Seit 23. Jänner 2015 steht der Aussichtsturm auf dem Wiener Rathausplatz. Bis zum 24. Februar 2015 war die Auffahrt für Menschen im Rollstuhl verboten - ab 25. Februar bis 8. März ist sie erlaubt. Willkürliche Entscheidungen? Ein Kommentar.
Am Wiener Rathausplatz steht zeitlich begrenzt ein mobiler Aussichtsturm, genannt City Skyliner. Er ermöglicht es, aus einer Höhe von 72 Metern die Ausblicke auf die Stadt zu genießen. Doch dies galt bis vor kurzem nur für zu Fuß gehende Menschen. Menschen im Rollstuhl wurde der Zugang verwehrt.
Stein des Anstosses ist eine 17,5 Meter lange Rampe mit einer Steigung von 14,29 %. Zur Rutschhemmung sind jeden Meter ca. 1 cm hohe Aluprofile angebracht. Es erinnert sehr an Rampen, wie man sie von Booten und Schiffen kennt.
Ist man dann oben angelangt, gibt es eine weitere Rampe von etwa 1 Meter Länge in das Innere der Kabine. Sie ist noch wesentlich steiler als die lange Rampe zuvor. Um überhaupt eine Fahrkarte kaufen zu können und danach zur Rampe zu gelangen, muss man bereits eine Stufe überwinden. Es scheitert also nicht nur an der Rampe.
Dies verstößt gegen alle uns bekannten Normen, was sowohl Steigungen als auch Rutschhemmung betrifft.
Ein Turm, von dem dessen Betreiber behauptet, er sei rollstuhlgerecht. Weder die deutschen (der Betreiber kommt aus Deutschland) noch die österreichischen oder internationale Normen erlauben Rampen mit dieser Steigung.
Bis hierher wird der geneigte Leser, die geneigte Leserin uns zustimmen, so etwas ist schon oft vorgekommen. Jetzt kommt der interessante Teil, bitte weiter lesen!
Genehmigungen und Fehleinschätzungen
So eine Attraktion muss natürlich auch genehmigt werden, dies ruft dann die zuständigen Magistratsabteilungen der Stadt Wien auf den Plan. Hier zuständig ist die Magistratsabteilung 36 Veranstaltungswesen. Ihr obliegt es, Veranstaltungen und Veranstaltungsstätten auf die Einhaltung der diversen Gesetze zu überprüfen und zu genehmigen.
Im Genehmigungsablauf bat die MA 36 ihre Kolleginnen und Kollegen bei der MA 25 (intern genannt „Fachdienststelle für Barrierefreiheit“) um eine Einschätzung zur Barrierefreiheit. Diese antwortete: „Nach gültigen Wiener Baurecht und ÖNORM B1600 ist bei Neuerrichtung (für Rampen) eine max. 6 % Neigung zulässig. Bei nachträglicher Errichtung bei bestehenden Objekten bis zu 10 % Gefälle. Darüber hinausgehende Steigungen sind nicht befahrbar und im unfallbedingten Anlassfall zivilrechtlich klagbar„.
Ob 6 % oder 10 % anwendbar wären, stellen wir jetzt in den Raum, denn ob ein 2013 erbautes Konstrukt als „bestehendes Objekt“ gilt, könnte man wohl lange diskutieren. Das ist in diesem Fall allerdings irrelevant, weil die Rampe zum Großteil eine Steigung von 14,29 % aufweist, zum Schluss sogar noch mehr.
Erwähnenswert auch folgendes Faktum: „Auch das Angebot Rollstuhlfahrer auf den Weg nach oben zu begleiten wurde im Behördenverfahren abgelehnt“, berichtete ORF „wien-heute“ am 19. Februar 2015.
