Wien: Wann gelten internationale Standards auch in Wien?

In Wien werden noch immer Kinos, Restaurants, Geschäfte und andere Baulichkeiten eröffnet, die nicht zugänglich sind.

Theresienbad
Huainigg, Dr. Franz

Die VertreterInnen der Rathauskoalition behaupten aber, Wien habe ohnedies eine fortschrittliche Bauordnung. Die Betroffenen erleben das ganz anders. Will Wien nicht Schlußlicht im Vergleich zu den westlichen Industriestaaten werden, müssen rasch gesetzliche Maßnahmen getroffen werden.

Ein Restaurant in der Wiener Innenstadt, eines der ganz wenigen, die zugänglich (= barrierefrei) waren, wird umgebaut und hat danach eine hohe Stufe beim Eingang.

Der Kursalon im Stadtpark wird mit Millionenaufwand renoviert und ist wieder nicht zugänglich.

Das Theresienbad wird im letzten Winter umgebaut, die Zugänglichkeit von einem SP-Gemeinderat versprochen und wieder stehen wir vor einer unbenützbaren Rampe.

McDonalds eröffnet im Juli 1998 eine neue Filiale in der Mariahilfer Straße und nicht einmal die Stufe beim Eingang ist beseitigt. Und das neueste Beispiel: der mit 200.000 Schilling von der Raiffeisenbank gesponsorte Adolf-Loos-Architekturpreis geht am 29. September 1998 (wie schon einmal vor drei Jahren) an Objekte, welche nicht zugänglich sind. Diesmal sind es ein Kaffeehaus und eine Weinbar.

Es gibt nach wie vor keine zugänglichen öffentlichen WCs und durchgängig abgesenkte Gehsteige sind Glückssache.

Diese Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen – sie sind in Wien Alltag. Wie lautet nun die Meinung der verantwortlichen Wiener KommunalpolitikerInnen zu dieser wirklich unerträglichen Situation? Die VertreterInnen der Rathauskoalition und insbesondere deren BehindertensprecherInnen behaupten bei jeder Gelegenheit, Wien hätte eine für behinderte Menschen fortschrittliche Bauordnung – sie wollen also glauben machen, es wäre ohnehin alles bestens.

Der damalige Bürgermeister Zilk wiederum verkündete drei Jahre vor der für 1995 geplanten EXPO, bis zur Eröffnung werden in Wien alle Gehsteige abgesenkt werden.

Schade für uns, daß er niemals Gelegenheit bekam, sein Versprechen einzulösen. Mittlerweile, nach weiteren sechs Jahren, stellt der zuständige Stadtrat in einer Anfragebeantwortung fest, die Absenkungen aller Gehsteige könnten in etwa 20 (!) Jahren realisiert werden.

Zilk´s Amtsnachfolger, Bürgermeister Häupl (SPÖ) geht sogar noch einen Schritt weiter: Obwohl ihm die Forderungen der Betroffenen seit Jahren im Detail bekannt sind, drückt er sich trotz ausdrücklicher Zusagen um eine Stellungnahme und um die Umsetzung herum.

Er befindet sich damit in guter Gesellschaft mit der SP-Behindertensprecherin, Ltg.Präs. Dipl. Sozialarbeiterin Erika Stubenvoll, die bereits im Februar 1994 zusagte, sich für die Errichtung einer zugänglichen Toilette in der Wiener City einzusetzen. Bis heute noch warten wir auf die Einlösung ihres Versprechens.

Nur die Opposition im Wiener Rathaus vertritt in zahlreichen Anfragen, Anträgen, in den Ausschüssen und Plenarsitzungen sowie bei Pressekonferenzen und anderen Gelegenheiten die Interessen der behinderten WählerInnen.

Schieben wir doch das Eigenlob und die ständigen Ausflüchte der KoalitionspolitikerInnen zur Seite und kommen wir zur Sache:

Eine Bauordnung oder eine Gehsteigverordnung, die derartiges zuläßt oder nicht verhindert, kann nicht als fortschrittlich und als ausreichend bezeichnet werden.

Wie kann man eine Situation gutheißen, in der Menschen an der Benützung der Infrastruktur einer Stadt gehindert, von ihr weitgehend ausgeschlossen werden?

Wie kann man angesichts der Tatsache, daß hier in einer klaren und eindeutigen Form die BürgerInnenrechte einer Bevölkerungsgruppe nachhaltig und fortwährend verletzt werden, zur Tagesordnung übergehen?

Und wie lange noch glaubt man in Wien es sich leisten zu können, die Verfassung zu mißachten, die seit dem Sommer des Vorjahres in Artikel 7 ausdrücklich vorschreibt „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ und Länder und Gemeinden bekennen sich dazu, „die Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten“. Will es Wien darauf ankommen lassen, von einem Betroffenen vor den Verfassungsgerichtshof gezerrt zu werden?

Daß es auch anders geht, zeigt die Situation in vielen vergleichbaren westlichen Ländern: die flächendeckend abgesenkten Gehsteige in den deutschen Städten, die Blindenleitlinien auf den Gehsteigen und die zugänglichen Lokale in Großbritannien oder die vielen zugänglichen Geschäfte, öffentlichen und kulturellen Einrichtungen sowie die öffentlichen Verkehrsmittel in den USA.

Dort schreibt das 1990 in Kraft getretene Americans with Disabilities Act (ADA) behindertengerechtes Bauen klar vor und sanktioniert auch seine Nichteinhaltung.

Dort wurde auch ein Restaurant von McDonalds zu 70.000 Dollar Strafe verurteilt, weil es nur über Stufen erreichbar war. Interessant in diesem Zusammenhang ist, daß eine im Vorjahr von Wiener GemeinderätInnen durchgeführte Studienreise in die USA auch zu keiner Änderung ihrer Haltung geführt hat.

Eines ist klar: Wien hat seine Chancen vertan, im heurigen „Jahr der Menschenrechte“ klare gesetzliche Regelungen zu schaffen, die gewährleisten, daß behinderte Menschen (dies gilt auch für Ältere, Eltern mit Kinderwägen, Kleinwüchsige, temporär Behinderte usw.) nicht länger diskriminiert werden.

Und Wien hat als EU-Hauptstadt der ganzen Welt bewiesen, daß es noch immer meilenweit entfernt ist von westlichen Standards. Klar ist aber auch, daß Wien jetzt keine Zeit mehr verlieren darf, wenn es nicht riskieren will, vor der ganzen Welt als Schlußlicht dazustehen.

Die dringend zu realisierenden Maßnahmen müssen folgende Schwerpunkte beinhalten:

  • barrierefreies Bauen muß verbindlich für sämtliche neue Baulichkeiten (gilt für Gebäude, Geschäftslokale, Restaurants u.ä.) vorgeschrieben werden
  • barrierefreies Bauen muß auch bei Umbauten, Generalsanierungen und Renovierungen verbindlich vorgeschrieben werden
  • als erster Schritt müssen das Wr. Landesvergabegesetz und öffentliche Förderungen an die Realisierung von barrierefreiem Bauen gebunden werden
  • Pläne mit genauen Zeitvorgaben müssen entwickelt werden – auch für Gehsteigabsenkungen
  • alle wesentlichen Teile der entsprechenden ÖNORMEN, das Merkblatt „Öffentliche WC-Anlagen“ u.ä. Unterlagen müssen raschest in die Wiener Bauordnung sowie in alle anderen einschlägigen Gesetze und Verordnungen aufgenommen werden.
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