Schreckgespenst Verbandsklage

Wird das von den Behindertenvertretungen vehement geforderte Verbandsklagerecht wirklich zum Stolperstein für das Behindertengleichstellungsgesetz?

Jagd nach dem Recht
Krispl, Ulli

Seit die Arbeiten an einem Österreichischen Behindertengleichstellungsgesetz im Mai 2003 begonnen haben, war die Forderung nach einem Verbandsklagerecht umstritten. Auch in einer gestern im Parlament stattgefundenen Diskussion zwischen Behindertenvertretern und Repräsentanten der Wirtschaftskammer Österreich zum aktuellen Behindertengleichstellungsgesetzentwurf wurde wieder deutlich, dass die Wirtschaft einem Verbandsklagerecht in Behindertengleichstellungssachen äußerst ablehnend gegenüber steht und zahlreiche vorgefasste Meinungen und Befürchtungen damit verbindet.

Nun, Grund genug, zumindest vier gute Gründe anzuführen, die für ein Verbandsklagerecht im Behindertengleichstellungsgesetz sprechen.

1. Verbandsklagerechte haben bereits Tradition im Österreichischen Recht

Immer wieder wurde in der Diskussion behauptet, dass das österr. Recht Verbandsklagen nicht oder kaum kennt. Dass das nicht so ist, beweist das österr. Recht selbst. In nicht unwesentlichen Rechtsbereichen, wie z. B. Konsumentenschutzrecht (§§ 28 bis 29 Konsumentenschutzgesetz), Heimvertragsrecht (§ 28a Abs. 1a Konsumentenschutzgesetz), Versicherungsvertragsrecht (§ 178g Versicherungsvertragsgesetz), unlauteren Wettbewerbsrecht (§ 14 des Bundesgesetzes gegen unlauteren Wettbewerb und Art. 5 des Übergangsrechts zum ABGB), Kartellrecht (§§ 8a, 25, 27, 30c, 33, 37, 42a Kartellgesetz 1988) etc. finden wir in österreichischen Gesetzen Verbandsklagerechte, die die Waffengleichheit bestimmter schwächerer Personengruppen – z. B. Konsumenten, Heimbewohner, Versicherungsnehmer – in einem Rechtsstreit mit einem stärkeren Gegner – z. B. Unternehmer, Heimträger, Versicherungsanstalt – herstellen sollen.

Es wäre daher wohl ohne weiteres vorstellbar, dieses Institut der Verbandsklage auch im künftigen Behindertengleichstellungsgesetz vorzusehen.

2. Die Mehrheit der Verbandsklagsberechtigten schafft effektiven Rechtsschutz

In der Diskussion zum Österreichischen Behindertengleichstellungsgesetz wurde von jenen, die zumindest ein schwaches Verbandsklagerecht als Kompromiss einräumen würden, stets gefordert, dass es lediglich eine Behinderteninteressenvertretung geben soll, die verbandsklagsberechtigt wäre, und das war bislang die Österreichische Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (ÖAR). Damit wären aber Vereine und Verbände, die sich auf das Thema Behindertengleichstellung zum Teil schon seit vielen Jahren spezialisiert haben, vom Verbandsklagerecht ausgeschlossen. Als Argument wurde stets gebracht, dass eine allgemeine Umschreibung der Verbandsklagsberechtigten zu einer Flut verbandsklagsberechtigter Organisationen führen würde und rechtlich kaum fassbar wäre.

Nun, das geltende österreichische Recht zeigt, dass es in allen bestehenden Verbandsklagsbereichen eine Mehrzahl Verbandsklagsberechtigter gibt; so sind etwa aktuell insb. der Verein für Konsumenteninformation, der Österreichische Senjorenrat, die Wirtschaftskammer Österreich, die Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte, der Österr. Landarbeiterkammertag, die Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern Österreichs, der Österreichische Gewerkschaftsbund nach den verschiedenen Bestimmungen verbandsklagsberechtigt.

Aber auch ganz allgemeine Definitionen für Verbandsklagsberechtigte gehören dem geltenden österr. Recht an, die eine Vielzahl von Vereinen und Verbänden ein Verbandsklagerecht einräumen. So sind z. B. nach den Bestimmungen des Kartellgesetzes auch verbandsklagsberechtigt „Vereinigungen, die wirtschaftliche Unternehmerinteressen vertreten, wenn diese ein Interesse an der alsbaldigen Feststellung begründen“ sowie „jeder Unternehmer bzw. jeder Verband, der ein rechtliches oder wirtschaftliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung hat“. Nach den Bestimmungen des unlauteren Wettbewerbsgesetzes sind auch verbandsklagsberechtigt „Vereinigungen, soweit diese Interessen vertreten, die durch die Handlung berührt werden“.

Es spräche aus diesen Gründen wohl auch nichts dagegen, durch eine allgemeine Umschreibung der Verbandsklagsberechtigten im Behindertengleichstellungsgesetz einer Mehrzahl von Vereinen und Verbänden, die sich auf die Wahrung der Rechte und Interessen behinderter Menschen in Sachen Behindertengleichstellung spezialisiert haben und bereit sind, das Prozesskostenrisiko – das oft ziemlich hoch sein wird, zu tragen, ein Verbandsklagerecht einzuräumen.

3. Ein Verbandsklagerecht schafft Waffengleichheit und keine Klagsflut

Häufig wurde von Wirtschaftsvertretern vorgebracht, dass ein Verbandsklagerecht im Behindertengleichstellungsgesetz ein unnötig überschießendes Rechtsschutzinstrument wäre und eine unzumutbare Klagsflut auslösen würde.

