Die Logik der Entmenschlichung!

Der OGH hat in seinem jüngsten Urteil zu „wrongful birth“ und „wrongful conception“ die Geburt eines unerwünschten behinderten Kindes als Schadensfall anerkannt. Ein Kommentar.

Franz-Joseph Huainigg 2021
Huainigg

Der Arzt, der bei der Pränataldiagnostik das Fehlen eines Oberarmes übersehen hatte, wurde zum Schadenersatz der nicht nur behinderungsbedingten Mehrkosten, sondern für die gesamte Lebensexistenz des Kindes verurteilt.

Vor 15 Jahren wurde die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen im Parlament beschlossen. Österreich hat sich vom medizinisch defizitären Modell der Betrachtung von Menschen mit Behinderungen abgewandt.

Im Vordergrund sollen jetzt die Fähigkeiten und Potentiale von Menschen mit Behinderungen stehen. Behinderte Kinder haben ein Recht auf gleichberechtige Teilhabe in allen Lebensbereichen. Das OGH-Urteil wirft diese Bemühungen zurück und führt behinderten Menschen wieder vor Augen, dass sie in Wirklichkeit Schadensfälle seien!

Mir schaudert davor, wie es dem jetzt sechsjährigen Kind geht, wenn es früher oder später erfährt, dass es wegen dem fehlenden Oberarm von den Eltern unerwünscht sei und dass daher die gesamten Kosten der Lebensexistenz von einem Arzt gezahlt werden müssen.

Ich glaube, dass hier der psychische Schaden mitunter weitaus größer ist als die erreichten Schadenersatzforderungen. Im OGH-Urteil ist zu lesen, dass die Eltern die Abtreibung auch im Ausland durchgeführt hätten, wären die Voraussetzungen für eine eugenische Indikation nicht erfüllt gewesen; denn für eine solche muss die Behinderung schwer sein. Ob dies zugetroffen hätte, ist fraglich. 

Haarsträubende Argumentationen des OGH: Jedes Unerwünschte Kind hat ein Recht auf Schadenersatz

Die bisherigen OGH-Urteile standen unter massiver Kritik der Ungleichbehandlung: während bei der unerwünschten Geburt von gesunden Kindern kein Schadenersatz zuerkannt worden war, wurde er bei einem unerwünschten behinderten Kind sehr wohl immer zugesprochen.

Der Senat hat nun entschieden, dass auch bei der Geburt eines unerwünschten gesunden Kindes, weil etwa eine Vasektomie misslungen oder ein Kondom gerissen ist, Schadensersatzansprüche für die Kosten der Lebensexistenz des Kindes entstehen.

Ein neugeborenes Kind soll ein Schaden sein, weil die Eltern kein Kind wollten. Wieso wird hier nicht das Grundrecht auf Leben höher bewertet als das Recht auf Privat- und Familienleben. Es ist verrückt aus dem Recht auf Familienleben abzuleiten, dass ein Kind einen Schadensfall darstellt. Wo sind wir da hingeraten? Ich verkenne dabei nicht das Bemühen des OGH, die Diskriminierung von behinderten Kindern zu unterbinden, indem man auch nicht behinderte Kinder zu Schadensfällen macht.

Aber diese Logik führt zur Entmenschlichung!

Die Aufgabe der Rechtsordnung in einem demokratischen, liberalen Staat muss es doch sein, Leben zu schützen, auch dann, wenn es von „Idealvorstellungen“ abweicht oder von anderen nicht gewollt ist.

Die Gleichstellung von „wrongful birth“ bei der Geburt eines unerwünschten behinderten Kindes mit „wrongful conception“, der Geburt eines unerwünschten nicht behinderten Kindes hat zur unglaublichen Folge, dass es erstmals auch ein Recht auf kein Kind gibt. Das, so wird argumentiert, sei grundrechtlich durch den Schutz des Privat- und Familienlebens gesichert.

Gesetzgeber gefordert!

15 Jahre war ich im Parlament tätig. Dabei habe ich zu „wrongful birth“ das Gespräch mit den Frauen- und Behindertensprecher:innen der anderen Parteien vergeblich gesucht.

Jetzt wäre es höchst an der Zeit, den Dialog zu führen und eine gesetzliche Regelung zu finden. Es braucht ein klares, gesetzliches Bekenntnis, dass jedes Kind willkommen ist und jeder Mensch, egal ob behindert oder nicht seinen Wert in der Gesellschaft hat!

