Danke und herzlichen Glückwunsch Adolf Ratzka zum 80. Geburtstag

Die internationale Selbstbestimmt Leben Bewegung behinderter Menschen blickt heute am 20. November 2023 mit einem großen Dank nach Stockholm, wo Dr. Adolf Ratzka seinen 80. Geburtstag feiern kann.

Adolf Ratzka
Anca Voinea

Ohne Adolf Ratzka wäre die weltweite Selbstbestimmt Leben Bewegung um viele Gedanken und wahrscheinlich auch um viele Initiativen ärmer, die heute das Leben vieler behinderter Menschen erleichtern bzw. ihnen mehr Selbstbestimmung ermöglichen.

Daher gratulierten Martin Ladstätter vom Wiener Zentrum für Selbstbestimmtes Leben BIZEPS, Uwe Frevert vom Vorstand der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL), Dinah Radtke, die sich langjährig für Disabled Peoples‘ International (DPI) engagiert hat sowie Prof. Dr. Sigrid Arnade und Ottmar Miles-Paul als Sprecher*innen der LIGA Selbstvertretung Dr. Adolf Ratzka gemeinsam zu seinem 80. Geburtstag.

Wenn wir heute in Deutschland über Selbstbestimmung, Persönliche Assistenz und Peer Counseling reden und diese Begriffe verwenden, dann hat dies ganz viel mit Dr. Adolf Ratzka zu tun, der heute seinen 80. Geburtstag feiern kann.

Dr. Adolf Ratzka, der einen Elektrorollstuhl und ein Beatmungsgerät nutzt, hat nicht nur das schwedische Assistenzgesetz entscheidend mitgeprägt, sondern die Philosophie des Selbstbestimmten Lebens und damit auch die Aktivitäten der deutschen und östgerreichischen Selbstbestimmt Leben Bewegung behinderter Menschen entscheidend geprägt. Darauf hat Uwe Frevert vom Vorstand der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL), der Adolf Ratzka seit seiner Jugend kennt, die kobinet-nachrichten aufmerksam gemacht.

„Der aus Bayern stammende und seit langem in Schweden lebende Adolf Ratzka feiert heute – am 20. November 2023 – seinen 80. Geburtstag. Er ist ein wichtiger Mitstreiter für die Selbstbestimmt Leben Bewegung und hat Großes für unsere Sache geleistet“, betonte Martin Ladstätter von BIZEPS Wien.

„Ich komme ursprünglich aus Bayern, bekam im Alter von 17 Jahren Polio, verbrachte 5 Jahre in Krankenhäusern aus Mangel an rollstuhlgerechten Wohnungen und praktischen Hilfen im Alltag. Mit 22 Jahren bekam ich die Möglichkeit, direkt vom Krankenhaus in München in ein Studentenwohnheim in Los Angeles zu ziehen, um dort zu studieren – mit elektrischem Rollstuhl und Beatmungsgerät, ohne Familie oder Bekannte im neuen Land. Durch eine Sonderlösung bezahlte mir der bayrische Staat über das deutsche Konsulat alle meine Kosten einschließlich meiner Hilfsmittel. Vor allem aber hatte ich Geld für ausreichende persönliche Assistenz. Damit bezahlte ich Mitstudenten als Assistenten, die ich selbst anstellte und anlernte“, schreibt Adolf Ratzka im Autorenprofil beim österreichischen Online-Dienst BIZEPS INFO.

Weiter heißt es dort: „1973 kam ich nach Schweden, um Material für meine Doktorarbeit zu sammeln. In den folgenden Jahren arbeitete ich in Stockholm als Forscher mit Fragen des barrierenfreien Wohnungsbaus und dem Abbau von Einrichtungen. In den 80er-Jahren importierte ich die internationale Independent Living-Bewegung – Selbstbestimmt Leben – nach Schweden und gründete die Stockholmer Genossenschaft für Independent Living, STIL, die erste europäische persönliche Assistenzgenossenschaft, deren Arbeit als Modell für die schwedische Assistenzreform von 1994 diente. 1994 baute ich das Institut für Independent Living, in dem wir versuchen, Sozialpolitik in Richtung Selbstbestimmung zu beeinflussen mit auf.“

Adolf Ratzka war zudem Anfang der 90er Jahre entscheidend an der Gründung und dem Aufbau des europäischen Netzwerks zum selbstbestimmten Leben behinderter Menschen (ENIL) beteiligt. Er zog zwar nicht wieder nach Deutschland zurück, u.a. weil er hier nicht die Hilfen bekäme, wie sie ihm in Schweden für ein selbstbestimmtes Leben zur Verfügung stehen, wie er immer wieder betonte.

