Wir Sorgenkinder

Als "Sorgenkind" sieht Sozialministerin Lore Hostasch (SPÖ) die "Beschäftigung von Behinderten" an, wie sie im Rahmen eines Pressegesprächs am 3. August 1999 ausführte.

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Dies ist das erste Eingeständnis aus dem Ministerium, daß es mit „den Behinderten“ nicht so richtig läuft.

Denn bisher hat man im Sozialministerium stets auf Optimismus gesetz und den Eindruck erweckt, in diesem Bereich gäbe es keine Probleme. Und jetzt das …

Aber es ist ja kein Wunder, daß es so weit kommen mußte: Wichtig waren dem Sozialministerium bisher arbeitslose Jugendliche, Frauen und ältere Arbeitnehmer gewesen. Diesen Gruppen galten auch die gesammelten Anstrengungen, für sie gab es auch endlich mehr Geld im Rahmen der sogenannten aktiven Arbeitsmarktpolitik – und wie man sieht, teilweise auch mit Erfolg.

Im Gegenzug wurden die Aufwendungen für behinderte Menschen nahezu halbiert: Die Aufwendungen für die Arbeitsmarktförderung sanken von 849,2 Millionen im Jahre 1995 auf 450,3 Millionen Schilling im Jahre 1998.

Da nimmt es dann nicht Wunder, wenn die Luft draußen ist. Faktum ist: Die Beschäftigung behinderter Menschen hat für die Sozialministerin, aber auch für deren Koalitionspartner und somit für die gesamte Bundesregierung keine Priorität. Punktum.

Die Arbeitslosenrate steigt seit Jahren beharrlich und nimmt allmählich beängstigende Formen an. Im Juli 1999 waren bereits 36.956 behinderte Menschen ohne Arbeit. Das sind 20,6 Prozent der insgesamt 179.145 Arbeitslosen, vor einem Jahr waren es noch 19,6 Prozent und 1995 „nur“ 16,3 Prozent. Seit 1994 ist die Arbeitslosenrate um 45 Prozent (!) gestiegen.

Vor allem unter den Langzeitarbeitslosen gibt es einen hohen Anteil an behinderten Menschen. Die offiziellen Zahlen lassen überdies erkennen, daß die jüngste Novelle des Behinderteneinstellungsgesetzes noch keine Entschärfung der Situation gebracht hat. Hier von „einer Trendwende am Arbeitsmarkt“ und einem „Job-Wunder“ zu sprechen, wie dies am 7. September 1999 vom Bundeskanzler und der Sozialministerin getan wurde, ist geradezu frivol.

Die Aktivitäten der SPÖ konzentrieren sich derzeit darauf, daß sie auf Länderebene dort, wo die ÖVP die Mehrheit hat, die Landesregierung auffordert, die gesetzlich vorgeschriebene Anzahl von behinderten Arbeitnehmern einzustellen.

Aber in den SP-dominierten Bundesländern ist die Situation um keinen Deut besser: So ist das Land Wien – laut Aussage der Abgeordneten Jutta Sander (GRÜNE) – mit mehr als 500 nicht besetzten Pflichtstellen im Verzug und muß dafür jährlich rund 17 Millionen Schiling Ausgleichstaxe bezahlen.

In St. Pölten wird gerade um 100 Millionen Schilling unter kräftiger finanzieller Mitwirkung des Landes und des Sozialministeriums die Geschützte Werkstätte ausgebaut, und in Wien hat das Arbeitsmarktservice vor kurzem eine neue Zweigstelle eröffnet, die nur über mehrere Stufen erreichbar und dessen Behinderten-WC unbenützbar ist.

Im Rahmen des NAP (Nationaler Aktionsplan für Beschäftigung) kommen behinderte Menschen nur unter „Ferner liefen“ vor. Die geplanten Maßnahmen stellen nach Ansicht von Fachleuten lediglich Absichtserklärungen dar, da sowohl Zeitpläne, als auch konkrete Angaben über die Finanzierung fehlen und dieses Konzept nach Aussage des ÖAR-Präsidenten Klaus Voget keine Maßnahmen gegen die steigende Zahl von behinderten Arbeitslosen vorsieht.

Das Bundessozialamt Steiermark befürchtet, daß behinderte Menschen in Hinkunft im Verteilungskampf um die Mittel des Europäischen Sozialfonds (ESF) zu kurz kommen könnten, da die Gelder aus dem ESF nicht mehr zielgruppenorientiert (z. B. für behinderte ArbeitnehmerInnen), sondern zielorientiert verwendet werden sollen.

Und gemäß einem Erlaß des Sozialministeriums sind behinderte Arbeitssuchende, die nicht 50 % der Leistungsfähigkeit eines nichtbehinderten Menschen erbringen können, von Förderprogrammen des Bundessozialamtes in Zusammenhang mit Erwerbsarbeit ausgeschlossen. So schaut´s aus!

Der überproportionale Anstieg der Arbeitslosenrate ist vielmehr vor allem auf die ständige Zurücknahme von Leistungen des Arbeitsmarktservice und der meisten Sozialversicherungsträger in den letzten Jahren zurückzuführen.

Es besteht kein Zweifel mehr: diese Regierung hat uns abgeschrieben. Dies zuzugeben, hat sie nicht den Mut. Stattdessen erhalten wir von Ministerin Hostasch auch noch die Punzierung Sorgenkinder verpaßt. Das hat uns gerade noch gefehlt.

Ein bißchen klingt das so, als hätten wir – gleichsam aus eigenem Verschulden – einen beträchtlichen Anteil an dieser mißlichen Situation. Doch ist es gerade das Ministerium, das durch seinen Mangel an neuen Ideen, seine zögerliche Haltung und seinen Hang zum ständigen Verharmlosen die Hauptverantwortung für dieses Desaster trägt.

Das klingt aber auch so, als ob man an dieser Situation nicht viel ändern könnte und sie daher so hinnehmen müsse. Ich bin der Meinung, hier macht sich´ s die Ministerin zu leicht, denn es liegt an ihr, Prioritäten zu setzen. Und schließlich paßt der Begriff auch noch so richtig gut zu unserem alten Image als hilflose Hascherln, das wir seit Jahren in mühsamer Kleinarbeit zu ändern bestrebt sind und das durch solche unqualifizierten Äußerungen wieder ein Stück weit einzementiert wird.

Ob da der Ausdruck „Sorgenkinder“ nicht besser fürs Ministerium passen würde?

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