Entscheidung 1: Die MA 36 genehmigt nicht
Die MA 36 übermittelt dies nun dem Betreiber mit dem Abschlusssatz: „Bitte um Kenntnisnahme, dass die derzeit eingereichte Anlage daher nicht für Rollstuhlfahrer genehmigt werden kann.“ Die vom Betreiber vorgeschlagene Möglichkeit, Rollstuhlfahrer beim ein-/aussteigen zu unterstützen, wurde von der MA 36 abgelehnt. Soweit ist die Sache eigentlich noch sehr nachvollziehbar und im Rahmen der Gesetze.
Jetzt müsste die MA 36 eigentlich dem Betreiber Anforderungen auferlegen, um die Barrierefreiheit zu gewährleisten.
Die MA 36 schreibt in den Genehmigungsbescheid allerdings nur: „Die pratermäßige Volksvergnügung City Skyliner ist für die Benutzung von Rollstuhlfahrern nicht geeignet“. Auflagen, um die Barrierefreiheit zu gewährleisten, gab es trotzdem keine. Die Magistratsabteilung nahm also die Diskriminierung in Kauf.
Dies ist insofern verwunderlich, da wenn man es ganz genau nimmt, der City Skyliner laut Bescheid sowohl unter das Veranstaltungsgesetz sowie das Wiener Kinogesetz 1955 fällt und somit auch das Veranstaltungsstättengesetz zur Geltung kommen muss. Nur um ein paar Wiener Gesetze zu nennen. Vom Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz ganz zu schweigen; welches natürlich auch relevant ist.
Beispielhaft möchten wir hier § 30. (1) nennen: „Veranstaltungsstätten müssen auf Grund ihrer Beschaffenheit und Einrichtung für den Besuch von Rollstuhlfahrern geeignet sein.“
Hier wurde seitens der genehmigenden Behörden offenbar ein Auge zugedrückt. Menschen im Rollstuhl sind also nicht so wichtig. Doch niemand rechnete mit der öffentlichen Empörung, die dann in den Medien erfolgte.
Entscheidung 2: Die MA 36 genehmigt plötzlich doch
Als Mitte Februar auf einmal medialer Druck auf die Magistratsabteilungen entstand, im Sinne von „Warum dürfen in allen anderen Städten Rollstuhlfahrer den Skyliner benützen, in Wien allerdings nicht?“ und sowohl Zeitungs- als auch TV-Berichte erschienen, gab es auf einmal eine überraschende Wende in dem Fall!
Der Skyliner GmbH wurde laut ORF ein Abänderungsantrag des Betriebsbescheids genehmigt. Laut MA 36 heißt es: „Es besteht die Möglichkeit Ersatzmaßnahmen zu organisieren. Dies wurde getan und zwar wird vom Betreiber ausreichend Personal zur Verfügung gestellt, das den Rollstuhlfahrerinnen und -fahrern hilft“.
Prinzip: Willkürliche Entscheidung?
Es scheint so, dass der Betreiber nochmals exakt das beantragen musste, was ihm schon abgelehnt wurde, damit die Behörde die Möglichkeit hatte, nochmals – und dieses Mal anders – zu entscheiden.
Die Magistratsabteilung hat nun also ihre Meinung, trotz gleicher Faktenlage komplett umgekehrt. Ist es vielleicht so, dass sogar beide Entscheidungen falsch sein könnten? Weder die erste noch zweite Entscheidung schrieb Maßnahmen zur Barrierefreiheit vor. (Die Tageszeitung HEUTE vom 17. Februar schreibt dazu: „Der Aussichtsturm vor dem Rathaus ist nicht behindertengerecht, weil die strengen Gesetzesauflagen aus Zeitgründen nicht umgesetzt werden konnten.“)
Fragen über Fragen, die es zu klären gilt
Es stellen sich folgende Fragen: Kennt sich die MA 36 mit den geltenden Gesetzen nicht aus? Oder wenden sie sie wider besseren Wissens nicht an? Oder werden Bewilligungen je nach öffentlichem Druck geschrieben? Oder ist es der MA 36 eigentlich eh wurscht? Oder sind die Entscheidungen vielleicht sogar einfach nur willkürlich? Fragen über Fragen, die es zu klären gilt.
BIZEPS bleibt auf jeden Fall an der Sache dran.