Endloser Kampf gegen behindertendiskriminierende Straßenverkehrszeichen

Blinder Verkehrsteilnehmer: "Es gibt nichts Schöneres, als wenn der Schmerz nach einem Frontalzusammenstoß mit der scharfen Kante eines Straßenverkehrszeichens endlich wieder nachlässt und die Blutung zum Stillstand gekommen ist."

Blinder Fußgängern stößt mit Kopf an Straßenverkehrszeichen
Kremser, Wolfgang

So, oder so ähnlich könnte man die nahezu tägliche Erfahrung sehbehinderter oder blinder VerkehrsteilnehmerInnen umschreiben, die sich ob ihrer selbst erworbenen Geschicklichkeit in Sachen Mobilität dem Abenteuer öffentlicher Verkehr freiwillig aussetzen.

Das Problem

Ein bereits jahrelanger Stein des Anstoßes ist die Anbringung von Straßenverkehrszeichen im Gehsteigsbereich, und hier konkret die Regelung des § 48 Abs. 5 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO), BGBl. 159/1996, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 52/2005, der auszugsweise wie folgt lautet:

„(5) Der Abstand zwischen dem unteren Rand eines Straßenverkehrszeichens und der Fahrbahn darf bei seitlicher Anbringung nicht weniger als 0,60 m und nur in Ausnahmefällen mehr als 2,50 m betragen, sofern sich aus den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes bei einzelnen Straßenverkehrszeichen nichts anderes ergibt. Bei seitlicher Anbringung darf der seitliche Abstand zwischen dem der Fahrbahn zunächst liegenden Rand eines Straßenverkehrszeichens und dem Fahrbahnrand im Ortsgebiet nicht weniger als 0,30 m und nur in Ausnahmefällen mehr als 2 m, auf Freilandstraßen nur in Ausnahmefällen weniger als 1 m und mehr als 2,50 m betragen.“

Diese Bestimmung, die die Anbringung von Straßenverkehrszeichen auf Gehsteigen, Geh- und Radwegen am Fahrbahnrand in einer Höhe von 60 cm bis 250 cm, gemessen vom Fahrbahnniveau, erlaubt, führt nun in der Praxis immer wieder dazu, dass Verkehrszeichen in Kopf- und Brusthöhe auf Gehsteigen angebracht werden, die auch mit dem Blindenlangstock nicht oder nicht rechtzeitig erkannt werden können; noch dazu sind diese Verkehrszeichen zumeist scharfkantig, teilweise auch rostig und damit der Grund für zahlreiche Verletzungen sehbehinderter und blinder FußgängerInnen, wie Schürf-, Schnitt- und Platzwunden oder Kleidungs- und Brillenbeschädigungen.

Ein kleines Rechenbeispiel soll die Problematik noch verdeutlichen:

Man stelle sich vor, ein Gehsteig hat eine Breite von 1,40 m und der Randstein zur Fahrbahn ist rd. 15 cm hoch. Ein Straßenverkehrsschild ist ca. 40 cm breit, so dass es, im vorgesehenen Mindestabstand von 30 cm von der Fahrbahn angebracht, nurmehr eine Durchgangsbreite von 70 cm übrig lässt, was einer superschmalen Tür entspräche. Wenn das Verkehrsschild nun in einer Höhe von 180 cm – gemessen vom Fahrbahnniveau – montiert ist, so bleibt eine Höhe der unteren Kante des Verkehrsschildes am Gehsteig von 165 cm – abzüglich der Randsteinhöhe. Damit kracht die/der sehbehinderte oder blinde VerkehrsteilnehmerIn – je nach Körpergröße – entweder mit dem Oberkörper, der Schulter oder sogar mit dem Kopf gegen die untere bzw. auch die seitliche Kante des scharfkantigen Schildes. Und jedermann/frau weiß ja, dass im städtischen Bereich die Gehsteige oftmals noch schmäler als 1,40 m sein können bzw. die Verkehrsschilder noch weiter vom Fahrbahnrand aufgestellt werden.

