltet.
Weber: „Die familienbezogenen Leistungen stammen aus einer Zeit, als die durchschnittliche Lebenserwartung von Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen sehr niedrig war: Und diese Regelung wurde bis dato an die veränderte demographische Entwicklung von Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung, die heute eine Lebenserwartung von über 70 Jahren aufweisen, nie angepasst. Die Mehrzahl der Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen erreichen heute das Pensionsalter und wollen diese Zeit auch genießen.“
Hinsichtlich der aktuellen Diskussion über die Heimkinderskandale merkt Lebenshilfe-Präsident Univ.-Prof. Dr. Germain Weber an, dass es sich hier um Personen gehandelt hat, die zu dem Zeitpunkt rechtlich als erwerbsfähig eingestuft waren, und wo die Abgeltung ihrer erbrachten Arbeiten über ein Taschengeld eine massive Diskriminierung darstellt. „Generell haben wir uns in Österreich schnellstens von der „Taschengeldgesellschaft“ für eigentliche Arbeitsverhältnisse zu verabschieden, um dadurch weitere Diskriminierungen zu verhindern“, so Weber.
Die Lebenshilfe hält in ihrem Dialogpapier „Wege zur inklusiven Arbeit“ fest, zukünftig als Arbeitgeber aufzutreten und inklusive Arbeitsplätze samt Entlohnung und Sozialversicherung anzubieten. Brandstätter: „Wir sehen es als unsere Selbstverpflichtung, die Tagesstrukturen neu auszurichten. Wenn wir die UN-Behindertenrechtskonvention ernst nehmen, ist der Weg eindeutig: Menschen mit Beeinträchtigungen sollen die Möglichkeit haben, ihren Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen und wie alle anderen auch in Pension gehen zu können.“
Der Maßnahmenkatalog der Lebenshilfe sieht neben der Selbstverpflichtung auch die verpflichtende Schaffung von inklusiven Arbeitsplätzen seitens der Wirtschaft, ein neues Einstufungsverfahren für die Feststellung von Erwerbsfähigkeit und den umfassenden Ausbau von Unterstützungsmöglichkeiten vor.
„Die vom Bund budgetierten Geldmittel für die Integration von Menschen mit Behinderungen sollten sukzessive in den Aufbau eines inklusiven, durchlässigen Arbeitsmarktes und auch für berufliche Unterstützung behinderter Menschen in den Ländern investiert werden. Hier einen Unterschied zwischen „Bundes- und Landesbehinderten“ zu machen, wie es jetzt der Fall ist, ist kein guter Dienst an der Sache“, schließt Brandstätter.