Offener Brief des ÖGLB an Herrn Faymann und Dr. Spindelegger

Sehr geehrter Herr Faymann, sehr geehrter Herr Dr. Spindelegger, vor wenigen Wochen wurde die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Österreich erstmals überprüft.

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Österrreichischer Gehörlosenbund

Die Staatenprüfung hat aufgezeigt, wo Bund und Länder die Rechte von Menschen mit Behinderungen vorbildlich umsetzen und wo es Nachholbedarf gibt oder größere Veränderung braucht. Es liegt nun bei Ihnen, die Empfehlungen der UN-ExpertInnen in das neue Regierungsprogramm aufzunehmen und in enger Zusammenarbeit mit den Behindertenorganisationen und SelbstvertreterInnen umzusetzen.

Das UN-Komitee hat die Anerkennung der Österreichischen Gebärdensprache in der Bundesverfassung und die Dolmetschung im Parlament seit 2009 ausdrücklich lobend erwähnt. Gleichzeitig bestehen weiterhin Hürden, die die gleichberechtigte und volle Teilhabe gehörloser und schwerhöriger Menschen in Österreich erschweren.

So wurde die Absichtserklärung des Nationalrats für einen barrierefreien Notruf in Österreich bisher nicht in ein Gesetz gegossen. Wir sind jedoch zuversichtlich, dass die nächste Bundesregierung diese Lücke schließen wird.

Wir ersuchen Sie persönlich, ihre politische Gestaltungsmacht zu nutzen und sicherzustellen, dass das neue Regierungsprogramm jene Gesetzesvorhaben enthält, die erforderlich sind, um die Verwendung der Österreichischen Gebärdensprache (ÖGS) als verfassungsrechtlich anerkannte Sprache in den Bereichen Beschäftigung, Verwaltung, Bildung, Kultur und Medien zu garantieren.

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, sehr geehrter Herr Vizekanzler,

unzählige Barrieren im Bildungssystem haben zur Folge, dass es 2013 nur wenig mehr als ein Dutzend gehörloser Studierender gibt. Besonders die VerhandlerInnen der Themenbereiche Bildung und Zukunft sind daher aufgerufen, die entsprechenden Empfehlungen des UN-Komitees in den Koalitionsverhandlungen zu berücksichtigen und intensiv an der vollen Teilhabe und Inklusion von Kindern mit Behinderungen zu arbeiten.

Eine gezielte Frühförderung mit Gebärdensprache – dazu gehören geförderte Kursangebote für Eltern und Geschwister! – und die Schaffung von qualitativen bilingualen Unterrichtsangeboten sind unabdingbar, um schwerhörigen und gehörlosen Kindern einen gleichberechtigten Start zu ermöglichen. Bilingual bedeutet: ausreichend gebärdensprachkompetente Lehrkräfte, die Erstellung barrierefreier Lernmaterialien in ÖGS und einen auf Zweisprachigkeit ausgerichteten Lehrplan.

Denn nur Gebärdensprachen sind für hochgradig schwerhörige und gehörlosen Kindern ohne Einschränkungen wahrnehmbar und machen barrierefreies Lernen möglich. Zweisprachiger Unterricht in der Muttersprache ÖGS und der deutschen Schriftsprache ist kein Luxus, sondern Voraussetzung für gleiche Bildungschancen.

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, sehr geehrter Herr Vizekanzler,

Behindertenpolitik lässt sich nicht auf Wohlfahrt und Fürsorge reduzieren, sondern tangiert alle Lebensbereiche. Das zeigt der Querschnitt-Charakter der Behindertenrechtskonvention. Österreich ist mit der Ratifizierung internationale Verpflichtungen eingegangen und hat eine einheitliche, konventionskonforme Behindertenpolitik zu gewährleisten.

Der ÖGLB unterstützt daher den Vorschlag von Selbstbestimmt Leben Österreich (SLIÖ), die Gestaltung der Lebensverhältnisse von Menschen mit Behinderungen noch stärker als bisher als Querschnittmaterie zu betrachten und beim Bundeskanzleramt anzusiedeln. Die Schaffung eines Bund-Länder-übergreifenden Rahmens für die Behindertenpolitik, wie ihn das UN-Komitee empfiehlt, muss in Zukunft Chef-Sache sein.

Die Ratifizierung der Konvention beinhaltet die Verpflichtung, von segregierenden Einrichtungen und Praktiken abzugehen und inklusive Unterstützungsformen wie persönliche Assistenz bundesweit zu vereinheitlichen. Für gehörlose und schwerhörige Menschen übernehmen DolmetscherInnen für Gebärdensprache(n) diese wichtige Funktion.

Die künftige Koalitionsregierung muss sicherstellen, dass es nicht nur genügend Gebärdensprach-DolmetscherInnen gibt, sondern diese auch ausreichend qualifiziert sind und die Kostenübernahme verbindlich geregelt wird.

Eine der zentralen Empfehlungen des UN-Komitees betrifft den unzureichenden Diskriminierungsschutz von Menschen mit Behinderungen. Der ÖGLB schließt sich der Forderung des Klagsverbands und den Empfehlungen des Komitees an, diesen um den Rechtsanspruch auf Unterlassung zu erweitern.

Sehr geehrter Herr Faymann, sehr geehrter Herr Dr. Spindelegger,

wir ersuchen Sie heute eindringlich, Ihren Gestaltungsspielraum wahrzunehmen und den grundlegenden Rechten von Menschen mit Behinderungen in Österreich Rechnung zu tragen.

Der Österreichische Gehörlosenbund steht Ihnen und Ihrem Team jederzeit gerne mit ExpertInnenwissen rund um Gehörlosigkeit und Gebärdensprache zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen
Mag.a Helene Jarmer, Präsidentin ÖGLB

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