Selbstbestimmtes Wohnen für Menschen mit Behinderungen

Schellhorn auf Enquete: Land Salzburg will die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen umsetzen

Gruppenbild der ReferentInnen der Salzburger Tagung 140226
LMZ/Neumayr

„Wir brechen jetzt auf und machen uns auf den Weg.“ Dies erklärte Sozialreferent Landesrat Dr. Heinrich Schellhorn heute, 26. Februar, bei der Eröffnung der Enquete „Selbstbestimmtes Wohnen für alle Menschen mit Behinderungen“ im Parkhotel Brunauer in Salzburg. (Siehe Fotos)
Das „auf den Weg machen“ beziehe sich auf viele Bereiche dieser Querschnittsmaterie, betonte der Sozialreferent: „Wir wollen in Salzburg die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen umsetzen. Das reicht vom gemeindenahen Wohnen bis zu barrierefreien Museen, vom Arbeitsmarkt bis zum öffentlichen Verkehr, von allen öffentlichen Einrichtungen bis zu den Schulen, von der Bewusstseinsbildung bis zu anderen Begriffen und einer anderen Sprache.“

So seien etwa immer noch verbreitete Diktionen wie die „Ärmsten der Armen“, wenn es um Menschen mit Behinderungen geht, nicht böse gemeint, aber veraltet und eigentlich beleidigend.

Schellhorn betonte die Notwendigkeit der Novellierung des schon mit dem Namen „Behindertengesetz“ veralteten Landesgesetzes aus dem Jahr 1981. Das neue Gesetz trage den Arbeitstitel „Inklusionsgesetz“, was schon für einen anderen Geist spreche. Schellhorn: „Das alte Gesetz ermöglicht uns eine gut funktionierende ‚Behindertenhilfe‘, ist aber einfach nicht mehr zeitgemäß und kann viele Themen, die in der UN-Konvention eingefordert werden, nicht mehr abdecken.“

Eine durchgehend inklusive Haltung

Das Land Salzburg gebe im aktuellen Budget 81 Millionen Euro für „Behindertenhilfe“ aus. Allein von 2013 auf 2014 seien die Gelder von 76 auf 81 Millionen Euro gestiegen. „Aber“, so der Landesrat, „es geht nicht nur um das leider sehr knappe Geld, sondern vor allem auch um eine durchgehend inklusive Haltung“.

Ein Eckpunkt des neuen Gesetzes würden neue Wohnformen sein, die auch den geäußerten Wünschen nach Selbständigkeit und Individualität entsprechen. Der etwa in Schernberg/Schwarzach begangene Weg der Peer-Befragung (Menschen mit Behinderungen befragen Menschen mit Behinderungen) zu den Wohnwünschen oder die Peer-Befragungen in den Werkstätten der Lebenshilfe seien dafür vorbildlich. Persönliche Assistenz als Grundpfeiler für ein selbstbestimmtes Leben werde ebenfalls im neuen Gesetz verankert werden.

Schellhorn: „Die Wohnformen müssen sich an die Bedürfnisse der Menschen anpassen und nicht umgekehrt. Auch unsere angebotenen Produkte müssen flexibler und spezifischer werden, sowohl in der Tagesbetreuung wie auch im Wohnbereich. Wichtig ist auch der weitere Ausbau ambulanter Dienste. Wir brauchen so viel Vollbetreuung wie nötig, aber auch nicht mehr als notwendig.“

Mit dem neuen Gesetz werde auch der Behindertenbeirat, der schon einmal einen zaghaften Anlauf genommen habe, eine Revitalisierung bzw. einen Neustart als beratendes und forderndes Gremium erleben. Der über den Erwartungen liegende zahlreiche Besuch der Enquete zeige die hohe Erwartungshaltung und das sich rapide verändernde Bewusstsein.

Schellhorn betonte, dass er das als Auftrag empfinde und bedankte sich bei den Organisatorinnen und Organisatoren aus der Sozialabteilung des Landes und aus seinem Büro. Sie hätten tolle Arbeit geleistet. Monika Rauchberger, Projektleiterin von WIBS („Wir Informieren und Beraten Selbst“) aus Innsbruck hielt ihr Eröffnungsreferat zum Thema „Mein langer Weg von einer Großeinrichtung in eine eigene Wohnung. Ein persönlicher Erfahrungsbericht.“

Seifert: Kultur des Zusammenlebens, die niemanden ausschließt

Die Vorsitzende der Deutschen Heilpädagogischen Gesellschaft, Dr. Monika Seifert, Berlin, betonte in ihrem Impulsreferat „Selbstbestimmt Leben – mittendrin. Neue Herausforderungen für Einrichtungen, Dienste und das Gemeinwesen“, dass in Österreich noch rund 13.000 Menschen mit Behinderungen in Wohn- und Pflegeeinrichtungen leben, ein Sachverhalt, der nicht mit den Zielen der UN-Behindertenrechtskonvention vereinbar ist.

