Taschengeld als Ausbeutung?

Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten Tag für Tag und bekommen am Monatsende nur ein Taschengeld ohne eigenständige soziale Absicherung. Undenkbar sagen Sie? Falsch. Für rund 20.000 Menschen mit Behinderungen in Österreich ist das Realität.

1 Euro Münze
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Ob dies den Tatbestand der Sklaverei oder Ausbeutung erfüllt, soll hier nicht im Detail analysiert werden. Fest steht, dass für diese Arbeiten in Beschäftigungstherapien weder die gesetzlichen Bestimmungen über ArbeitnehmerInnenschutz, Urlaub, betriebliche Mitbestimmung usw. gelten – von einer fairen Entlohnung ganz zu schweigen.

Die größte „Errungenschaft“ der letzten Jahre in diesem Bereich war, dass betroffene Menschen seit 2011 zumindest unfallversichert sind.

Aber es ist doch gar keine Arbeit

Das häufigste Argument zur Rechtfertigung dieses Missstandes lautet: Aber das ist doch gar keine Arbeit. Dieses Argument verdient es näher betrachtet zu werden, allerdings dieses Mal aus einem anderen Blickwinkel.

Ist die Differenzierung der Höhe von Taschengeld nach erbrachter Arbeitsleistung diskriminierend, wenn sich Trägerermessen konkret so auswirkt, dass Menschen mit Mehrfachbeeinträchtigungen ein geringeres Taschengeld zugestanden wird als weniger beeinträchtigten NutzerInnen?

Sie empfinden diese Frage als Zumutung?

Dann vielleicht eine andere Frage. Was ist, wenn einzelne Standorte „wegen der guten Auftragslage und der erbrachten Leistungen der dort tätigen Menschen mit Behinderung Überschüsse erzielen„. In einem Bericht wurde kürzlich festgehalten, dass 65 % der Werkstätten Menschen mit Behinderungen finanziell nicht am Verkaufserlös beteiligen.

Und nun zur Frage: Sollen solche Sachverhalte als Ausbeutung im Sinne des UN-Behindertenrechtskonvention qualifiziert werden?

Falls Sie solche Fragen überhaupt nicht nachvollziehen können, sei hier nur kurz erwähnt: Diese Fragen kommen nicht vor mir. Sie finden sich in einem internen Bericht einer Behörde, die sich berechtigte Gedanken macht, ob das derzeitige System der Beschäftigungstherapien noch mit den garantierten Rechten der Konvention vereinbar ist.

Und die Konsequenz?

„Weil, so schließt er messerscharf, nicht sein kann, was nicht sein darf“, schrieb schon Christian Morgenstern vor 100 Jahr in „Die unmögliche Tatsache“. Allerorts wird noch mit mehr oder weniger Einsatz versucht, das bestehende System zu verteidigen und Alternativen als illusorisch zu verunglimpfen.

Hier gibt es Parallelen zu Bildungsdiskussion. Es ist noch nicht lange her, da wurden sehr viele behinderte Menschen von der Schulpflicht befreit, weil man sie für bildungsunfähig gehalten hat. Dies ist nun anders. Nicht weil sich die Menschen mit Behinderungen geändert haben, sondern weil sich das System ändern musste.

Unbestritten: Die Umsetzung der Konvention und insbesondere des Artikels 27 der Konvention („Arbeit und Beschäftigung“) wird anspruchsvoll. Es lohnt sich nachzulesen, welche Rechte Menschen mit Behinderungen haben. Besonders weil ihnen viele davon noch immer vorenthalten werden.

Dieser Artikel ist im Sommer in der Zeitung der Lebenshilfe Steiermark erschienen.

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8 Kommentare

  • Ein Familienmitglied wird in einer steirischen Behinderteneinrichtung extrem ausgebeutet! 140 Std im Monat für 96.-€ Taschengeld=1,46 € /Stundenlohn. Wahnsinn
    Justiz und Sachwalterin befinden so etwas noch für gut.!!!

  • das Jahr 2014

  • KLARSTELLUNG TUT ABSOLUT NOT !


    Die “ Klienten “ in den Tageswerkstätten sind zumindest hier im Bundesland Salzburg keineswegs Vertragsnehmer, sondern sie sind durch BESCHEID der Sozialbehörde einer konkreten Einrichtung zugewiesen worden. Das heißt, sie sind nur OBJEKTE der landesrechtlichen Fürsorge und haben keinerlei SUBJEKTIVE Rechte, die sie irgendwo einklagen könnten.

