Lebensunwertes Leben

Ein Relikt aus der Nazizeit als Teil eines modernen Strafgesetzbuches?

Ultraschall
MedicalPrudens

Neben der allgemein bekannten Fristenlösung, die jedoch nicht mein Thema ist, gibt es im § 97 des Strafgesetzbuches über die 3-Monate-Frist hinaus zur straflosen Abtreibung drei Indikationenlösungen:

  1. medizinische Indikation (Lebensgefahr oder schwerer Schaden für die körperliche oder seelische Gesundheit der schwangeren Frau)
  2. eugenische Indikation (eine ernste Gefahr, daß das werdende Kind körperlich oder geistig schwer geschädigt sein werde)
  3. wenn die Schwangere zum Zeitpunkt der Empfängnis noch nicht 14 Jahre alt war.

In den drei oben genannten Fällen ist es möglich, die Leibesfrucht ohne Befristung durch einen Arzt abtreiben zu lassen.

Mit der unter Punkt 2 angeführten Indikation, die Generationen von JuristInnen als sog. „eugenische Indikation“ vorgestellt wurde und in vielen Kommentaren und Lehrbehelfen auch heute noch so bezeichnet wird, bietet der Gesetzgeber die rechtzeitige Aussonderung behinderten Lebens an, weil er es offenbar als nicht schützenswert, also „lebensunwert“ betrachtet.

Eine andere Begründung wird nämlich nicht gegeben, insbesondere wird darauf verzichtet, die Situation der Frau, die ein behindertes Kind erwartet, ins Spiel zu bringen. Dies, obwohl die gesamte Abtreibungsregelung auf die Frau abstellt und ihr das Recht einräumt, über die Leibesfrucht bis zum 3. Schwangerschaftsmonat frei, anschließend – im Rahmen von Indikationen beschränkt – zu entscheiden.

Das Argument, manche Behinderungen könne man erst nach dem 3. Schwangerschaftsmonat erkennen, zieht nicht, weil auch andere schwerwiegende Zwischenfälle (z.B. Tod des Ehemannes während der Schwangerschaft) erst später eintreten können und dann nur im Rahmen der medizinischen Indikation (Gefährdung der psychischen Gesundheit) berücksichtigt werden können.

Die behinderte Menschen diskriminierende Sonderbestimmung der Straffreiheit der Abtreibung wegen Behinderung, die sich, ohne Angabe einer Notlage, nur auf die Behinderung des Kindes gründet, gehört ersatzlos gestrichen.

Sie ist für alle behinderten Menschen ein Schlag ins Gesicht und geht auf Kosten aller Familien, die mit einem behinderten Kind leben, oder die ein Kind trotz Behinderung nicht abtreiben wollen. Sicherlich soll keine Frau deshalb ins Gefängnis kommen, weil sie sich das Leben mit einem behinderten Kind nicht zutraut und abtreibt.

Eine individuelle Entscheidung bleibt ihr auch bei Streichung der Sonderbestimmung offen, denn sie hat immer noch im Rahmen der „medizinischen Indikation“ die Möglichkeit der Abtreibung.

Eine solche Regelung sieht das deutsche Abtreibungsrecht vor. Dort hat man, um behinderte Menschen nicht zu diskriminieren, die bis dahin bestehende eugenische Indikation fallen gelassen.

Der Schwangerschaftsabbruch wird schlicht als nicht rechtswidrig eingestuft, „wenn er nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eine Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden“ (§ 218 a Dstgb n. F.).

Die Zeit ist reif, daß auch Österreich den letzten Rest der Lehre vom unwerten Leben beseitigt, ohne, daß dadurch in die Rechte anderer Personen in unzumutbarer Weise eingegriffen würde.

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