Die Österreichische Bundesregierung erkläre in ihrem Nationalen Aktionsplan Behinderung (2012 – 2020) im Bereich des Wohnens ein umfassendes Programm der De-Institutionalisierung in allen neun Bundesländern für notwendig. Schwerpunkte des Programms sind der Abbau von Großeinrichtungen und der Aufbau von Unterstützungsleistungen, die auch Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf ein selbstbestimmtes Leben in der eigenen Wohnung ermöglichen. Im Vortrag wurden Chancen, mögliche Probleme und grundlegende Voraussetzungen der Veränderungsprozesse dargestellt und Impulse zur Weiterentwicklung der Wohnangebote gegeben.

Deutlich wurde, dass es im Zeichen von Inklusion nicht allein um individuell passende selbst gewählte Wohnformen mit entsprechender Unterstützung geht, sondern immer auch um die soziale Einbindung in den Stadtteil, das Dorf oder die Gemeinde. Ziel sei eine neue Kultur des Zusammenlebens, die niemanden ausschließt. „Sozialraumorientierte Ansätze sind ein geeignetes Medium zur Annäherung an dieses Ziel. Die Verbesserung der Teilhabechancen wird gestützt durch örtliche Teilhabeplanungen in kommunaler Verantwortung“, so Seifert.

Schulze: Menschen mit Behinderungen nicht in Watte wickeln

Menschenrechtskonsulentin Dr. Marianne Schulze aus Wien plädierte in ihrem Impulsreferat: „Selbstbestimmung und Wohnortwahl aus menschenrechtlicher Sicht“ dafür, herkömmliche Bilder zu hinterfragen. „Der Umgang mit Menschen mit Behinderungen muss selbstverständlich auf Augenhöhe passieren. Tendenzen, Menschen mit Behinderungen ‚in Watte zu wickeln‘ müssen einem chancengleichen Recht, Fehler zu machen, Platz machen.“ Die Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen umschreibe den bekannten Menschenrechtskatalog in barrierefreier und inklusiver Weise. Zentrales Anliegen sei die Sicherstellung, dass Menschen mit Behinderungen als Rechtssubjekte und damit als Träger/innen von Rechten und Pflichten wahrgenommen werden.

„Selbstbestimmung ist für die gesellschaftspolitische Mitte eine Selbstverständlichkeit. Das muss sie auch für Menschen mit Behinderungen sein. Nicht zuletzt, weil es ungesund ist, nicht selbst zu entscheiden“, so Schulze.

Artikel 4 der Konvention schreibt unter anderem vor, dass Praktiken und Handlungen durch staatliche Behörden und öffentliche Einrichtungen in Einklang mit dieser sein müssen, das betrifft unter anderem die Verwirklichung von selbstbestimmtem Leben. „Wo und mit wem man wie lebt, ist Teil von Identität, ist Teil von Selbstbestimmung. Die Konvention betont, dass die Wahlmöglichkeiten – also die Optionen für verschiedene Wohnformen – chancengleich sichergestellt werden müssen. Für Vertreter/innen der gesellschaftspolitischen Mitte ist es denkunmöglich in einer ‚Institution‘ zu leben, für alle Menschen mit Behinderungen hat das ebenso zu sein. Die Konvention legt dies verbindlich fest“, sagte Schulze.

Weitere Referenten bei der Enquete waren Wolfgang Waldmüller, Geschäftsführer des Hauses der Barmherzigkeit aus Wien, Mag. Barbara Weibold vom Ludwig Boltzmann Institut für Sozialpsychiatrie, die Tiroler Sozialreferentin Landesrätin Dr. Christine Baur, Mag. Monika Schmerold, Obfrau des Vereins knack:punkt – Selbstbestimmt Leben Salzburg, Mag. Christian Berger, Geschäftsführer des Vereins für Sachwalterschaft und Bewohner/innenvertretung, Volksanwalt Dr. Günther Kräuter sowie Martin Ladstätter, Gründungsmitglied des ersten österreichischen Zentrums für Selbstbestimmtes Leben.

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