Aber er kam regelmäßig nach Deutschland, um Vorträge zur Behindertenpolitik zu halten. Dies waren immer wieder tolle Gelegenheiten, sich mit Adolf über seine Ideen auszutauschen, sind sich Uwe Frevert, Sigrid Arnade und Ottmar Miles-Paul einig. Sie dankten heute Adolf Ratzka verbunden mit der Gratulation zum Geburtstag für dessen unermüdliches Engagement für die Selbstbestimmung und Teilhabe behinderter Menschen.

Hier können Sie Dr. Adolf Ratzka zur Assistenzsituation in Schweden im Jahr 2003 hören:

Die Schwedische Assistenzreform von 1994
SprecherIn: Dr. Adolf Ratzka (Institute on Independent Living)
Audioquelle: Dr. Adolf Ratzka

Ich habe einen Assistenzbedarf von im Durchschnitt 18 Stunden am Tag. Das wurde in einem Gespräch mit der Sachbearbeiterin am örtlichen Büro der Staatlichen Sozialversicherung festgestellt. Ein altes allgemeines ärztliches Attest, das Ursache und Ausmaß meiner Behinderung erwähnt, spielte dabei nur eine untergeordnete Rolle. Denn laut Gesetz bestimmt die ganze Lebenssituation den Assistenzbedarf. Ich bin verheiratet. Unsere Tochter ist neun Jahre alt. Meine Frau und ich sind berufstätig. Laut Gesetz sollen die Assistenzleistungen. Die in der schwedischen Gesellschaft übliche Arbeitsteilung innerhalb der Familie ermöglichen. Ich kann also meine Assistenten dazu einsetzen, mir beim von der Schule abholen, beim Einkaufen, Kochen, Putzen etc. zu helfen. Einfache Arbeiten oder Reparaturen am Haus und im Garten, was ich auch von ihnen machen. Also alles, was ich selbst erledigen würde, wenn ich nicht behindert wäre. Mithilfe meiner Assistenten kann ich arbeiten. Eine der wichtigsten Funktionen dabei ist die Reisebegleitung. Als Leiter des Instituts Instituts für Independent Living bin ich oft unterwegs. Da meine Frau ihren eigenen Beruf hat, verreisen wir nur im Urlaub zusammen. Und auch da nehme ich einen Reiseassistenten mit, damit wir möglichst die gleiche Unabhängigkeit voneinander haben, die in anderen Familien üblich ist. Für die Reisekosten des Assistenten habe ich ein Budget für Flugtickets, Hotelzimmer, Mahlzeiten und Eintrittskarten. Dieses Budget ist in den monatlichen Zahlungen der Sozialversicherung bereits inbegriffen. Ich muss also nicht jedes Mal Gesuche einreichen, wenn ich für meinen Assistenten einen Flug, eine Flugreise buche. Zur Zeit arbeiten acht verschiedene Angestellte und bezahlte Assistenten stundenweise für mich. Meine Frau ist übrigens auch dabei, denn manchmal wollen wir unter uns sein. Ich könnte aber auch ohne sie gut auskommen. Das ist unsere freie Wahl, die uns die Assistenzgeld ermöglichen. Wenn sie privat oder beruflich verreist, komme ich ja auch ohne sie gut zurecht. Sechs Assistenten arbeiten in einem Wocheschema, die restlichen habe ich als Reserve. Keiner meiner Assistenten arbeitet ganztägig bei mir. Zwei sind freiberufliche Musiker, die ihr unsicheres Einkommen durch Assistenzarbeit bei mir ergänzen. Drei Assistenten kommen aus Lateinamerika und schlagen sich mit Gelegenheitsarbeiten durch. Zwei weitere studieren. Es gibt in Schweden keine Zivildienstleistenden, worüber wir sehr froh sind. Der Stundensatz, der von der Sozialversicherung an Assistenznehmer ausgezahlt wird, ermöglicht uns einigermaßen marktgerechte Löhne zu bezahlen. Zwangskommandierte Zivildienstleistende wären zwar billiger, würden aber das Berufsbild verschlechtern und unsere Personalsituation erschweren. Der Arbeitgeber meiner Assistenten, ist die von mir in den 80er Jahren gegründete Genossenschaft Stil. Wir sind zurzeit 250 Mitglieder. Darunter sind Kinder, Menschen mit geistigen Behinderungen, ältere Leute. Gemeinsam ist nur der Bedarf an persönlicher Assistenz. Zusammen beschäftigen wir über 1000 Assistenten. Laut Satzung besteht der Vorstand aus Menschen mit Bedarf von persönlicher Assistenz. Geschäftsführer und ein großer Teil der Büroangestellten sind behindert und meist selbst auf persönliche Assistenz angewiesen. Die Mitglieder beauftragen