Falls jemand geglaubt hat, die "Welttoleranzhauptsstadt Wien" lässt locker mit ihren Diskriminierungen, befindet er sich auf dem Holzweg. Hier nun der neueste Streich. Ein Kommentar.
Am 18. Mai 2015 eröffnete in der Wiener Mariahilferstraße 95 das erste Primärversorgungszentrum „PHC Medizin Mariahilf„.
Hinter diesem sperrigen Namen verbirgt sich ein an und für sich positives Pilotprojekt, das im Zuge der Wiener Gesundheitsreform umgesetzt werden soll: „Durch längere Öffnungszeiten, kürzere Wartezeiten und ein interdisziplinäres Team sollen die Wienerinnen und Wiener unmittelbar davon profitieren“, so die Sozial- und Gesundheitsstadträtin, Mag. Sonja Wehsely (SPÖ) in ihrer Eröffnungsrede.
Es handelt sich hier um eine Gruppenpraxis für Allgemeinmedizin, in welcher 3 Ärzte, diplomiertes Pflegepersonal, medizinische Ordinationsassistenten und später noch ein Sozialarbeiter sowie ein Psychotherapeut arbeiten werden. Das Team soll mindestens 50 Stunden pro Woche und 52 Wochen im Jahr zur Verfügung stehen. (Siehe auch Kritik aus dem Jahr 2002 zur mangelnden Barrierefreiheit von Gruppenpraxen.)
200.000 Euro Zuschuss aus Steuergeld
Das Projekt ist vorerst einmal als Pilotversuch für 5 Jahre geplant, Ziel sei es laut der Obfrau der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK), Mag. Ingrid Reischl, „möglichst spitalsentlastend“ zu arbeiten. Das ist der Stadt Wien und der WGKK dann auch 200.000 Euro Zuschuss pro Jahr und noch extra 20.000 Euro für die Bezahlung von Sozialarbeiter und Psychotherapeut wert.
Leider war dann kein Geld mehr für einen neuen Aufzug vorhanden, den das neue Primärversorgungszentrum aber dringend benötigt. Denn jetzt ist es nur entweder über eine steile Treppe oder über einen winzigen Aufzug erreichbar, in den allerdings schon die meisten Kinderwägen nicht hineinkommen.
Dieser Uraltlift dürfte noch aus der Zeit der Monarchie stammen: seine Kabine verfügt nur über die stolzen Maße von 92 cm Länge und eine (Tür)Breite von 64 cm, wobei sich die Tür nicht einmal im rechten Winkel öffnen lässt. Rollstuhlfahrer haben da keine Chance hineinzukommen und selbst für zu Fuß gehende Patienten ergeben sich oft Wartezeiten.
Das alles scheint den bei der Eröffnung anwesenden Personen, Vizepräsident der Ärztekammer für Wien, Dr. Johannes Steinhart, der Gesundheitsstadträtin und der WGKK-Obfrau, aber nicht aufgefallen zu sein. Unglaublich, aber wahr
Unglaublich, aber leider Realität
Es ist unglaublich, dass drei Verantwortungsträger des Wiener Gesundheitswesens beinahe 10 Jahre nach Inkrafttreten des Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes so eine neue Gruppenpraxis, die nicht barrierefrei ist, eröffnen.
Das ist absolut unverständlich und hat eine verheerende Signalwirkung. Während von jeder Ärztin und jedem Arzt, der in neue Praxisräume einzieht verlangt wird, dass diese barrierefrei sein müssen, wird unter den Augen von Spitzenpolitikern aus Wien eine Praxis eröffnet, die nicht gesetzeskonform ist und eine gravierende Diskriminierung für Menschen mit Behinderungen darstellt. Das bedeutet zweierlei Recht und ist daher schärfstens abzulehnen!
Die aktuelle Forderung kann hier wohl nur lauten: In das Gebäude muss sehr rasch ein Lift eingebaut werden, welcher der ÖNORM B 1600 sowie der geltenden Rechtslage entspricht.