Wien bald Spitzenreiter?

Wien hat jetzt die einmalige Chance, im Bereich Behindertenpolitik Spitzenreiter in Österrreich zu werden. Die Entscheidung liegt bei der Rathausmehrheit. Sie sollte sie nützen.

Ortschild mit Aufdruck Wien
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Eine Pressemeldung ließ in den letzten Novembertagen des vergangenen Jahres aufhorchen: Die Stadt Wien wird mit April 2008 die „Pflegegeldergänzungsleistung für Persönliche Assistenz“ einführen. Das verkündete Stadträtin Sonja Wehsely im Rahmen einer Pressekonferenz am 28. November 2007 im Wiener Rathaus. Mit diesem neuen Angebot ist Wien der alten Forderung der Behindertenbewegung nach Finanzierung der Persönlichen Assistenz in Höhe des tatsächlichen Bedarfs einen großen Schritt näher gekommen.

Wenn gleich diese neue Leistung der Stadt noch viele Wünsche offenlässt (es sind noch nicht alle Behindertengruppen erfasst, Höhe der Leistung ist abhängig vom Einkommen, kein Rechtsanspruch, Stundensatz zu niedrig), so stellt sie dennoch einen beherzten Schritt in Richtung „Persönliche Assistenz für alle, die sie brauchen“ dar und zeigt gleichzeitig auf, dass die Stadt Wien – oder ist es bloß die Stadträtin? – kann, wenn sie denn auch wirklich will.

Es ist eindeutig: Wien nimmt mit diesem Schritt eine Vorreiterrolle in Österreich ein. Wahr ist aber auch, dass wir im Vergleich zu sozial weiterentwickelten Ländern (wie z.B. Schweden) noch viel Terrain aufzuholen haben.

So (relativ) fortschrittlich Wien in diesem Bereich agiert, sosehr rückschrittlich und für alle Betroffenen unverständlich – um nicht zu sagen behindertenfeindlich – handelte die Stadt in den letzten Jahren in vielen anderen Bereichen. Sozusagen das Kontrastprogramm der Stadt war bei einer Pressekonferenz der Behindertensprecherinnen der Wiener Grünen und der ÖVP, der Abg. Claudia Smolik und der Abg. Praniess-Kastner am 25. Feber 2008 zu hören:

Alle (!!) der insgesamt 34 Anträge, welche in den vergangenen drei Jahren von den Abgeordneten der beiden Parteien eingebracht worden waren, sind von der Rathausmehrheit, der in Wien regierenden SPÖ, abgelehnt worden! In einem einzigen Fall folgte nach einer Ablehnung ein eigener Antrag der SPÖ, der hatte mit dem ursprünglichen jedoch nur mehr eine entfernte Ähnlichkeit. Dieser Antrag ist jedoch völlig unbrauchbar und wurde (zum Glück für die Betroffenen) bis heute nicht umgesetzt.

Unter den abgelehnten Anträgen befinden sich so sinnvolle Vorschläge wie die Erstellung eines Etappenplanes zum Abbau baulicher Barrieren bei öffentlichen Gebäuden der Stadt Wien, die Installierung von barrierefreien Fahrscheinautomaten bei den Wiener Linien, die Erfüllung der Einstellungsquote nach dem Behinderteneinstellungsgesetz, die unentgeltliche Errichtung einer Behindertenzone (Parkplatz) durch die Stadt oder die Einsetzung einer Arbeitsgruppe zur Vorbereitung eines Wiener Behindertengleichstellungsgesetzes.

Sie alle und noch viele andere mehr wurden von der Rathausmehrheit abgelehnt. Abgelehnt ohne Kommentar oder mit fadenscheinigen und nicht stichhaltigen Argumenten. Manchmal gewinnt man den Eindruck, die Argumente dagegen sind die der Beamtenschaft, nicht der verantwortlichen Politiker. Wieso machen die Abgeordneten und die Stadträte der Wiener SPÖ Opposition gegen die Opposition und vor allem: Wieso machen sie Politik gegen die betroffenen Menschen mit Behinderungen in dieser Stadt?

Ist es, weil die guten und oft auch kreativen Vorschläge der anderen Parteien nicht die Vorschläge der SPÖ und damit aus deren Sicht automatisch schlecht sind? Ist die Ablehnung gar ein automatischer Reflex, der von den Neinsagern gar nicht mehr bewußt wahrgenommen wird? Woher stammt diese Trotzhaltung? Oder ist es deswegen, weil unter den SPÖ-Funktionären die Meinung vorherrscht, Wien habe ohnedies das am weitesten entwickelte Sozialwesen.

Diese Haltung führt aber dazu, dass sich die Politiker der Wiener SPÖ selbst den Weg verstellen, der sie zu neuen und innovativen Lösungen führen könnte – auch wenn die Ideen diesmal von der Opposition kommen. Die Leidtragenden dieser politischen Haltung sind jedoch die behinderten Menschen dieser Stadt.

Der Paradigmenwechsel in der Behindertenhilfe hat, entgegen der Behauptung der Behindertensprecherin der Wiener SPÖ, LPräs. Erika Stubenvoll in einer Aussendung am 25.2.2008, noch nicht wirklich stattgefunden. Jetzt aber hat die Rathausmehrheit die einmalige Gelegenheit, ihre Chancen wahrzunehmen und an ihre Erfolge im Bereich der Persönlichen Assistenz anzuschließen und tatsächlich zum österreichischen Spitzenreiter im Bereich der Behindertenpolitik zu werden. Hoffentlich wird sie diese Chance nutzen.

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