§ 1 des Entwurfes definiert die Aufgabe des Gesetzes, Selbstbestimmung behinderter Frauen und Männer zu gewährleisten.
Wobei es für uns nur Selbstbestimmung ohne Einschränkungen gibt, im Gesetz aber wieder die Einschränkung „möglichst“ steht. Wir von „Selbstbestimmt Leben Österreich“ beanspruchen die Definitionsmacht, wenn es um Selbstbestimmung geht. Wir sind die Expertinnen und Experten diesbezüglich. In diesem Gesetz findet sich keiner der Grundsätze wieder, die Selbstbestimmung ermöglichen.
Selbstbestimmung bedeutet: Entscheidungen treffen, Verantwortung übernehmen, Kontrolle über das eigene Leben haben, Wahlmöglichkeiten aus akzeptablen Angeboten, Expertin und Experte in eigener Sache sein.
Wir gehen davon aus, dass diese Prinzipien für jede Frau gelten,ebenso für jeden Mann,unabhängig von jedweder Beeinträchtigung. Mangelnde Möglichkeiten zur Selbstbestimmung sind ein Problem mangelnder Unterstützung und aufgerichteter Barrieren und keines irgendwelcher fehlender Funktionen.
Zunächst einmal zum Verfahren: Ein nichtbehindertes Sachverständigenteam stellt den Hilfebedarf fest. Das ist der erste eklatante Verstoß gegen das Selbstbestimmungsrecht behinderter Frauen und Männer, Buben und Mädchen. Nur die behinderte Person selbst hat das Recht darüber zu entscheiden, was sie braucht und was nicht. Sie ist Expertin oder Experte in eigener Sache, niemand sonst. Das gilt es im Verfahren zur Leistungszuerkennung zu berücksichtigen. Im vorgeschlagenen Verfahren ist das nicht enthalten.
Die Leistung „Persönliche Assistenz“ ganz konkret entspricht nicht dem, was internationaler Standard für diese Leistung ist. Dass nur Kosten bis zur Höhe stationärer Einrichtungen übernommen werden, heisst in der Praxis, dass behinderte Frauen und Männer in Pflegeheime abgeschoben werden. Dass widerspricht aber europäischen Menschenrechtsstandards, konkret ist der Verweis auf stationäre Einrichtungen ein Verstoß gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Der Europarat interpretiert diesen Artikel für behinderte Frauen und Männer im Zusammenhang mit Assistenz nämlich so: Sie legen fest, welche Hilfe zu welchen Bedingungen sie brauchen und müssen diese auch vom Staat genauso erhalten.
Dass behinderte Frauen und Männer auch noch an den Kosten der Leistungen beteiligt werden, ist grundsätzlich unzumutbar und bedarf keiner weiteren Diskussion. Der Staat hat dafür zu sorgen, dass diese Leistungen kostenlos sind. Es ist nicht Aufgabe behinderter Frauen und Männer, für die Unterstützung zu bezahlen, damit sie gleiche Voraussetzungen in der Gesellschaft haben. Es ist Aufgabe des Staates dafür zu sorgen, dass diese Unterstützung da ist. Alles andere ist ein eklatanter Verstoß gegen Menschenrechte.
Der Staat, somit auch die Steiermark, hat dafür zu sorgen, dass behinderte Frauen und Männer, Mädchen und Buben dieselben Möglichkeiten und Chancen in der Gesellschaft vorfinden wie nicht behinderte. Dieser Entwurf ist weit davon entfernt, diese Aufgabe zu erfüllen. Dieser Entwurf diskriminiert behinderte Menschen und fördert nicht ihre Gleichberechtigung. Das neue Behindertengesetz hat aber genau die Hilfe und Unterstützung festzuschreiben, die es uns behinderten Frauen und Männern ermöglicht, ein Leben in Würde gleichberechtigt zu leben.