Deinstitutionalisierung und Persönliche Assistenz in Österreich

"Es geht um den Auszug aus den Institutionen", stellte Mag. Hubert Stockner beim BIZEPS-Kongress zur Persönlichen Assistenz im April 2011 klar und präsentierte eine Reihe von kürzlich erhobenen Zahlen.

Hubert Stockner
BIZEPS

Bereits das Behindertenkonzept der Bundesregierung von 1992 sah vor, dass ambulante Unterstützungsmaßnahmen Vorrang vor stationären Unterstützungsformen haben sollen, erinnerte Mag. Hubert Stockner anfangs: „Und ich habe mir für dieses Referat die Frage gestellt: Wie wird mit diesem Grundsatz in Österreich umgegangen. Hat die ambulante Hilfe tatsächlich Vorrang? Inwieweit wird, werden Unterstützungssysteme bereitgestellt, damit Menschen auch aus Heimen ausziehen können.“

Doch die Ernüchterung kam, als er im Rahmen einer Recherche feststellen musste: Über 80 Prozent der Gelder werden in stationäre Plätze investiert.

Seiner Meinung nach ist es zwar so, dass eine Zielsetzung existiert, behinderte Menschen sollen ihr Leben selbst gestalten können, selbst planen können und in der Gemeinschaft leben dürfen. „Es gibt aber keine Strategie in Österreich zu diesem Auszug aus dem Heim – und dies weder auf Bundes- noch auf Landesebene“, hielt er fest.

Assistenzsysteme entstanden nicht aufgrund von zielgerichteter Politik

Deutlich wurde er auch bei der Analyse der Geschichte von Persönlicher Assistenz in Österreich, wenn er darlegte: „Ich habe mir auch die letzten Wochen die unterschiedlichen Situationen in den verschiedenen Bundesländern genauer angeschaut und ich sehe das so, dass Persönliche Assistenzsysteme dort am besten ausgebaut sind, wo entweder starke Einzelpersonen sich ihren Assistenzbedarf selbst erstritten haben – gegen die Widerstände der Verwaltung normalerweise – oder wo es eine starke Selbstbestimmt-Leben-Bewegung gegeben hat, die sich im Bundesland etablieren konnte. Wiederum nicht aufgrund von zielgerichteter Politik.“

Wie viele leben in Einrichtungen?

Der Tiroler wollte bei seiner Recherche wissen: Wie viele behinderte Menschen leben in Österreich in Einrichtungen? Es waren keine exakten Zahlen dazu verfügbar und auch einschlägige Berichte (beispielsweise Sozialbericht, Pflegevorsorgebericht) liefern nur Hinweise auf vage Schätzungen oder Zahlen. Manches Mal liefern Bundesländer überhaupt keine vergleichbaren Fakten.

Er hat dann – quasi als Annäherung – versucht, zumindest die Entwicklung der Zahlen in Behindertenheimen über die Jahre festzumachen. Dabei fand er Bemerkenswertes: „Und zwar unter anderem aus der Studie ‚Ausbau der Dienste und Einrichtungen für pflegebedürftige Menschen in Österreich‘, die also parallel zur Einführung der Pflegevorsorge erstellt wurde. Und die zählt für das Jahr 2002 also rund 8.400 Plätze und beschreiben gleichzeitig, dass es vor der Einführung der 15a-Vereinbarung 3.600 weniger waren. Das lässt also den Rückschluss zu, dass es 1994 und vorher etwa 4.800 waren.“

Aber auch andere Einzelzahlen konnte er aus Zahlen der Bewohnervertretungen nach dem Heimaufenthaltsgesetz rückrechnen und dazuzählen. Auch wenn keine exakte Zahl herauskam, so stieg die Zahl in Institutionen.

Erschreckend dann der direkte Vergleich mit der Anzahl von Personen, die Persönliche Assistenz bekommen. Nur in Tirol, OÖ und Wien erhalten einige hundert Personen Persönliche Assistenz und vom Bund werden knapp mehr als 300 Personen gefördert. In den restlichen Bundesländern gibt es meist nur eine Handvoll – meist aber nicht mehr als 25 Bezieherinnen oder Bezieher dieser Leistung.

Versäumnisse in Österreich

Er vermutet auch, dass die mangelhafte 15a Vereinbarung des Pflegegeldgesetzes für den Ist-Stand verantwortlich ist, weil keine verbindlichen Zahlen von ambulanten Diensten vorgeschrieben sind. Weil es aber auch keine verlässlichen Zahlen gibt, ist es schwer, derzeit den österreichweiten Bedarf abzuschätzen.

Er ging nochmals darauf ein, dass Persönliche Assistenz in den meisten Fällen kostengünstiger ist und auch höhere Zufriedenheit, Lebensqualität und Selbstbestimmung bringt. „Das ist ja genügend belegt, zum Beispiel in der FSW-Studie. Auch gesundheitliche Effekte sprechen eindeutig dafür, dass Assistenzsysteme bessere Qualität produzieren als Institutionen“, verwies er auf die Ergebnisse der Wiener Studie.

Gefahren beim Umstieg

Abschließend ging er auf zu berücksichtigende Aspekte ein, die bei Deinstitutionalisierung unbedingt beachtet werden müssen.

„Ein Ausstiegsplan aus den Institutionen müsste aber auch verschiedene Gefahren vermeiden, zum Beispiel die Gefahr der Verdoppelung der Systeme. Das heißt, wenn wir nicht gleichzeitig die Entscheidung treffen, die Institutionen zu schließen.“ Dies würde – wie bei der Schulintegration – dazu führen, dass man zwei teure Systeme (integratives System und ein Sonderschulsystem) gleichzeitig betreibe.

„Wenn diese Überlegung fehlt, dann ist auch davon auszugehen, dass vor allem die Menschen mit schweren Beeinträchtigungen, beziehungsweise mit hohem Unterstützungsbedarf, wahrscheinlich in den Einrichtungen zurückgelassen werden“, warnte er eindrücklich und stellte klar: „Das heißt, die Aufgabe für eine bundesweite Assistenzregelung müsste eigentlich in allererster Linie diese Menschen mit komplexem, hohem Bedarf an Unterstützung in den Augen haben und für die müsste die in allererster Linie entwickelt werden. „

Schon jetzt sollte die Entscheidung getroffen werden, „dass keine weiteren Infrastrukturgelder in diese Gebäude, in diese Institutionen fließen“. Dass dieser Weg funktioniert, zeigt Schweden, erläuterte er den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des BIZEPS-Kongresses und verwies auf das 1994 beschlossene Assistenzgesetz in Schweden, welches eindeutig dazu geführt hat, dass Institutionen geschlossen worden sind. „Dort gibt es also heute nurmehr entweder Persönliche Assistenz oder kleinere Wohngruppen“, verwies er abschließend auf die Erfolge in Skandinavien.

Über die Veranstaltung

Der Kongress zur Persönlichen Assistenz am 14. und 15. April 2011 in Wien wurde von BIZEPS-Zentrum für Selbstbestimmtes Leben organisiert und vom Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz gefördert. Fotos vom Kongress sind auf Flickr zu sehen. Hier finden Sie die Liste aller Vorträge.

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