    Nicht einmal das Taschengeld kann eingeklagt werden : diesbezüglich gibt es nur strikt geheim gehaltene “ RICHTLINIEN “ des Landes, die ausschließlich zwischen den Einrichtungen und dem Land unter Ausschluss der Betroffenen ausgeschnapst werden.

    Die einzige Aufgabe der Betroffenen ist es ersichtlicherweise : brav zu sein und keine größeren Schwierigkeiten zu machen und sich lebenslang als MELKKÜHE verwenden und missbrauchen zu lassen ! Das nennt sich dann sogar “ INKLUSION „, was ja bekanntlich aus dem Lateinischen kommt und wörtlich den “ EINSCHLUSS “ bedeutet . Lebenslang gefangen und eingeschlossen in einer bevormundenden Hascherlaufbewahrungs – und Beschäftigungsanstalt !!!

    Es ist also nicht allein damit getan, nur die segregierenden Wohnheime zu kritisieren mit ihrer eklatanten Verletzung von Artikel 19 UN – BRK , sondern das gesamte System der institutionellen Befürsorgung und Bevormundung hilfloser und wehrloser Mitmenschen ist unter Anklage zu stellen.

    Wer haftet letztlich für all diese MIss – Stände : das jeweilige Bundesland trägt die volle Verantwortung für das gesamte Handeln, Dulden und auch Unterlassen der beauftragten Einrichtungen ! Der Oberste Gerichtshof in Wien hat dies kürzlich in einer aufsehenerregenden Entscheidung mehr als deutlich festgestellt . Der jeweilige Landesrat für Soziales trägt die volle Verantwortung also auch für diese ganze miserable AUSBEUTUNG & SKLAVENHALTEREI in den Tageswerkstätten von Lebenshilfe, Caritas, Diakonie, Chance B in der Steiermark und viele andere mehr.


  • @ Rupert: Danke für die Klarstellung! Der Unterschied ist in der Tat wichtig!
    Richtig, Österreich verwaltet gerne!
    @ Erwin Kapl: Nein, ich arbeite nicht für einen Integrativen Betrieb im Sinne des Arkitels.
    Ich verstehe nicht wie Sie meinem Kommentar entnehmen können ich schriebe positiv über die im Artikel erörterte Problematik. Im Gegenteil, ich sehe meinen Kommentar als Kritik.
    Mir geht es darum zu verstehen, worum es im Artikel geht. Wie Rupert schon erklärt hat, muß man schon bei der Wortwahl und den Definition aufpassen.
    Der FSW (Fonds Soziales Wien) ist ein Thema für sich, wobei die Förderpoliitik des FSW und die allgemeinen Unzulänglichkeiten hinreichend bekannt sein dürften.
    Dem Artikel und den bis jetzt dazu abgegebenen Kommentaren entnehme ich, daß die Anbieter von Beschäftigungstherapien anscheinend mehrheitlich Kompettanbieter sind, die für behinderte Menschen neben Beschäftigungstherapien auch Wohnplätze und echte Werkstätten anbieten. Die Herausforderung wird sein, daß ein und die sselbe Person einmal ‚Klient‘ in der Wohnung oder bei der Therapie ist und einandermal Auftragnehmer ist. Je nach nach Rolle enstehen hier unterschiedliche Rechte und Pflichten, die wahrscheinlich auch einklagbar sind.
    Wie im Artikel erwähnt erscheint eine Unterschiedliche Entlohnung allein nach Trägerermessen sehr fragwürdig.

  • Höchstwahrscheinlich sind Die Feder und Hr. Rupert haupamtliche MA von Integrativen Betrieben, ansonsten würden Sie nicht so positiv daüber berichten. Beschäftigungstherapie ist wichtig stimmt jedoch in Wien betreiben diese meist Organisationen wie Lebenshilfe JaW ASSIST etc. diese Organisationen betreibemn nicht nur Integrative Betriebe sondern auch Wohneinrichtungen etc. dafür braucht man eben viiiiiiieeeel Geld und außerdem hält der FSW die Hand darüber denn zu diesen Bedingungen wie der FSW bietet gäbe es diese Formen in Wien nicht also sollte man den FSW an den Pranger stellen die die Organisationen walten lassen wie diese wollen z.B. wenn jemand länger als 6 Wochen der Werkstätte fernbleibt weil er/(sie es nicht schafft hinzugehen muß er dann einen gewissen Betrag an die Einrichtung zahlen damit ihm/ihr der Platz gehalten wird vielleicht sollte sich da einmal die UN darüber informieren wie die Stadt Wien mit behinderten Menschen umgeht also Herr Häupl unternehmen Sie etwas wenn Sie nächstes Jahr wieder gewählt werden wollen. Oder sollerst wieder in der nächsten UN Konventions Sitzung für Menschen mit Behinderung darüber geschrieben werden.

