Wien darf Chicago werden!

Was sich Österreich von der amerikanischen Behindertenpolitik abschauen kann

Victoria und Bill Bruckner
Victoria und Bill Bruckner

„Wien darf nicht Chicago werden“, lautete ein Wahlspruch der FPÖ bei der Wiener Landtagswahl 1996. Dabei ist scheinbar vielen – nicht nur der FPÖ – nicht bekannt, wieviel wir uns von den USA abschauen könnten. Ich war in Chicago, und dort ist vieles möglich, was bei uns noch Science Fiction ist: Öffentliche Verkehrsmittel, die für Rollstuhlfahrer nutzbar sind, Hotelzimmer ohne Barrieren, Geschäfte und Museen ohne Stufen, überall abgeschrägte Gehsteigkanten und, und, und.

Warum ist die USA so ein Paradies für Behinderte? Vicky und Bill Bruckner, die schon seit Jahrzehnten in der amerikanischen Behindertenbewegung aktiv sind, meinten dazu folgendes:

American Dream
Zuerst einmal war es immer schon ein Traum der europäischen Auswanderer, dass im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ alle die gleichen Chancen haben. Und so haben in Amerika immer verschiedenste Gruppen dafür gekämpft, nicht diskriminiert sondern gleichgestellt zu werden: zuerst die Sklaven, dann die Frauen usw.

Der Krieg als Vater aller Dinge
Ein Unterschied zu Europa ist auch, dass die USA auch nach dem 2. Weltkrieg immer wieder Kriege führten, die als Opfer nicht nur Gefallene, sondern auch zahlreiche Invaliden zurückließen. Und von diesen Veteranen wurde der Staat in die Pflicht genommen, für sie etwas zu tun.

Als Dwight D. Eisenhower 1955 einen Veteranen ehren wollte, konnte dieser nicht zum Ort seiner Ehrung gelangen, weil der Veteran Rollstuhlfahrer war und das Gebäude nur über Stufen zu erreichen war. Eisenhower war das mehr als peinlich, und daraus ergaben sich die ersten Vorbereitungen für ein Gesetz, öffentliche Gebäude zugänglich zu gestalten.

Förderungen
Schon in den 70er-Jahren erreichten die Behindertenvertreter einen weiteren wichtigen Schritt: Alle Programme, die öffentliche Förderungen erhalten, müssen auch behindertengerecht gestaltet sein. Was hindert die Politiker eigentlich, diese Regelung einzuführen? Milliarden an Zuschüssen fließen z.B. in die großen Thermenanlagen und Wellnesshotels, ohne dass irgendjemand nachfragt, ob auch Behinderte diese Einrichtungen nutzen können.

Americans with Disabilities Act (ADA)
Der größte Erfolg der amerikanischen Behinderten war aber der „Americans with Disabilities Act (ADA)“, ein Gesetz aus 1990, das die meisten gesellschaftlichen Aspekte umfasst, in denen behinderte Menschen diskriminiert werden. So verbietet es Diskriminierungen bei der Einstellung und Beschäftigung, der Inanspruchnahme von öffentlichen und staatlichen Einrichtungen und Dienstleistungen, der Benützung des öffentlichen Personenverkehrs und vieles mehr.

Geschäftssinn
Ja, und die USA sind nicht umsonst ein Land der Marktwirtschaft. Was Österreich noch verschlafen hat ist der Marktwert der Behinderten. Auch wir sind eine immer größer werdende Gruppe von Konsumenten, die wie alle anderen einkaufen gehen, Theater besuchen, Urlaub machen wollen …

Sprich in unserer Heimat fehlt beides: die Einstellung der Regierung zu Randgruppen, um eine gesetzliche Grundlage zur Behindertengleichstellung zu schaffen, und die Einstellung der Bevölkerung, dass Gleichberechtigung ein Menschenrecht ist und daher eine Selbstverständlichkeit sein sollte.

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