Was ich mir für 2012 von den Medien wünsche

Ein Wissenschaftler sucht einen Assistenten.

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Das ist normalerweise keine Nachricht, die es bis in die Medien schaffen würde – wenn der Wissenschaftler nicht Stephen Hawking heißen würde und zwischen Weihnachten und Neujahr nicht sowieso schon journalistisch Saure-Gurken-Zeit wäre.

Nun dauerte es nicht lang bis die Meldung kommentiert wurde. Raul Krauthausen zum Beispiel schrieb mit Hinweis auf Spiegel Online, er hasse es, wenn Journalisten über Rollstuhlfahrer schreiben, sie seien „an den Rollstuhl gefesselt“ und „leiden an“ etwas.

Bei der Meldung handelt es sich in großen Teilen um eine Meldung der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Wer weiß, wie Nachrichtenagenturen arbeiten, den wundert es nicht, dass die Meldung sofort auf Hunderten Nachrichtenseiten zu lesen war – mit der Formulierung, dass Hawking „an den Rollstuhl gefesselt“ ist und „leidet“.

Konkurrent dapd hatte eine kürzere Meldung dazu im Dienst. Auch bei dapd „leidet“ Stephen Hawking, ist aber nicht gefesselt, sondern nur „fast vollständig gelähmt“.

Ich könnte noch ein paare andere Beispiele aufzählen, die mir in den vergangen Wochen aufgefallen sind, was den Umgang mit behinderten Menschen in den Medien angeht:

  • In der Tagesschau wird berichtet, dass ein Mann jetzt ein „Krüppel“ sei, nachdem er von einem Rechtsradikalen zusammen geschlagen wurde. Der Mann hat eine halbseitige Lähmung.
  • In der Berichterstattung über die Verleihung des Literaturnobelpreises berichtet dpa zwar in epischer Breite über die Behinderung des Nobelpreisträgers Tomas Tranströmer (dieser ist wie Hawking „an den Rollstuhl gefesselt“ und „er hob leicht die intakte linke Hand und zeigte ein frohes Lächeln“), seine Werke werden aber in der gesamten Berichterstattung kaum erwähnt.
  • Das „Nachtmagazin“ zeigt einen Beitrag über die gehörlose Twitterin Julia Probst, lässt sie aber de facto gar nicht zu Wort kommen, sondern aus dem Off wird behauptet, sie könne nicht sprechen. Man macht sie im wahrsten Sinne des Wortes zur Taubstummen. Dabei sieht man wie Julia redet, nur was sie sagt, hören wir nicht. Selbst wenn es unverständlich gewesen wäre, was Julia gesagt hat, hätte man es einfach neu vertonen können oder die ARD hätte einen Gebärdensprachdolmetscher zum Dreh buchen sollen. Ein TV-Porträt, über jemanden, die zwar anwesend ist, aber selbst nicht zu Wort kommt – undenkbar, wenn es um eine hörende Person gegangen wäre.
  • Und die Westdeutsche Zeitung weiß immer noch nicht, dass gehörlose Menschen nicht „taubstumm“ sind.

Ich will gar nicht so sehr über die Begriffe diskutieren. Wer da Klärungsbedarf hat, kann sich gerne das „Buch der Begriffe“ herunterladen, wo vieles erklärt wird.

Ich möchte einen Wunsch für 2012 äußern

Ich wünsche mir, dass Journalisten ihr Bild von Menschen mit Behinderungen mal in Frage stellen, bevor sie über sie schreiben. Die Formulierungen, Texte und Reportagen, über die ich mich ärgere, sind eigentlich nur ein Symptom. Ein Symptom dafür, dass Journalisten ihre eigenen Vorurteile in die Texte und Beiträge übertragen, die sie selber haben, und sie damit zur allgemein gültigen Wahrheit erklären.

Wenn aber behinderte Menschen irgendwann wirklich in der Mitte der Gesellschaft ankommen sollen, dann spielen die Medien eine nicht zu unterschätzende Rolle. So lange den Leuten immer wieder vermittelt wird, das Leben mit Behinderung sei in erster Linie ein tragisches Schicksal eines Einzelnen, das die Lebens- und Leistungsqualität so massiv einschränkt, dass nichts anderes wichtiger wäre, wird es schwierig, behinderte Menschen als Bürger, Arbeitnehmer, Arbeitgeber oder Menschen mit gleichen Rechten anzusehen. Als normaler Teil der Gesellschaft eben. Stattdessen findet eine Herabsetzung statt. Das führt zur Ausgrenzung.

Und wer für diese Argumente nicht empfänglich ist, der wird vielleicht dieses verstehen: Es geht hier auch um journalistische Qualität. Faktentreue zum Beispiel und um eine angemessene Sprache in dem jeweiligen Beitrag. Und es geht um Inhalte: Es ist einfach schlechter Journalismus, Absatz über Absatz mit der Behinderung der Person zu füllen, nur weil man seine Theorie / sein Werk / seine Arbeit nicht verstanden oder gelesen hat. Das fällt mir insbesondere bei Hawking immer wieder auf, aber wenn ich nichts von Physik verstehe (und dafür habe ich größtes Verständnis), dann bin ich vielleicht auch die falsche Person für die Berichterstattung über seine Theorien.

Ich glaube, dass deutsche Redaktionen, so wie es im angelsächsischen Bereich bereits üblich ist, dringend einen Styleguide bräuchten, in dem der Umgang mit dem Thema Behinderung dargelegt wird. Ich halte nichts davon, die Behinderung von jemandem totzuschweigen. Die Frage ist, wie man darüber berichtet und welchen Stellenwert man dem Thema einräumt.

P.S.: dpa hat mir übrigens schon zugesagt, sich zu bemühen, „an den Rollstuhl gefesselt“ 2012 nicht mehr zu verwenden. 2011 hatten sie es 14 Mal im Dienst.

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