  • @Die Feder: An dieser Stelle möchte ich klarstellen, dass sogenannte „Beschäftigungstherapiewerkstätten“ KEINE „Geschützten Werkstätten“ bzw. „Integrative Betriebe“ sind. In den „Geschützten Werkstätten/Integrative Betriebe“ wird kollektivrechtlich entlohnt, die ArbeitnehmerInnen gehören weitgehend dem „Kreis der begünstigten Behinderten“ an. Die Feststellung per Bescheid erfolgte früher von den Landestellen des Bundessozialamt, jetzt Bundesministeriumservice. Die ArbeitnehmerInnen in den Geschützten Werkstätten/Integrative Betriebe sind voll sozialversichert – Pension, Arbeitslose, etc. – Es gibt in fast jedem Bundesland ein Unternehmen der Geschützten Werkstätten. In Niederösterreich gibt es 2 „Geschützte Werkstätten“ in Vorarlberg und Burgenland keine. Siehe auch: http://www.iboe.at/
    Das was der „Volksmund“ als „geschützte Werkstätten“ bezeichnet, sind meistens jedoch, je nach Bundesland die verschieden Beschäftigungstherapiewerkstätten, Tagesheimstätten, Förderwerkstätten, etc. wo die meist Halbtagsbeschäftigten Menschen mit Lernschwierigkeiten u.a. nur „Taschengeld“ (ohne Sozialversicherung, außer unfallversicherung) von ca. € 300,- beziehen. Der Vergleich mit dem Kindergarten ist nicht legitim, denn in vielen Beschäftigungstherapiewerkstätten werden Produkte hergestellt, die einen Erlös erzielen (z.B. Catering, Wäscherei, Montage-Arbeiten, etc.) – die gerne zitierten „Bastelarbeiten“ sind eher die Ausnahme, als die Regel. – Menschen mit Behinderungen werden in Österreich immer noch gerne verwaltet und verwahrt – Eigenständigigkeit und Selbstbestimmung sind für viele im System ein Fremdwort.

  • Bedauerlicherweise ist im Artikel keine Rechtsgrundlage angeführt. Ebenso fehlen Beispiele.

    Ich nehme aber an, der Autor meint die Betreuungsangebote und die Arbeitstherapien wie sie von „geschützten Werkstätten“ angeboten werden. Grundlage ist in diesem Fall ein privatrechtlicher Vertrag.

    An dieser Stelle ist ein Vergleich zu einem Kindergarten legitim: Das Kind wird im Kindergarten (entgeltlich) betreut. Während der Betreuungszeit entstandene Werke (z.B. Bilder) werden weder dem Kind noch dem Erziehungsberechtigten entlohnt. Es kommt deshalb auch nicht zu einer Reduktion des Kindergartentarifs.

    Interessanter wird die Sachlage wenn – wie teilweise angeboten – entgeltliche Auftragsarbeiten unter Zuhilfenahme von Betreuten durchgeführt werden. Wahrscheinlich liegt dann ein Werkvertrag vor und die Betreuten werden für die Dauer der Auftragsarbeit zu Werkvertragsnehmern. (Die Juristen des Klagsverbandes könnten das ja einmal prüfen!)

    Ein Werkvertrag der Betreuten bedeutet aber nicht automatisch, daß die Betreuten mehr Geld zur Verfügung haben: Die Betreuungskosten werden nur selten von den Betreuten selbst gezahlt, meist übernimmt das ein Kostenträger, der Erlöse aus einem Werkvertrag eines Betreuten mit den Betreuungskosten gegenverrechnen wird. Der Betreute bezahlt in diesem Fall zumindest einen Teil der Betreuungskosten selbst.

    Um den Betreuten mehr Geld zu geben bietet sich daher folgende Lösung an: Bessere Verträge (z.B.: geringere Betreuungskosten, höhere Entlohnungsanteile bei der Werkarbeit, etc.).

  • Für Beziher ab Stufe 3 gibt es anscheinend gute Nachrichten.

    Für die soll das Pflegegeld ab 2016 wie es aussieht wirklich valorisiert werden.
    Quelle:
    http://news.orf.at/#/stories/2248575/