Der Kampf

Diese Umstände waren Grund genug, dass das gemeinsame Verkehrsgremium der Sehbehinderten- und Blindenorganisationen der Ostregion, dem der Österr. Blinden- und Sehbehindertenverband, die Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen Österreichs, der Verein Blickkontakt und die Österr. Blindenwohlfahrt angehören, bereits vor nunmehr sieben Jahren den Kampf gegen diese Behindertendiskriminierung auf Grund der Straßenverkehrsordnung aufgenommen hat. Dazu der Leiter dieses gemeinsamen Verkehrsgremiums, Wolfgang Kremser: „Auf das Schreiben der Sehbehinderten- und Blindenorganisationen an das zuständige Verkehrsministerium vom September 2000, also vor sieben Jahren, wurde als einzige Maßnahme in einer nachfolgenden Novelle der StVO die Variationsbreite der Montagehöhe erhöht (vorher waren es 0,60 m bis 2,20 m, nachher 0,60 m bis 2,50 m, über der Fahrbahn gemessen). Die „Verbesserung“ brachte aber nichts, da nach wie vor die Straßenverkehrszeichen in Brust- und Gesichtshöhe montiert werden dürfen und es damit auch nach wie vor zu Verletzungen sehbehinderter und blinder PassantInnen kommt.“

In diesen sieben Jahren versuchte das Verkehrsgremium regelmäßig, eine entsprechende Novellierung der StVO zu erwirken. Im Februar 2007 machte das gemeinsame Verkehrsgremium der Sehbehinderten- und Blindenorganisationen auf Grund eines konkreten Verletzungsfalles eines blinden Passanten in der Stadt Baden, der sogar im Spital behandelt werden musste, einen neuerlichen Vorstoß und schlug die Aufnahme folgender Änderungen in die Straßenverkehrsordnung vor:

  • Die verbindliche Regelung einer Mindestmontagehöhe von Verkehrszeichen auf Gehsteigen, Geh- und Radwegen von 2,20 m und
  • die Absicherung von Verkehrszeichen auf Gehsteigen, Geh- oder Radwegen gegen das Unterlaufen

Doch die Kreativität des Verkehrsministeriums in puncto „Geht-nicht-sagen“ ist nahezu unendlich:

„Zu Ihrem Schreiben vom 12. Februar 2007 teilt das Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie mit, dass Ihre Anregung, in der Straßenverkehrsordnung eine Montagehöhe von seitlich angebrachten Verkehrszeichen von mindestens 2,20 m vorzuschreiben, bereits im Rahmen der Begutachtung der 21. StVO-Novelle abgelehnt wurde, da eine derartige Einschränkung des Raumes für die Anbringung von Verkehrszeichen aus Verkehrssicherheitsgründen nicht zu vertreten ist. Die weiters von Ihnen vorgeschlagene Absicherung gegen das „Unterlaufen“ eines Verkehrszeichen erscheint nach ho. Ansicht als generelle Vorschrift ebenfalls nicht praktikabel, da dadurch der übrige Fußgängerverkehr stark beeinträchtigt werden würde. Darüber hinaus wären derartige Bestimmungen aber auch als über den Kompetenztatbestand „Straßenpolizei“ hinausgehend anzusehen, was eine Verankerung in der StVO als verfassungsrechtlich bedenklich erscheinen lässt.“

Im Mai 2007 wandte sich das Verkehrsgremium in dieser Causa daraufhin auch an die Volksanwaltschaft um Hilfe, die das Verkehrsministerium um neuerliche Stellungnahme ersuchte. Und das Verkehrsministerium vertritt in seiner diesbezüglichen Stellungnahme an die Volksanwaltschaft vom Oktober 2007 den Standpunkt, „dass seitens der höchstgerichtlichen Rechtsprechung in Österreich die Einhaltung der Vorschriften über die Anbringung von Straßenverkehrszeichen als wesentlicher Bestandteil der ordnungsgemäßen Kundmachung von Verordnungen gesehen wird. Dies hätte zur Folge, dass bei einer Änderung der einschlägigen Bestimmungen auf einen Schlag (bzw. allenfalls innerhalb einer allfälligen Legisvakanz) die Anbringungshöhe aller Verkehrszeichen überprüft und gegebenenfalls angepasst werden müsste, andernfalls die zugrunde liegenden Verordnungen nicht mehr ordnungsgemäß kundgemacht wären. In Anbetracht dessen, dass auch die derzeitigen Bestimmungen eine Anbringung von Verkehrszeichen in der von Herrn Kremser gewünschten Höhe erlauben, wo dies notwendig ist, erscheint der zuvor beschriebene, mit der gesetzlichen Festlegung einer nicht unterschreitbaren Mindesthöhe zwangsläufig verbundene, verwaltungsmäßige und auch finanzielle Aufwand nicht gerechtfertigt.“