Verbandsklagen sollen ihrem Wesen nach dazu verhelfen, ein Ungleichgewicht der Streitparteien in einem Rechtsstreit durch einen gegenüber dem Einzelnen klarerweise stärkeren Verein oder Verband etwas auszugleichen. Gerade im Bereich Behindertengleichstellung ist das Ungleichgewicht offenkundig. So wird wohl der einzelne Mensch im Rollstuhl kaum als gleich stark in einem Rechtsstreit wegen nicht barrierefreien Zugsgarnituren gesehen werden können wie sein Gegner ÖBB. Und auch der einzelne blinde Mensch, der öffentliche Webangebote des Bundes nicht nutzen kann, weil sie nicht barrierefrei programmiert sind, wird wohl eine schwächere Position haben als der Gegner Republik Österreich.

Dies beginnt schon damit, dass eine Einzelperson oftmals wohl kaum ein hohes Prozesskostenrisiko entsprechend dem Streitwert tragen wird können und sich auch kaum die besten und versiertesten Rechtsanwälte leisten wird können.

Ein Verband hingegen könnte hier stärker auftreten – insbesondere wenn er auch z. B. für Verbandsklagetätigkeit Förderungen erhält -, da er auch höhere Prozesskostenrisikos tragen und sich teurere und versiertere Rechtsbeistände leisten wird können.

Ach ja, und mit dem Märchen der Klagsflut sollte auch einmal aufgeräumt werden. So hat sich etwa gezeigt, dass weder nach dem Verbandsklagerecht des Deutschen Behindertengleichstellungsgesetzes noch nach dem des Schweizer Behindertengleichstellungsgesetzes eine Klagsflut ausgelöst wurde. In Deutschland gibt es z. B. 20 verbandsklagsberechtigte Verbände nach dem Deutschen Behindertengleichstellungsgesetz und im Jahr 2004 keine einzige Verbandsklage; in der Schweiz wiederum gibt es 12 verbandsklagsberechtigte Verbände nach dem Behindertengleichstellungsgesetz und im Jahr 2004 lediglich 2 Verbandsklagen. Diese Zahlen sprechen wohl für sich. Und die Erfahrung hat auch gezeigt, dass allein die Möglichkeit einer Verbandsklage genügt, um in einer Vielzahl von Streitfällen bereits im Vorfeld zu einer außergerichtlichen gütlichen Einigung zu kommen.

4. Gleichstellung ist nicht Gleichbehandlung und rechtfertigt damit ein höheres Rechtsschutzniveau

Immer wieder wurde von Wirtschaftsvertretern auch ins Treffen geführt, dass die übrigen Gleichbehandlungsrechtsbereiche im österreichischen Recht auch kein Verbandsklagerecht kennen und daher Behindertengleichstellung so wie die übrigen Gleichbehandlungsbereiche entsprechend den EU-Antidiskriminierungsstandards zu regeln wäre.

Nun, es ist richtig, dass das EU-Antidiskriminierungsrecht kein zwingendes Verbandsklagerecht für Antidiskriminierungsmaßnahmen vorschreibt; doch gibt es für den Bereich Behindertengleichstellung derzeit auch keine allgemeine EU-Behindertengleichstellungsrichtlinie, die hier umzusetzen wäre. Österreich setzt also mit einem Behindertengleichstellungsgesetz keine EU-Mindeststandards um, sondern regelt einen Bereich, der EU-rechtlich noch überhaupt nicht normiert ist. Dementsprechend muss sich Österreich auch nicht an irgendwelchen Mindeststandards der EU für andere Diskriminierungsfälle orientieren, sondern kann hier ungehemmt jenes Rechtsschutzniveau regeln, das die Republik einzuräumen gewillt ist.

Und dann wäre auch anzumerken, dass Behindertengleichstellung weit mehr ist als bloße Antidiskriminierung oder Gleichbehandlung. Bei Gleichstellung bedarf es nicht nur der Gleichbehandlung, sondern darüber hinaus auch noch positiver Maßnahmen, die zumeist auch etwas kosten werden, um Benachteiligungen zu beseitigen. Beispiel: Wenn ein behinderter Mensch im Bereich Mobilität gleichgestellt werden soll, genügt es nicht, ihm zu erlauben öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, sondern es müssen Busse, Straßenbahnen, U-Bahnzüge, Zugsgarnituren etc. barrierefrei umgerüstet, bzw. neue barrierefreie Fahrzeuge angeschafft werden, Bahnhöfe barrierefrei gestaltet werden etc. Dieses notwendige positive Handeln, das auch etwas kostet und das über eine bloße Gleichbehandlung hinaus geht, ist wohl sachliche Rechtfertigung genug, um auch mit einem Verbandsklagerecht einen höheren Rechtsschutz in Sachen Behindertengleichstellung einzuräumen.

All diese Gründe machen wohl deutlich, weshalb die Interessenvertretungen der behinderten Menschen so vehement stets auch ein umfassendes Verbandsklagerecht für eine Vielzahl spezialisierter Behinderten- und Klagsverbände fordern. Bleibt nur zu hoffen, dass auch die Ängste der Wirtschaft durch diese sachlichen Argumente insoweit ausgeräumt werden, um in Sachen Verbandsklagerecht einlenken zu können. Denn ein Behindertengleichstellungsgesetz ist letztlich nur so viel wert, wie seine Rechtsschutzinstrumente die Durchsetzung der Gleichstellungsrechte zu garantieren vermögen.

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