Einbahnstraße Arbeitsunfähigkeit

Trotz des derzeitigen Mangels an Arbeitskräften in Österreich finden viele Menschen mit Behinderungen keinen Zugang zum Arbeitsmarkt. Für Menschen mit Behinderungen mit höherem Unterstützungsbedarf, die als arbeitsunfähig gelten, hat das besonders schwerwiegende Konsequenzen.

Christine Steger
Christine Steger

Ein existenzsicherndes Einkommen und wesentliche Errungenschaften, die arbeitenden Menschen in Österreich zustehen, werden ihnen vorenthalten. Statt auf ihren jeweiligen Bedarf abgestimmte Unterstützungen zu erhalten, um eine Arbeit am ersten Arbeitsmarkt aufzunehmen und zu behalten, wird ihnen die Unterstützung durch die Arbeitsvermittlung und viele vorhandene Fördermaßnahmen verweigert.

Die vermeintliche Arbeitsunfähigkeit kann so zu einer Einbahnstraße werden. Die Möglichkeit, ein wirtschaftlich selbstbestimmtes Leben zu führen, ist für diese Personengruppe oft erheblich eingeschränkt.

Wird seitens des Arbeitsmarktservice vermutet, dass eine Person arbeitsunfähig ist, wird deren Arbeitsfähigkeit durch die Pensionsversicherungsanstalt geprüft. Die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit basiert dabei auf einem rein medizinischen und berufskundlichen Kalkül. Vorhandene Unterstützungsmöglichkeiten werden dabei nicht berücksichtigt.

Wird in der Folge „Arbeitsunfähigkeit“ festgestellt ist, besteht keine Möglichkeit, diese Entscheidung zu beeinspruchen, die Ergebnisse der Untersuchung auf dem Rechtsweg prüfen oder diese wiederholen zu lassen. Die so getroffene Bewertung ist meist irreversibel und wird oft bereits in jungen Jahren vorgenommen.

„Es braucht ein modernes Verständnis von Arbeitsfähigkeit, dessen Grundlage das soziale Modell von Behinderungen bildet und Menschen mit Behinderungen nicht systematisch benachteiligt. Die derzeitigen Grundlagen für die Beurteilung von so genannter „Arbeitsfähigkeit“ sind gänzlich defizitorientiert und diskriminierend“, erläutert Bundesbehindertenanwältin Christine Steger.

In der Folge werden Menschen mit Behinderungen an die Angebote der Länder verwiesen. Die Angebote bestehen vorrangig aus Einrichtungen mit tagesstrukturierendem Charakter.

Obwohl Menschen mit Behinderungen dort oft arbeitsmarktnahe Tätigkeiten verrichten, erhalten Sie für ihre Arbeit statt eines kollektivvertraglich geregelten und abgesicherten Entgelts lediglich ein geringes Taschengeld und erwerben sich durch diese keinerlei Pensionsansprüche.

Diese langjährige österreichische Praxis steht in einem klaren Widerspruch zu der von Österreich ratifizierten UN-Konvention über die Rechte mit Behinderungen und erscheint auch im Lichte der österreichischen Bundesverfassung nicht unbedenklich.

Um sich einer menschenrechtskonformen Situation anzunähern, muss eine umfassende Gleichstellung von in Tagesstrukturen tätigen Menschen mit Arbeitskräften am ersten Arbeitsmarkt erfolgen.

„Es ist höchst an der Zeit, diese Baustelle endlich anzugehen. 23.000 Menschen mit Behinderungen, die in Werkstätten tätig sind, haben keinerlei Möglichkeit, sich ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen oder Pensionszeiten zu erwerben, um später in den Ruhestand zu gehen. Dieser Zustand ist absolut inakzeptabel und stellt eine strukturelle Benachteiligung für Menschen mit Behinderungen dar“, betont Steger.

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3 Kommentare

  • Danke, Christine! Wäre super, wenn mit deiner Unterstützung als Behindertenanwältin in dieser Richtung ENDLICH einmal etwas weitergeht und dieser Missstand (Taschengeld statt Lohn) beseitigt werden würde. Auch die Einstufung als arbeitsunfähig in jungen Jahren finde ich sehr bedenklich.

  • Diese Forderungen gibt es bereits seit geraumer Zeit. Die Durchlässigkeit zwischen erstem Arbeitsmarkt und Einrichtungen mit tagesstrukturierendem Charakter, der Erwerb von Pensionszeiten aus diesen Tätigkeiten… seit Jahren wird davon gesprochen, aber es passiert nichts. Auch die Ungerechtigkeit beim Zuverdienst (illegale „Ruhensbestimmungen“ der Beamten – selbst im Vorruhestand darf ein Beamter nebenbei unbegrenzt dazuverdienen; für ASVG-Pensionisten gilt die Geringfügigkeitsgrenze – es gab diesbezüglich ein höchstrichterliches Urteil -> illegal) ist nach wie vor aufrecht. Die Politik kann es sich im Gegensatz zum „einfachen Mann“ (gilt auch für Frauen) anscheinend leisten, solche Entscheidungen zu ignorieren. Zurück zum Zuverdienst: Auch verliert etwa ein/e Mindestpensionist/in die Ausgleichszulage und folglich sämtliche damit verbundenen Vorteile (Rundfunkgebühr – „Zuschuss“, Rezeptgebührbefreiung, etc.)
    Dies ist nicht nur ungerecht, sondern auch „dumm“. Denn zusätzliches Einkommen bei Menschen mit geringer Pensionszahlung käme nicht nur dem Individuum, sondern auch der Wirtschaft und somit letztlich dem Staat (Steuermehreinnahmen) zugute.


    (Kein Anspruch auch Richtigkeit und Vollständigkeit!)

    • Sie haben recht! Hier gibt es auch noch SEHR große UN-gerechtigkeiten.