Der verärgerte Protest

Mit ziemlicher Verärgerung kommentiert der Direktor der Österreichischen Blindenwohlfahrt, Mag. Konrad Widman, diese letzte Stellungnahme des Verkehrsministeriums spontan so: „Die Stellungnahme ist ein erschütterndes Beispiel für die ‚es war schon immer so, da könnt ja jeder kommen‘-Mentalität. Besser ein Toter durch ein legal in Halshöhe montiertes scharfkantiges Verkehrszeichen als die Änderung von lebensgefährlichen Vorschriften. Ein Blinder kann ja dadurch nicht nocheinmal erblinden, weil ihm ein Spitz eines dreieckigen Verkehrszeichens die Augen ausgestochen hat. Warum regen wir uns eigentlich auf. Oder? Es ärgert mich unheimlich. Ich erinnere mich noch, wie aus irgendeinem Internationalisierungswahn die gelben Linien weiß übermalt, die Orts- und Stopptafeln und Einbahnpfeile ausgetauscht wurden. War genauso teuer und nach 10 Jahren Übergangsfrist war es erledigt. Oder- wie Fr. Volksanwältin Stojsits richtig schreibt – ungültig.“

Der jüngste unverbesserliche Vorstoß

Auf Grund der geplanten Abschaffung des Fahrens mit Licht am Tag sowie der geplanten Verschärfung der Strafbestimmungen für Alkohol am Steuer sowie Raserei ist in Kürze mit einer Novelle der Straßenverkehrsordnung (StVO) 1960 zu rechnen; deshalb wandten sich Anfang Oktober 2007 die Sehbehinderten- und Blindenorganisationen und das gemeinsame Verkehrsgremium mit ungebrochener Kraft neuerlich an den Herrn Verkehrsminister, diese Behindertendiskriminierung durch die Straßenverkehrsordnung durch eine entsprechende Novelle zu beseitigen. Doch die Ambitionen des Verkehrsministeriums, im Interesse der Menschen mit Sehbehinderungen tätig zu werden, und damit sowohl dem Benachteiligungsverbot und der Staatszielbestimmung in Artikel 7 Abs. 1 dritter und vierter Satz der Bundesverfassung als auch dem Behindertengleichstellungsgesetz gerecht zu werden, dürften, wie man sagen könnte, ziemlich zurückhaltend bleiben.

Doch auch die Geduld der Behindertenverbände ist nach sieben Jahren vergeblichen Kampfes bereits endenwollend, wie Wolfgang Kremser abschließend festhält: „Wir haben mit diesem jüngsten Schreiben an das Verkehrsministerium noch einmal versucht, eine konsensuale Lösung mit konstruktiven Vorschlägen der ExpertInnen der Behindertenbewegung herbeizuführen; sollten wir wieder mit Scheinargumenten abgefertigt werden, dann werden wir diesmal unsere Gleichstellungsrechte, die uns durch Artikel 7 Abs. 1, dritter und vierter Satz der Bundesverfassung und durch das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz eingeräumt wurden in Form eines konkreten Diskriminierungsverfahrens geltend machen; die zur Verfügung stehenden möglichen rechtlichen Schritte werden derzeit von unseren GleichstellungsrechtsexpertInnen geprüft. Eines muss jedenfalls klar sein: Die uneinsichtige Rechtfertigung von Behindertendiskriminierungen durch das Verkehrsministerium muss in absehbarer Zeit ein Ende haben, damit den sehbehinderten und blinden VerkehrsteilnehmerInnen endlich ihr Recht auf unbeeinträchtigende Teilhabe am öffentlichen Verkehr zuteil wird!“

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