die Genossenschaft, die Gehälter unserer Assistenten auszuzahlen. Andere damit verbundenen Verwaltungsarbeiten zu übernehmen und unsere Interessen gegenüber der Sozialversicherung notfalls auch rechtlich zu verteidigen. Die Genossenschaft hat jedoch nichts mit der Beschaffung von Assistenten zu tun. Wir haben keine gemeinsamen Assistenten. Jedes Mitglied muss sich selbst seine Leute suchen. Nur so kann die größtmögliche Selbstbestimmung der einzelnen Mitglieder gestärkt werden. Aber die Genossenschaft hielt neuen und alten Mitgliedern in ihrer Aufgabe durch Kurse und Peer Support, also gegenseitiges Lernen und Unterstützen durch gleichgestellte Assistenznehmer, bekommen ihre Gelder monatlich im Voraus von der Sozialversicherung. Jedes Jahr setzt die Regierung die Höhe des pauschalen Stundensatzes für das darauffolgende Jahr fest. Für 2003 beträgt ungefähr 22 Euros. Ich bekomme also einen monatlichen Betrag von 18 Stunden mal 31 Tagen mal 22 Euros. Damit bezahle ich die direkten und indirekten Lohnkosten meiner Assistenten und die Verwaltungskosten der Genossenschaft. Was übrig bleibt, kann ich für die Reisekosten, meiner Assistenten und ähnliche Ausgaben benutzen. Die Gelder werden an mich ausgezahlt. Jedes Monat muss ich nachweisen, wie viele Stunden meine Assistenten gearbeitet haben. Ungenutzte Beträge werden nach einem halben Jahr verrechnet. Aber innerhalb dieses Zeitraums kann ich mit dem Stunden nach meinem Gutachten haushalten. Die Beträge sollen meinen Assistenzbedarf in vollem Umfang decken, nicht nur einen Teil. Die Kostendeckung ist unabhängig von Einkommen und Vermögen der Assistenznehmer, Ihrer Ehepartner oder der sonstigen Familie. Mit den Geldern der staatlichen Sozialversicherung könnte ich auch Dienstleistungen von anderen Trägern kaufen, zum Beispiel der Stadt Stockholm, die ihre Angestellten nach Art der städtischen ambulanten Dienste ins Haus schicken würde. Private Firmen und andere Genossenschaften, die Stil als Vorbild haben, bieten ähnliche Dienste an, außerdem gibt es die Möglichkeit, selbst Arbeitgeber seiner Assistenten zu sein. Auch hier gilt der gleiche Stundensatz. All diese Lösungen und ihre Kombinationen sind zugelassen, um Vielfalt, Wahlmöglichkeit und Konkurrenz zu fördern, um sich für die Zahlungen der Versicherungskarte zu qualifizieren, muss ein Mindestbedarf von 20 Wochenstunden Assistenz bei den grundlegenden Tätigkeiten wie Essen, der Körperhygiene oder beim sich verständigen Gespräch behinderter Menschen vorliegen. Wird ein Grundbedarf von 20 Wochenstunden festgestellt, hat man darüber hinaus Anspruch auf Stunden für andere Lebensbereiche wie zum Beispiel für Assistenz am Arbeitsplatz, Assistenz im Haushalt, in der Freizeit oder bei der Arbeit mit Kindern. Es gibt keine obere Grenze für den täglichen Stundenbedarf. Und ich kenne Kollegen, denen 27 Stunden am Tag bewilligt wurden, weil sie manchmal zwei Assistenten gleichzeitig brauchen. Aus Staats finanziellen Gründen wurde das Höchstalter der Assistenznehmer auf 65 Jahre begrenzt. Ein Mindestalter gibt es nicht. Ohne Altersgrenze wäre die Zahl der Berechtigten wahrscheinlich mindestens 20 mal so groß. Zwar kann man die Gelder nach dem 25 65. Geburtstag weiter beziehen, aber jemand, der erst nach dem 65. Geburtstag behindert wird, kann nicht diesen exklusiven Club beitreten. Menschen, die nicht für die Assistenzzahlungen der Sozialversicherung in Frage kommen, beziehen ihre praktischen Hilfen im Alltag von den Gemeinden und die Gemeinden, können dabei entscheiden, ob sie dieser Verantwortung in Form von Geld oder Sachleistungen nachkommen. Der Unterschied in der Lebensqualität, die die staatliche Assistenzreform und die Gemeinden ermöglichen, ist beträchtlich. Laut Gesetz sind die Gemeinden nur angehalten, eine angemessene Lebensqualität zu unterstützen. Sie sind nicht für Sach oder Geldleistungen außerhalb der Gemeindegrenzen verantwortlich.

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