Belgien: Sterbehilfe für einen Sexualstraftäter

Denn wieder ist eine Schranke gefallen. Ein Kommentar.

Flagge Belgien
Jessica Johnson

Während in Österreich die Arbeit der Parlamentarischen Enquete-Kommission und die zu erwartende breite Diskussion in Medien und Gesellschaft zum Thema „Würde am Ende des Lebens“ noch ganz am Anfang stehen, macht Belgien in Sachen „Sterbehilfe“ schon wieder international Schlagzeilen.

Ein kurzer Rückblick

In Belgien hat die aktive Sterbehilfe („Euthanasie“) schon lange Tradition.

Bereits im Jahr 2002 beschloss das Belgische Parlament die Möglichkeit hierfür. Im Februar 2014 wurden die Bestimmungen erweitert: aktive Sterbehilfe ist nun nicht nur bei Erwachsenen, sondern auch bei Kindern und Jugendlichen, also ohne Alterslimit, unter folgenden Voraussetzungen legal:

  1. Eltern und Kind müssen der aktiven Tötung zustimmen.
  2. Strenge Indikation: nur bei unerträglichen und nicht zu lindernden körperlichen Schmerzen
  3. Gespräch mit Psychologen bzw. Psychiater.

Im Jahr 2013 betrug die Anzahl der Menschen, die Sterbehilfe in Anspruch nahmen immerhin 1.807.

Der konkrete Fall. Ein klarer Fall?

Frank Van Den Bleeken wurde wegen Mordes und mehrfacher Vergewaltigung verurteilt. Seit 30 Jahren lebt er im Gefängnis. Er selbst berichtet von „unerträglichen psychischen Qualen“, die er erleidet, er hält sich für unheilbar psychisch krank und bezeichnet sich selbst als eine Gefahr für die Gesellschaft.

Sein Antrag auf ärztlich assistierten Suizid wurde in einem Gerichtsprozess nun bewilligt. Dieser soll demnächst in einem Krankenhaus vollzogen werden. Davor hat er dort auch noch die Möglichkeit, 48 Stunden mit seinen Angehörigen zu verbringen.

Unter den vielen deutschsprachigen Medienberichten waren auch: Spiegel-Online sowie und die BBC.

Ein Mörder und Vergewaltiger will sterben ?

Die Diskussionen zu diesem Fall nehmen in Postings bei Online-Zeitungen und Foren gerade einen prominenten Platz ein. Gegner und Befürworter liefern sich harte verbale Duelle.

Eine Position: Ein Mörder und Sexualstraftäter hat sowieso den Tod verdient. Er soll doch sterben. Also eine „indirekte Todesstrafe“. Eine andere: Er soll weiterhin in seiner Gefängniszelle sitzen bis zu seinem natürlichen Tod. Das ist die größere Strafe für ihn als ein mehr oder weniger „humaner“ Tötungsakt.

Und dann gibt es auch noch die Meinung: Frank Van Den Bleeken hat noch keine geeignete Therapie erhalten. Hintergrund dafür: Van den Bleeken hat im Jahre 2010 mit seinem Arzt einen Antrag gestellt, um in einer Niederländischen Spezialklinik behandelt zu werden. Belgien hat ihm diese Möglichkeit (ein Therapieplatz wäre frei gewesen) verwehrt.

In einem Interview sagte Van Den Bleeken kürzlich: „Wenn Menschen eine Sexualstraftat begehen, dann muss man ihnen helfen, damit umzugehen“ …. „Sie nur einzusperren hilft niemandem – nicht der Person, nicht der Gesellschaft und nicht den Opfern.“ Nach dieser Auffassung ist Van Den Bleeken auch ein Opfer. Und zwar ein Opfer des Systems, das ihm Hilfe verweigert.

Ein Denkfehler von Anfang an

Es ist das passiert, wovor viele Sterbehilfe-Kritiker gewarnt haben. Eine Schranke ist gefallen. Ein weiter Präzedenzfall wurde geschaffen. Eine weitere Diskussion wurde entfacht.

Wir haben uns auf das Argumentieren eingelassen. Wir haben mit dem Gedanken gespielt, dass aktive Sterbehilfe vielleicht doch in einem Fall „gerechtfertigt“ ist. Wir haben über das wissenschaftlich fundierte Argument der „slippery slope“ – sprich die schiefe Ebene – hinweggesehen. Der Stein kam ins Rollen und wurde/wird immer schneller …

An dieser Stelle möchte ich jedem an dem Thema Interessierten, sei es Befürworter oder Gegner der aktiven Sterbehilfe, folgendes Buch empfehlen: Gerbert van Loenen: „Das ist doch kein Leben mehr! Warum aktive Sterbehilfe zu Fremdbestimmung führt.

Dieses 2014 erschienene Buch zeigt anhand der Geschichte der aktiven Sterbehilfe in den Niederlanden, wie sich die Diskussion und Argumentation in der Gesellschaft im Laufe der Jahrzehnte entwickelt hat und dazu geführt hat, dass auch in den Niederlanden aktive Sterbehilfe möglich wurde.

Und weiters: Wie sich aufgrund dieser Entwicklungen das Klima, die Einstellung und das Verhalten gegenüber alten, kranken und behinderten Menschen geändert hat. Und dass vom Argument der „Selbstbestimmung“ letztendlich nicht viel übrig blieb ?

Who?s next?

Zuerst sind es „selbstbestimmte“ Männer und Frauen, die unheilbar körperlich krank sind.

Dann passiert „es“ auch bei nicht-einwilligungsfähigen dementen und schwer kranken Menschen. Denn Angehörige und Ärzte „wissen“ doch, was für diese „das Beste“ ist.

Dann Kinder und Jugendliche – aus reinem „Mitleid“, ihnen und ihren Eltern gegenüber.

Dann psychisch schwer kranke Menschen. „Die“ seien ja eine „Gefahr“ für die Gesellschaft und sehen in ihrem Leben ohnehin meist keinen Sinn mehr.

Und warum nicht auch für Menschen, die unter schweren und „aussichtslosen“ sozialen Bedingungen leben müssen? „Die“ können ohnehin nicht mehr etwas zur Wirtschaft und Gesellschaft beitragen.

Und was ist mit chronisch schwer kranken und behinderten Menschen? „Die“ liegen dem Staat ohnehin nur auf der Tasche. „Die“ wurden schließlich auch früher schon …

Eine wichtige Schlussbemerkung

Die letzten Sätze waren bewusst provokativ formuliert. Wie ich persönlich und BIZEPS zum Thema „Sterbehilfe“ bzw. „Würde am Ende des Lebens“ stehen, können Sie beruhigt in der offiziellen BIZEPS-Stellungnahme, die auch schon an die Parlamentarische Enquete-Kommission ging, und in der BIZEPS-Presseaussendung nachlesen.

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