Welt auf Krücken und im Rollstuhl

Quergeschrieben: Der "Presse"-Kommentar von außen und von Bernd Marin

Nur fliegen ist schöner?
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In „Die Presse“ erschienen:

Seit 10 Tagen im Rollstuhl. An den „Krankenfahrstuhl“ keineswegs „gefesselt“, weil ich mich als mobiler, „gesunder“ Patient jederzeit auf meine Krücken schwingen und auch so weiterbewegen kann.

Freilich nicht sehr weit oder zusehends um den Preis von Rippenstechen. Dennoch tue ich es oft, um weniger eingeschränkt zu sein. Doch ein Gefühl der Behinderung will nicht weichen, weil man Behinderungen nicht ausweichen kann, auch wenn viele hilfreiche Hände um mich sind – und vor allem ein Ende der Beeinträchtigung absehbar ist. Was ist schon ein Muskelriß?

Was hätte der flüchtige Pistenrowdy in der schwarzen Wikingerjacke mir nach Jahrzehnten unfallfreien Skivergnügens sonst noch alles kaputtfahren können? „Kaputt“ nicht „für immer?“, wie sich der junge Nachbar kaum zu fragen traut, sondern nur für ein paar schwere Wochen. Also nichts, außer einmal die Welt von unten „er-fahren“, behindernde Randsteine aller Art am eigenen Leib zu spüren anstatt bloß darum zu wissen.

Für Anfänger: Baden. Sich selbst zweimal täglich Injektionen gegen Thrombosen in die Bauchdecke spritzen lernen (aus Angst tagelang an Teddybären üben). In den Sitzungssaal des nächstgelegenen Ministeriums gelangen (ohne die geheime Garageneinfahrt und den Materialaufzug für Behinderte zu kennen). Die Straßenbahn benützen. Kleine Einkäufe machen. Überhaupt Trafiken. Eine normale Schwingtüre auf Krücken passieren! Sich im Rollstuhl auf schrägen Gehsteigen halten!

Überall Randsteine (und keine hilfreichen Passanten in Sicht). Eine Kreuzung nur am Fahrradweg passieren können. Keinen Regenschirm im Rollstuhl oder auf Krücken halten können. Auf Krücken eine hauchdünne, federleichte Aktenmappe zwischen zwei Fingern krampfen – bis sie doch runterfällt. Wer hebt sie auf? Wie oft vermeiden, jemanden um Hilfe zu bitten, bevor man es dann doch tut? Fremde Hilfe auf der Straße erbitten lernen. Sehr viel Hilfe brauchen. Sich helfen lassen, ohne sich hilflos zu fühlen. Hilflos sein. Sich hilflos fühlen ohne Scham, Wut, Verzweiflung. Glück und Freude unerwarteter Hilfe.

Doch jeder wievielte Taxichauffeur hilft Ihnen mit Krücken in oder aus dem Wagen oder verstellt den Sitz, damit Sie weniger schmerzvoll zusammengezwängt sitzen müssen? 100 Mal: „Muß ich wirklich dorthin?“ Wie denn nicht, z. B. ins neue Theatermuseum zum Geburtstag des hochverehrten Verlegers, der selbst Buchpräsentationen im Rollstuhl nicht verabsäumt hat?

Wieviele Business-Class-Tickets müssen Sie lösen, um das Bein hochgelagert transportiert zu kriegen und was kostet ein einfacher Flug Innsbruck – Wien? (Antwort: zwei Business-Class-Tickets, Preis einer Rundreise Wien – New York – Boston – Zürich – Wien). Fußfrei sitzen Sie in der kürzlich ausgezeichneten Inlandsfluglinie nur vor Notausgängen und daher nur als Nicht-Behinderter. Für zwei Verunfallte auf Krücken gibt es im Flieger keine zwei behindertengerechten Sitze – um den Preis eines Transatlantikfluges nicht! Nur gesunde Geschäftsleute und Geschäftstarife sind vorgesehen.

Wie kommen Sie aus einem Rollstuhl ohne Eigenantrieb (!) zu den außer Reichweite abgestellten Krücken und ohne Flugbegleiterin aufs Flughafen-Klo?? Hüpfen Sie mal auf einem Bein die Stufen der Gangway hoch, wenn diese regenfeucht sind! Ein moderner Provinz-Airport (in einem Skizentrum) kann doch nicht an Nächstliegendes denken. Warum bleiben Sie nicht einfach daheim, sagen die Gastvorlesung einen Tag vorher ab und schicken die teils von weither angereisten Werkstudenten einfach weg? Ja warum nicht?

(Weil die Fachhochschulstudierenden am Management Center Innsbruck MCI großartig sind; weil Arbeit von Schmerzen ablenkt; weil die medizinische Erste Hilfe erstklassig und die Sozialversicherung in der EU zwischen Italien und Österreich vorbildlich unbürokratisch war.)

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