Niederwieser: Umgang mit Schwachen entscheidet Gerechtigkeit des Bildungssystems

„Sicher ist der Umgang mit Hochbegabten auch sehr wichtig, über die Frage der Gerechtigkeit eines Bildungssystems entscheidet aber letztlich, wie mit den Schwächsten umgegangen wird“, übte SPÖ-Bildungssprecher Erwin Niederwieser bei einer Diskussionsveranstaltung am Mittwoch erneut Kritik am differenzierten österreichischen Schulwesen.
„Die wichtigste Bildungsentscheidung treffen in Österreich die Eltern für ihre Kinder, wenn diese zehn Jahre alt sind – und zwar nach eigenem Sozial- und Bildungsstatus“, kritisierte er die frühe Trennung in AHS und Hauptschule. „Fast alle europäischen Länder ersparen den Kindern diese Entscheidung“, verdeutlichte Niederwieser den Sonderstatus Österreichs. „Solange es diesen Mangel gibt, kann man nicht sagen, dass es in Österreich ein gutes Schulsystem gibt“, steht für ihn fest.
Der SPÖ-Bildungssprecher machte sich ferner für ein integratives Schulsystem stark: „Wir brauchen so viel Integration wie möglich – ein Mangel an Integration nimmt auch nicht behinderten Kindern die Chance, mit behinderten zusammenzuleben“. Schon mit sechs Jahren würden Kinder heute entweder einer Volksschule oder Sonderschule zugeteilt, was ihr ganzes weiteres Leben beeinflusse, argumentierte er und strich auch in diesem Kontext die soziale Komponente hervor: „Es gibt keine Akademikerkinder in Sonderschulen“.
Niederwiesers Schluss ist daher eindeutig: „Weg mit dem Sonderschulsystem!“
Brigitta Scharinger,
12.12.2007, 09:38
Die Entscheidung treffen die Eltern und dass hier oft andere Gründe als das Wohl des Kindes im Vordergrund stehen, ist allen klar. Hätten wir eine inklusive Gesellschaft(dieser Begriff inkludiert Politik), bräuchten wir diese Diskussion nicht führen! Solange aber Kinder /Menschen wegen einer „Behinderung“ diskriminiert werden, bin ich froh, dass unser Schulsystem eine Schutzzone für „von anderen behinderten“ Kindern bietet.
Nicht das Sonderschulsystem behindert (Sonderschulen fördern!), sondern Menschen, die auf dieses System und seine Teilhaber herabschauen und es entwürdigen. Unser gesamtes Schulsystem muss überdacht werden, wir sehen das in den Vergleichsstudien(PISA). Die Gesamtschuldiskussion wäre ein guter Anlass, Vergleiche anzustellen und gemeinsam nach optimalen Fördermöglichkeiten für JEDES Kind zu suchen.
Gerhard Lichtenauer,
22.11.2007, 11:04
Den Aussagen Herrn Niederwiesers zur Notwendigkeit eines durchgängigen integrativen Schulsystems und der Überwindung des Sonderschulsystems ist nichts hinzuzufügen. Auf dem Weg zu einer „inklusiven“ Gesellschaft für alle Menschen (UN- Zielvorgabe bis 2010, seit 15 Jahren) gibt es keine Alternative, Sonderschulen herkömmlicher Form müssen weg! Österreichische Bürgerinitiative „Daheim statt Heim“ (www.daheim-statt-heim.at).
Lukas Huber,
22.11.2007, 10:28
Herr Niederwieser, es geht auch anders als die Abschaffung der Sonderschulen. In Schweden gibt es zahlreiche Sonderschulen speziell für gehörlose Kinder, die auf dem bilingualen Unterrichtssystem (inklusive Gebärdensprache) aufgebaut sind. Diese Sonderschulen bringen nach wie vor Akademikerkinder hervor. Das Verhältnis gehörloser StudentInnen und AkademikerInnen in Schweden und Österreich beträgt grob geschätzte ca. 100:1. Der eine Grund ist, dass die Sonderschulen in Schweden nicht nach dem typisch österreichischen Sonderschulsystem mit weniger Inhalte auf niedrigerem Niveau geführt werden, sondern nach dem Regelschulsystem mit gleichen Inhalten auf gleich hohem Niveau. Es würde ausreichen, das Unterrichtssystem der Sonderschulen für gehörlose Kinder zu reformieren und dem Niveau der Regelschulen anzugleichen. Was Sonderschulen für andere behinderte Kinder betrifft, müsste unabhängig davon eine andere Regelung gefunden werden, da behinderte Kinder im Normalfall keine kommunikative Probleme mit anderen Kindern haben.