Wie viel Talent muss ein Mensch haben?

Ein Menschenleben kann nicht anhand von Intelligenz, Talenten oder Behinderungen bewertet werden. Ein Kommentar von Prof. Dr. Germain Weber in der Presse vom 3. Februar 2009.

Germain Weber
Lebenshilfe Österreich

There is a test for Down’s syndrome and that is legal and parents exercise their right to choose termination, but autism is often linked with talent. It is a different kind of condition.“ Der begabte Autist soll leben dürfen, der minderbegabte Mensch mit Downsyndrom hätte weniger Lebensrecht? Diese Aussage provoziert, nicht nur Menschen mit Downsyndrom, auch Interessenvertretungen wie die Lebenshilfe Österreich oder die Österreichische Autistenhilfe.

Besonders, wenn sie aus dem Mund eines angesehen Wissenschaftlers kommt, von Simon Baron-Cohen, Professor für Entwicklungspsychopathologie in Cambridge. Seine Forschungsstudien über Autismus bzw. autistische Verhaltensweisen könnten zu neuen Routinetests bei Schwangeren führen, mit der Konsequenz, dass Föten mit einem erhöhten Risiko von Autismus abgetrieben werden können. Aber diese Studien können auch den Weg zu einem besseren Verständnis der Hintergründe besonderer Entwicklungsprozesse weisen.

Simon Baron-Cohen, für den seine schwerstbehinderte Schwester eine sehr wichtige Person in seinem Leben darstellt, ist nicht zynisch, wenn er laut in der Öffentlichkeit über die Existenzberechtigung von Kindern mit Autismus nachdenkt und damit in Großbritannien eine Diskussion über Testverfahren bei Ungeborenen vom Zaun bricht. Auch hierzulande wäre eine solche Diskussion wünschenswert.

In Österreich schreibt die Mutter-Kind-Pass-Verordnung fünf gynäkologische Untersuchungen während der Schwangerschaft vor und empfiehlt zwei Ultraschalluntersuchungen, die „Pränatale Diagnostik“ genannt werden.

Untersuchungen am ungeborenen Kind, wie z.B. die Nackenfaltenmessung, haben sich in den letzten Jahren zu einem Routineverfahren in der Schwangerschaftsvorsorge etabliert. Was viele Schwangere nicht wissen: Sie sind nicht verpflichtet, alle Untersuchungen durchführen zu lassen. Und: Nur ein Bruchteil von Behinderungen oder Erkrankungen wird durch Pränatale Diagnostik erkannt. Viele Schwangere fühlen sich von auffälligen Erstbefunden verunsichert und entscheiden sich für einen Schwangerschaftsabbruch.

Baron-Cohen weist auf die Gefahren einer Selektion nach „Talenten“ hin. Woanders spricht er sich klar für ein Recht auf Leben aus, egal wie die Fähigkeiten des Einzelnen aussehen mögen. Und dem stimmen wir zu: Das Leben von Menschen mit einer intellektuellen Behinderung oder Autismus ist wichtig und lebenswert. Im Grunde geht es um eine bessere, unabhängige, umfassende Beratung für Eltern und um die Aufhebung der Grunddiskriminierung von Menschen mit Behinderungen: nämlich der straffreien Spätabtreibung von Föten, die eine mögliche Behinderung aufweisen. Es geht darum, die positiven Lebensperspektiven aufzuzeigen, und es geht um das Bild von Menschen mit Behinderungen.

Alle unterschiedlich, alle einzigartig

Hier spielt die Berichterstattung eine Schlüsselrolle. Solange Journalisten ihren Berufsethos nicht genügend ernst nehmen und realitätsfremde, diskriminierende Aussagen über Handicaps treffen, wird sich die breite Öffentlichkeit kein „positives“ Bild von Menschen mit Behinderungen machen können. Der Artikel in der „Presse“ – „Autismus: Embryos screenen, abtreiben?“ (15. Jänner 2009) – entspricht leider keineswegs einer ethisch korrekten Berichterstattung und hat bei VertreterInnen von Behindertenorganisationen großes Entsetzen hervorgerufen.

Menschen mit höherem Bedarf an Unterstützung sind genauso wertvolle Mitglieder unserer Gesellschaft wie alle anderen auch. Man kann ein Menschenleben nicht anhand von sozialer oder emotionaler Intelligenz, Talenten oder Behinderungen bewerten. Indem wir alle unterschiedlich sind, sind wir einzigartig. Eine Stärke, die Menschen mit Behinderungen auch für sich beanspruchen.

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