Das Leben kann niemals ein Schadensfall sein. Ärzte können nicht für schicksalhafte Behinderungen verantwortlich gemacht werden, sondern nur für ärztliche Kunstfehler, die Behinderungen verursacht haben.

Wenn die leiblichen Eltern das Kind nicht haben wollen, bleibt der Weg der Adoption offen. Es gibt in Österreich viele Paare, die sich ein Kind wünschen und den Weg der Adoption wählen!

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4 Kommentare

  • Das Urteil falsch zu finden ist wie 3 Stunden nach einem Witz zu lachen.
    Ich fasse zusammen: Bei einer Durchführung lege artis hätte die Mutter das unerwünschte Kind verhindern können. Und der Autor kritisiert die Entscheidung und geht in mehreren Artikeln nicht auf die Ursachen ein, wie die, dass überhaupt nach Behinderung gescreent werden darf und nach der allgemeinen Frist eine Frist folgt, die überwiegend auf Behinderungen abstellt. Es ginge auch anders, wenn der Gesetzgeber wollte. Das Geschlecht darf in Ö nicht vor der 14. Ssw mitgeteilt werden, danach ist eine Abtreibung rein aufgrund des Geschlechtsmerkmals nicht zulässig.

    Und noch etwas fällt dem Leser des Urteils auf: der Missstand nämlich, dass Eltern behinderter Kinder denen gesunder Kinder mindestens finanziell nicht gleichgestellt sind.

  • Einfach brillant und auf den Punkt gebracht!

  • „Der Senat hat nun entschieden, dass auch bei der Geburt eines unerwünschten gesunden Kindes, weil etwa eine Vasektomie misslungen oder ein Kondom gerissen ist, Schadensersatzansprüche für die Kosten der Lebensexistenz des Kindes entstehen.

    Ein neugeborenes Kind soll ein Schaden sein, weil die Eltern kein Kind wollten. Wieso wird hier nicht das Grundrecht auf Leben höher bewertet als das Recht auf Privat- und Familienleben. Es ist verrückt aus dem Recht auf Familienleben abzuleiten, dass ein Kind einen Schadensfall darstellt. Wo sind wir da hingeraten?“

    Das ist auch nur die halbe Wahrheit. Es geht darum, ob ein Arzt auch dann zu Schadenersatz verpflichtet ist, wenn sein Kunstfehler zu einem Kind führt. Wäre der Abort sorgfältig und kunstgerecht durchgeführt worden, wäre er auch nicht schadenersatzpflichtig geworden. Warum sollte die Lösung des Fehlverhaltens in dem Fall anders lauten als bei einem Arzt, der einem Patienten das falsche Bein amputiert? Doch beim falschen Geschlecht ist man leider noch immer nicht so konsequent und lässt keine freie Entscheidung zu.
    Meinte es der Gesetzgeber andererseits ernst mit dem Prinzip, dass ein Kind keinen Schadensfall darstellen könne, müsste er schon viel früher Maßnahmen ergreifen, nämlich bei der zunächst uneingeschränkten Duldung der Abtreibung, welche als Recht wahrgenommen wird.

    Ich will damit nicht sagen, dass meine Schlussfolgerung die einzig zulässige sei.
    Dennoch vermisse ich eine konsistente Haltung auf beiden Seiten. „Eine Abtreibung macht keine Frau einfach so“ oder Träumereien à la „ich wünsche mir eine Welt“ sollten in einem guten Kommentar am besten gar nicht vorkommen. Eigentlich nicht einmal in einem schlechten.
    Auch kann ich der Meinung des Verfassers nicht folgen, wenn er von einem Recht auf kein Kind spricht. Zum Glück wurde der Arzt ja nicht zur Wiederherstellung des vorherigen Zustands verurteilt. Das Kind darf am Leben bleiben. Und wer meint, dass behinderte Föten eher zur Welt kommen würden, wenn der Arzt nicht schadenersatzpflichtig werden könnte, irrt. Die Ursache war eine mangelhafte Durchführung, und schlampige Ärzte wird es immer geben, die dann halt lieber einmal zu viel als zu wenig zur Abtreibung raten werden.

    • Eine gute Argumentation! Es ist leider zutreffend, dass die Argumentation auf beiden Seiten mangelhaft ist.