EGMR: Lorenz vs Österreich

Urteil vom 20. Juli 2017 Lorenz gegen Österreich (Appl. No. 11537/11). Entscheidung des Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zum Recht auf Freiheit: Rechtmäßigkeit des Verfahrens zur Überprüfung der Verlängerung der Unterbringung eines psychisch kranken Straftäters in Österreich – Art 5 Abs 1 EMRK, Art 5 Abs 4 EMRK

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
EGMR

In der Rechtssache Lorenz gegen Österreich hat der EGMR folgenden Sachverhalt beurteilt.

Im Jahr 1983 wurde der Beschwerdeführer Lorenz wegen dreifachen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von 20 Jahren verurteilt. Wegen seiner schweren psychischen Erkrankung wurde er jedoch in der Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher in Stein untergebracht. Nach Verbüßung der Freiheitsstrafe verlangte er seine Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug, verblieb aber als vorbeugende Maßnahme weiterhin in der Anstalt.

Die Entlassung wurde ihm von den österreichischen Gerichten mit der Begründung verweigert, dass er noch eine Therapie benötigte, mit der er auf die Entlassung vorbereitet werden sollte. Diese Therapie zur Entlassungsvorbereitung wurde jedoch nicht in Stein, sondern nur in der Anstalt Wien-Mittersteig angeboten.

Trotz wiederholter Empfehlungen seitens der Gerichte wurde der Beschwerdeführer jedoch nicht nach Wien-Mittersteig überstellt. Zwar erfolgte eine regelmäßige Überprüfung der weiteren Rechtmäßigkeit der Unterbringung, eine Überstellung in die Justizanstalt Wien-Mittersteig wurde ihm aber verweigert. Aus diesem Grund weigerte sich der Beschwerdeführer, eine weitere Therapie in der Justizanstalt Stein zu absolvieren, welche er für eine Entlassung ohnehin nicht benötigte.

Daraufhin wurde seine Entlassung v.a. mit der Begründung abgelehnt, dass er eine weitere psychiatrische Behandlung und eine Zusammenarbeit mit den Behörden ablehnte, sodass sich die gerichtliche Entscheidung bezüglich der Fortdauer seiner Unterbringung nur auf das letzte verfügbare Sachverständigengutachten stützen konnte.

Der Beschwerdeführer erhob eine Individualbeschwerde gegen die Republik Österreich mit der Begründung, durch die fortlaufende Freiheitsentziehung in seinem Recht auf Freiheit verletzt worden zu sein. Er brachte vor, dass die Überprüfung der Rechtmäßigkeit seiner Unterbringung gesetzeswidrig und deren Verlängerung unbegründet sei.

Der EGMR betonte, dass eine psychische Störung durch eine kompetente Person festzustellen ist und von solcher Art und solchem Grad sein muss, der eine Zwangseinweisung rechtfertigt sowie dass die Rechtmäßigkeit der Unterbringung vom Fortbestand der psychischen Störung abhängt. Die Zwangseinweisung sei gerechtfertigt, wenn festgestellt werde, dass die Person eine Therapie oder eine andere klinische Behandlung benötigt und dass sie beaufsichtigt werden muss, um nicht sich selbst oder anderen Personen Schaden zuzufügen.

Der EGMR erkannte auf eine Verletzung des Rechts auf persönliche Freiheit, kam zum Schluss, dass die weitere Anhaltung von Lorenz in der Strafanstalt Krems-Stein gesetzeswidrig ist und verurteilte Österreich wegen überlanger Dauer der Überprüfung einer Anhaltung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher.

Die Feststellung wird damit begründet, dass sich die Behörden nicht um eine Überführung des Beschwerdeführers in die Anstalt Wien-Mittersteig bemüht haben, obwohl sie selbst betont hatten, dass er die dortige Therapie bräuchte, um entlassen werden zu können. Die offensichtliche Notwendigkeit der Übertragung des Beschwerdeführers dorthin wurde jahrelang ignoriert.

Der Beschwerdeführer verweigerte zwar eine weitere psychiatrische Behandlung, verlangte aber zugleich immer wieder Maßnahmen zur Entlassungsvorbereitung. Nach Ansicht des EGMR hätten die Strafvollzugsbehörden eine Lösung für die Situation finden müssen. Die nationalen Gerichte hätten sich nicht auf ein altes Sachverständigengutachten, sondern auf eine aktuelle medizinische Bewertung stützen müssen. Sie hätten die Frage nach der Übertragung des Beschwerdeführers nach Wien-Mittersteig untersuchen müssen.

Der Grund dafür, dass die medizinische Bewertung aktuell sein muss, liegt darin, dass die psychische Gesundheit des Betroffenen zum Zeitpunkt der Überprüfung seiner Entlassung zu beurteilen ist. Der EGMR betont auch, dass die Rechtmäßigkeit der Fortsetzung einer Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher insbesondere dann mit besonderer Aufmerksamkeit zu überprüfen ist, wenn sie so lange dauert.

Bezüglich der Weigerung des Beschwerdeführers, an einer weiteren psychiatrischen Begutachtung mitzuwirken, verlangt der EGMR, dass das Gericht ein Gutachten allein auf Grundlage des bisherigen Akteninhalts einzuholen hätte. Somit war der Zusammenhang zwischen der ursprünglichen Verurteilung des Beschwerdeführers und dem weiteren Freiheitsentzug unterbrochen.

Zudem sah der EGMR in der Länge einer der Überprüfungen, nämlich der Überprüfung im Jahr 2011/12, eine Verletzung des Rechts auf eine schnelle gerichtliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung, weil die Verfahrensdauer elf Monate betrug. Nach Ansicht des EGMR kann die Dauer durch die Schwierigkeit des Falles oder durch das Verhalten des Beschwerdeführers nicht erklärt werden.

Der EGMR sprach dem Beschwerdeführer einen Betrag i.H.v. € 3.000 für seinen immateriellen Schaden zu. Der vom Beschwerdeführer begehrte Ersatz für Verdienstentgang, weil ihm sein Anwalt eine Beschäftigung nach der Entlassung zugesagt hätte, wurde dagegen abgelehnt.

Dieser Artikel von Aylin Sherif erschien in Blickpunkte 2018.1.

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3 Kommentare

  • Wieso erscheint dieser Artikel hier?

    Abgesehen davon, geht aus dem Artikel klar hervor, dass der Beschwerdeführer Therapie ablehnt, womit eine weitere Anhaltspunkt allein schon aus diesem Grund gerechtfertigt erscheint, auch wenn seine Anhaltung in Stein problematisch erscheint.

    Insbesondere aber ärgert mich, dass dieser Artikel ohne Angabe der Autorenschaft veröffentlicht wird, d. h., wer veranlasst denn hier die Wiederveröffentlichung.

    • So wie ich das lese wird nicht Therapie an sich abgelehnt, sondern eine unpassende. Wie auch im Text erwähnt.

      Psychische Störungen und Erkrankungen können auch zu Psychischer Behinderung zählen.

      Niemand „veranlasst“ hier Artikel. Die Autorenschaft steht oben: „Blickpunkte“, das ist ein Newsletter des Verein SIMs zum Straf- und Maßnahmenvollzug, siehe: https://massnahmenvollzug.wordpress.com/blickpunkte/

  • Am besten, der Typ lässt sich gleich als Nachbar neben dem EGMR nieder. Hallo? Der Typ hat 3 Morde begangen und außer Ruhigstellung wird nichts einen vierten effektiv verhindern, jedenfalls keine Therapie.